Es ist immer die Frage, wo man Adam und Eva lokalisiert. Die Frage, wo alles begann. Man könnte diesfalls – Spurensuche Hexagongrill- auf den großen, 1938 tödlich verunglückten Bernd Rosemeyer und seine Auto-Union-Rennwagen verweisen. Im Jahr 2000 präsentierte Audi quasi in memoriam die Studie Rosemeyer, die einerseits dessen Renner zitiert, andererseits erstmals den Schildgrill, den Singleframe ins Spiel bringt, als Vorbereitung auf das Kommende. Was kommt, ist: Ab 2004 wird jeder Audi mit diesem überdimensionalen Grill ausgestattet, darin das Vier-Ringe-Markenzeichen; moderne Heraldik. Zwar werden ästhetische Bedenken laut, solche über Missproportionierung und protzigen Auftritt, allein, die Kundschaft liebt die markante Frontgestaltung, man reißt den Ingolstädtern die neue Grillware aus den Händen.

Audi hat es vorgemacht.
Foto: Audi

Inzwischen ist Audi bei der Evolutionsstufe Dreidimensionalität angelangt – und beim Sechseck, und damit noch mal zurück zur Ausgangsfrage, was nämlich dazu geführt hat. Teils durch aerodynamische Zwänge, teils durch Sicherheitsauflagen, teils durch allgemeine Designtrends sahen sich seit den 1990er-Jahren die Autos immer ähnlicher. Was tun in dieser vertrackten Situation? Familiengesicht, lautete die Antwort. Die Ära der Kühlerfiguren war längst vorbei, als letztes Massenphänomen war noch der Mercedes-Stern übrig geblieben, aber gerade Mercedes war ein exzellentes Beispiel für hohen Wiedererkennungswert auch durch die unverwechselbare Kühlergrillgestaltung. BMW mit der berühmten Niere war das andere Exempel. Da galt es nachzuwassern, es wurde nachgewassert, und heute hat, ausgehend von Deutschland, von Europa, eigentlich jeder große Automobilkonfektionär der Welt (mit Ausnahme von Honda vielleicht) seine Baureihen streng auf Markenidentität und ein unverwechselbares Konterfei getrimmt.

Der Ford Edge mit dem mächtigen sechseckigem Grill.
Foto: Andreas Stockinger

Noch Mitte der Nullerjahre saßen wir einmal mit Toyota-Sans zusammen, die frugen, ob die Kunden das wirklich wollten. Heute setzt auch Toyota auf ausgeprägt scharfen Markenauftritt. Dass sich die Fahrzeuge dennoch immer noch ähnlicher werden und man auch in die Falle tappen kann, dass alle Autos einer Marke fast gleich aussehen (Audi, Mercedes), ist ein anderes Kapitel. Oder man stelle zum Beispiel einen Ford Edge und einen Hyundai Tucson nebeneinander, decke das Logo zu und rate dann, wer wer ist.

Die jüngste Variation von Hyundai.
Foto: Hyundai

Hexagon. Sechseck. Die gestalterischen Überlegungen müssen nicht zwangsläufig zu dieser geometrischen Form führen. Mazda etwa hat sich auf das Pentagon festgelegt. Sieht auch lässig aus. Eine Vielzahl von Herstellern hat sich aber bei Audi ein Beispiel genommen und setzt auf das trendige Sechseck, das somit die größte Verbreitung findet. Wobei Hyundai fast zeitgleich auf den Plan trat wie Audi mit dieser aktuellsten Schildgrill-Modifikation. Man sieht bei den Koreanern an der Abfolge vom Tucson zum neuen i30 auch gleich die Möglichkeiten, die noch weiter in dieser Grundform stecken, von Geradlinigkeit zu konkav-konvex ist vieles drin.

Auch die Franzosen spielen mit der Wabenform.
Foto: Guido Gluschitsch

Ebenfalls stark dem Hexagon verpflichtet sind inzwischen Ford und Volvo, dezent nähern sich Peugeot und DS und manchmal Subaru dem Thema an. Aber auch bei exklusiver Gerätschaft von Maserati oder Aston Martin (hier in traditionell schwungvoller Ausgestaltung und ohne Logo im Grill) ist die Tendenz evident.

Der Grill von Subaru hat sechs Ecken.
Foto: Michael Völker

6 sells, könnte man sagen, und das führt uns zu archetypischen, mythischen und weiteren Tiefenschichten. Von Adam und Eva war eingangs die Rede – die Genesis datiert ihre Schöpfung auf den sechsten Tag. Das Hexagramm des Davidsterns taucht auch als alchemistisches Symbol auf, bei den Pythagoräern versinnbildlicht die Sechs als vollkommene Zahl die drei Dimensionen (vier Himmelsrichtungen, oben und unten), im christlichen Kulturkreis gilt 666 als "Zahl des Tieres", und weil das hebräische Zahlwort für sechs der Buchstabe Waw (w) ist, wird das Internet (www.) häufig als endzeitliches Signum gewertet. Der Buddhismus unterteilt die Welt in sechs Daseinsbereiche, das Buch der Wandlungen, das chinesische Orakelbuch I Ging, enthält 64 Hexagramme. Das sollen Audi und Co erst einmal schaffen.

Volvo dient als weiteres Beispiel.
Foto: Volvo

Auch in der Natur treffen wir vielfach aufs Hexagon – in Kristallstrukturen (Schneeflocken) etwa, bei Bienenwaben (denen Rudolf Steiner "Sechseckkraft" zuschreibt), aber auch auf organisch molekularer Ebene wie beim Benzolring mit den sechs Kohlenstoffatomen (womit sich der Kreis zu Benzin und Auto schlösse). Der sechseckige Kühlergrill, eine Form von Bionik? Die Sache ist jedenfalls sexy. (Andreas Stockinger, 22.1.2017)

Maserati spielt mit dem Sechseck.
Foto: Maserati