Sebastian Kurz ist Außenminister, OSZE-Vorsitzender und ÖVP-Kronprinz. Eigentlich genug Arbeit für einen Politiker, könnte man meinen. Aber Kurz ist auch noch zuständig für die Integration, eine Aufgabe, die er aus seiner Zeit als Staatssekretär im Innenministerium "mitgenommen" hat. Eine Art Nebenjob. Aber Integration ist kein Nebenjob, sondern eine der wichtigsten Herausforderungen, vor denen Österreich und Europa derzeit stehen.

Die Integration von Zuwanderern war zuerst ein Anhängsel des Innen-, also des Polizeiministeriums, und dann ein Anhängsel des Außenministeriums. Das sieht man unserer Integrationspolitik auch an. Wenn man die Medien verfolgt, so geht es dabei in erster Linie um Grenzen. Obergrenzen, Außengrenzen, Einkommensgrenzen. Wir diskutieren mit Hingabe darüber, was Migranten alles nicht dürfen oder dürfen sollen: arbeiten, solange ihr Asylverfahren noch nicht abgeschlossen ist, im öffentlichen Dienst ein Kopftuch tragen (gibt es außerhalb der Religionslehrerinnen Muslimas im öffentlichen Dienst?), überhaupt nach Österreich hereinkommen oder, wenn sie schon da sind, dableiben.

Das sind alles diskussionswürdige Fragen. Aber Integration ist etwas anderes: dafür sorgen, dass die Neuen im zunächst fremden Land heimisch werden, sich zugehörig und akzeptiert fühlen. Das geht nicht mit Strafen und Verboten. Es braucht dafür eine Willkommenskultur, ein Wort, das in den letzten Monaten ein Schimpfwort geworden ist. Anhänger der Willkommenskultur gelten als Mischung aus Verräter und Trottel. Populär werden oder Karriere machen kann man damit jedenfalls nicht.

Nicht, dass auf diesem Gebiet in den letzten zwei Jahren, als über hunderttausend Flüchtlinge nach Österreich gekommen sind, nichts weitergegangen ist. Es geschah sogar eine ganze Menge, aber zum allergrößten Teil vonseiten der Zivilgesellschaft. Tausende Freiwillige, in den Hilfsorganisationen oder auch privat und auf eigene Faust, schafften und schaffen Unterkünfte, organisieren Deutschkurse, betreuen Familien und Jugendliche. Wenn es irgendwo ein Migrant fertiggebracht hat, Wurzeln zu schlagen, stand meistens ein Einheimischer oder eine Gruppe Einheimischer dahinter. Wären sie nicht gewesen, wäre es, wie das Debakel von Traiskirchen zeigte, zu einer humanitären Katastrophe gekommen.

Anerkennung "von oben" gab es dafür freilich so gut wie nicht. Von einem offiziellen Dank der Regierung an diejenigen, die für die völlig überforderten Behörden einsprangen, hat man nichts gehört. Dafür jede Menge Häme in den sozialen Medien und in der Boulevardpresse. Man muss fair sein: Länder und Gemeinden, voran Wien und Vorarlberg, tun viel für die Integration der Neuzuwanderer und haben engagierte und kompetente Leute dafür abgestellt. Aber auf Bundesebene wird dieses Thema mehr und mehr von der Diskussion über Asylrestriktionen, Sicherheit, Terrorbekämpfung, Schlepperwesen und Fluchtrouten überschattet.

Integration ist eine Querschnittmaterie und gehört weg vom Innen- wie vom Außenministerium. Sie braucht jemanden, der oder die sich mit ganzer Kraft für diejenigen Neuankömmlinge einsetzt, die hier sind und hier bleiben werden. Sie ist eine Fulltime-Aufgabe und kein Nebenjob. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 11.1.2017)