Von September 1927 bis April 1928 bewältigte Stinnes im "Adler Standard 6" (links) die Etappe von Moskau bis zum Ural, durch Sibirien und die Wüste Gobi nach Peking und dann per Schiff nach Japan.

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1927 posiert Fräulein Stinnes mit Hündchen vor ihrem Adler-Weltreisemobil.

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1929 wird in Kalifornien betankt.

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Der Bursche rechts ist der Schwede Axel Söderström, der sie auf ihrer Reise als Fotograf und Kameramann begleitet. Es wird Liebe daraus. 1930 läuten die Hochzeitsglocken.

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Es gibt diese magischen Daten der Weltgeschichte. 1492 Entdeckung Amerikas durch Kolumbus. 1519 bis 1522 erste Weltumsegelung durch Magellan. 1886 Erfindung des Automobils durch Carl Benz. Daten, die jeder präsent hat. Dass 410 Jahre nach Magellans Aufbruch ins Ungewisse Clärenore Stinnes von ihrer Weltumfahrung, zu der sie 1927 angetreten war, wieder daheim im Deutschen Reich eintraf, wissen hingegen nur wenige. Das schlichte Faktum: 1927 bis 1929 erste Weltumrundung in einem Serienauto. Durch eine Frau.

Unschärferelation

1927. Werner Heisenberg veröffentlicht seine Arbeit über die Unschärferelation. Martin Heideggers Sein und Zeit erscheint. Fritz Langs Metropolis wird in Berlin uraufgeführt. Justizpalastbrand in Wien. Charles Lindbergh quert im Flieger den Atlantik. Erster Volvo-Pkw. Nürburgring-Einweihung. Start der ersten Mille Miglia in Brescia. Man sieht: Da liegt was in der Luft (nicht nur Wiener Rauchwolken). Abenteuer. Aufbruchstimmung. Technische Rekorde.

Fräulein Stinnes hat zu dem Zeitpunkt schon bewiesen, dass sie mithalten kann in der Männerdomäne Automobil(rennen). Auf Augenhöhe. 1925 tritt sie als einzige Frau unter 52 Männern aus 13 Nationen an zur "Allrussischen Prüfungsfahrt", einer Rallye von Sowjetrusslands Norden nach Süden – und geht als Siegerin ihrer Klasse durchs Ziel. Die begüterte, seit Kindertagen von Pferdestärken begeisterte und auch technisch außerordentlich versierte junge Frau fühlt: Da geht noch mehr. Da geht die ganze Welt.

Sture Tochter

Die Mama (der Vater war 1924 gestorben) ist schwerstens dagegen, doch die Tochter ist stur, und hach, diese Jugend heute!, und sie besitzt Überzeugungskraft. Das Argument, so eine Tour wäre für sich beteiligende deutsche Unternehmen eine phänomenale Werbung, überzeugt. Bosch und Aral zum Beispiel. So macht sie sich mit 100.000 Reichsmark Taschengeld auf die Reise – und mit einem nigelnagelneuen "Standard 6" der Frankfurter Adler-Werke, woraus sich auch die Startadresse erklärt, eben Frankfurt. Die Adler-Werke stellen darüber hinaus einen Versorgungslastwagen für Benzin, Ersatzteile und Gepäck zur Verfügung.

Der "Standard 6" wurde 1926 vorgestellt und bis 1934 gebaut, erfolgreich gebaut: Knapp 30.000 6er fanden einen Käufer. In drei Ausbaustufen leistete der Reihen-6-Zylinder 45, 50, 60 PS, die frühe Stinnes-Version war die schwachmatische mit 45 PS und 2.540 cm³, Hinterradantrieb: eh klar. Jammerschade, dass es die Automarke nicht mehr gibt. Nach dem Krieg produzierte man nur mehr Fahr- und Motorräder, und natürlich Büromaschinen; älteren Semestern ist "System Triumph-Adler" noch ein Begriff, das in Geheimdienstkreisen wieder gefragt ist, weil onlinespionagesicher: Eine Schreibmaschine hackt auch die NSA nicht.

Nach Osten geht die Fahrt

Wir schweifen ab. Fräulein Stinnes' Reise um die Welt. Nicht in 80 Tagen wie bei Jules Verne, sondern in zwei Jahren und fast einem Monat. Es gilt, die Route zu fixieren. Gen Osten soll es gehen und gen Süd, denn der Äquator will überquert sein, sonst gilt es nicht als Weltumrundung. Zwei Tage vor Aufbruch stößt zu Clärenore und den zwei Technikern (die bald aufgeben werden) Carl-Axel Söderström, ein begnadeter Fotograf und Kameramann. Der Schwede soll die Fahrt dokumentieren. Dass daraus neben den Autos die andere große Stinnes-Liebe wird, dass sich auf dieser Fahrt durch dick und dünn, laut Stinnes "49.244 Fahrkilometer" weit, auch innere Welten entdecken lassen, klingt lapidar und zählt dennoch zur Reisebilanz. Und was haben die alles erlebt. "Sie muss aus Stahl gemacht sein, so wie sie alles aushält, ohne zu klagen", vertraut Söderström bald einmal dem Tagebuch an.

Ja, die Route. Prag–Wien–Budapest–Sofia. Türkei, Bagdad, Teheran, durch den Kaukasus bis Moskau. Da ist es August, das Team drei Monate unterwegs. September 1927 bis April 1928 geht es zum Ural, Sibirien und die Gobi geraten unter die Räder, via Peking erreicht man über Tientsin Kobe in Japan. Beef vielleicht, Tokio-Fahrt gewiss. Im Mai nach Hawaii, reimt sich. Juni 1928 San Francisco; per Schiff nach Panama und Lima, quer durch Peru, Bolivien, Argentinien, abenteuerlich über die Anden nach Chile. Im Schiff nach L.A. und quer durch die USA (Grand Canyon, Besuch bei Henry Ford in Detroit) nach New York. 28. Mai 1929. Einschiffung nach Le Havre, via Paris nach Berlin. Begeisterter Empfang auf der Avus, wo das Ziel "aus Blumen und wehenden Fahnen gebaut worden war". Die Weltumrundung "war uns gelungen, weil wir bis zu unserer letzten Kraft in Einigkeit zusammengehalten hatten, das Ziel, nach dem wir strebten, vor Augen". O-Ton Stinnes. 1927 bis 1929, erste Weltumrundung per Auto. Bitte merken. (Andreas Stockinger, 20.1.2017)