Die ÖVP wäre bei einer Wahlrechtsreform nach Kern dabei – noch dazu, wo man schon einen ähnlichen Vorschlag präsentiert hat.

Foto: Matthias Cremer

Wien – ÖVP-Generalsekretär Werner Amon reagiert positiv auf die jüngsten Vorschläge von Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) zu einer Wahlrechtsreform. "Gegen die Idee eines Mehrheitswahlrechts ist grundsätzlich nichts zu sagen", sagte er am Donnerstag am Rande der ÖVP-Klubklausur zur APA. Über Details müsse man aber sicher noch sprechen.

Die ÖVP habe bereits vor mehreren Jahren ein Modell mit einem "sogenannten minderheitenfreundlichen Mehrheitswahlrecht" vorgelegt, sagt Amon. Dieses würde "auch auf kleinere Fraktionen nicht vergessen". Einen ähnlichen Zugang habe Kern gewählt, indem die stärkste Fraktion überproportional begünstigt werden soll. Die ÖVP sei daher "absolut" offen, um über die Vorschläge zu reden. "Hurtig ans Werk", meinte Amon.

Gift für die Volkswirtschaft

Amon hatte bereits zuvor einige positive Ansätze in Kerns Grundsatzrede gesehen. Negativ beurteilte er am Donnerstag "generell alle Belastungsideen": "In einer Zeit, in der die Wirtschaft gerade Schwung holt, ist das Gift für die Volkswirtschaft." Diese würden auch nicht mit dem "an sich positiven Ansatz" Kerns zusammenpassen, sagt Amon unter Verweis auf die Senkung der Lohn- und Einkommensteuer und die Entlastung der Unternehmen dort, "wo der Staat im Weg steht". Amon will jetzt Signale, die Wirtschaft zu entlasten, und nicht, dass "über die Hintertür Belastungen eingeführt werden": "Ich würde anregen, dass sich der Bundeskanzler die Belastungsideen für den Wahlgang im Herbst 2018 aufhebt."

Christian Kern präsentierte am Mittwoch seinen "Plan A".
derStandard.at

Offen ist Amon auch für Kerns Arbeitsmarktvorschläge. Bürger aus Staaten mit einem Lohnniveau, das nicht einmal 80 Prozent des österreichischen erreicht, sollen nur noch dann in Österreich tätig sein dürfen, wenn keine heimische Arbeitskraft zur Verfügung steht. Aus seiner Sicht habe das im weitesten Sinn auch mit Zuwanderung zu tun, und hier müsse Österreich schauen, "dass der Zuzug ganz massiv" eingeschränkt wird, sagt Amon. "Insofern sind diese Dinge zu begrüßen. Generell müssen wir uns stärker aussuchen können, wen wir ins Land lassen, darauf zielt diese Idee ab." Eine derartige Regelung dürfe nicht dem Europarecht widersprechen, auch der Gedanke der Niederlassungsfreiheit müsse aufrecht bleiben. Anreize, um "zuerst die eigene Bevölkerung in Beschäftigung" zu bringen, seien aber grundsätzlich in Ordnung.

Medikament mit Nebenwirkungen

Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl (ÖVP) setzte am Donnerstag gleich einen Warnruf ab. Bei manchen der von Kern genannten Medikamente für einen gesunden Wirtschaftsstandort "wird man den Beipackzettel auf negative Nebenwirkungen genau lesen müssen", erklärte er per Ausendung. So werde etwa die weitere Entlastung bei den Lohnnebenkosten mit einer Verbreiterung der Bemessungsgrundlage für Sozialabgaben verknüpft, also mit einer Art Wertschöpfungsabgabe.

Kern hat neben der gerade umgesetzten Senkung eine nochmalige Halbierung des Dienstgeberbeitrags für den Familienlastenausgleichsfonds genannt, wodurch die Lohnnebenkostenbelastung pro Beschäftigtem um rund 7 Prozent sinke. Das koste zwar bis zu 3 Milliarden Euro, bringe letztlich aber Tausende neuer Jobs. Für die Familien soll das nicht spürbar werden, heißt es im Grundsatzpapier des Bundeskanzlers.

Kern will eine gerechte Gegenfinanzierung: Die eine Hälfte sollte demnach durch höhere Steuern für internationalen Konzerne, mehr Effizienz u.a. bei den Sozialversicherungsträgern und Mehreinnahmen durch mehr Beschäftigung kommen. Bekämpfen will der Kanzler das Steuerdumping. Das stehe auf dem Plan ganz oben. Konzerne, die in Österreich Profite erwirtschafteten, müssten in die Pflicht genommen werden.

Für die zweite Hälfte brachte Kern wieder eine Wertschöpfungsabgabe in die Debatte. Der Kanzler spricht von einer "Verbreiterung der Bemessungsgrundlage z.B. auf fossile Energieträger oder andere Wertschöpfungskomponenten – nicht jedoch auf Abschreibungen und Investitionen". Strukturelle Reformen zum Staatsschuldenabbau und zum Abbau der Steuer- und Abgabenlast vermisste Leitl in Kerns Programm.

Freude über Haltung zu Arbeitszeitflexibiliserung

Dass der Kanzler die Arbeitszeitflexibilisierung ansprach, freut die Wirtschaft aber. Für Leitl steht über allem das übergeordnete Ziel, die hohe Arbeitslosigkeit substanziell zu senken, Vollbeschäftigung anzustreben. Ihm erschienen die Vorschläge des SPÖ-Chefs zur Entbürokratisierung als auch die Ideen zu einer Senkung der Lohnnebenkosten, für bessere Bildung und Ausbildung und effizientere Forschung und Entwicklung "gut geeignet, um Österreich im internationalen Standortwettbewerb zu stärken." Auch das Prinzip, dass Gewinne dort besteuert werden sollen, wo die Umsätze erzielt werden, werde von der Wirtschaft prinzipiell unterstützt. "Niemand kann unfaire Steuervermeidungsstrategien globaler Konzerne gutheißen."

Der Kammerboss ortete heute eine sichtbare neue Dynamik der Regierungsparteien, vorhandene Probleme konstruktiv anzugehen und zu lösen: "Die Wirtschaftskammer sagt zu, die Vorschläge von SPÖ und ÖVP objektiv und sachlich zu prüfen. Unsere Richtschnur ist eine Stärkung der österreichischen Betriebe und ihrer Wettbewerbsfähigkeit. Nur so lassen sich die in Aussicht gestellten 200.000 zusätzlichen Arbeitsplätze bis 2020 realisieren."

Absage der FPÖ

FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl lehnt aber Kerns Wahlrechtsreformidee strikt ab. Per Aussendung erklärte er: "Die Wunschvorstellung von Bundeskanzler Christian Kern, wonach die stärkste Partei automatisch bei der Mandatsvergabe bevorzugt werden soll, zeugt von einem unterentwickelten Demokratieverständnis und mit der FPÖ wird so ein mehrheitsförderndes Wahlrecht mit Sicherheit nicht zu machen sein." Denn: "Für uns Freiheitliche ist jede Stimme gleich viel wert und wir sind der Ansicht, dass dadurch der Wählerwille bestmöglich zum Ausdruck gebracht werden kann. Daher brauchen wir auch keine politischen 'Zuwaagen' oder sonstige Tricksereien, die das Plebiszit verzerren und irgendeine Partei bevorzugen sollen."

Für Grüne "keine Option"

Auch die Grünen können den Wahlrechtsvorschlägen von Kern nichts abgewinnen. "Das ist keine Option", sagte Klubchefin Eva Glawischnig vor dem Beginn der grünen Klubklausur in Wien. Ein Mehrheitswahlrecht anzudenken sei "ein Spiel mit dem Feuer". Offenbar gehe es darum, den Wahlgang in eine "direkte Kanzlerwahl" umdeuten zu wollen.

Kritik an Kern gab es auch für die Aussage "Und ehrlich: Der zweite Platz ist der erste Verlierer" in dessen "Plan A"-Begleitheft. Dieser Satz sei "demokratiepolitisch bedenklich", ärgerte sich Glawischnig, denn: "Eine Parlamentswahl ist kein Boxkampf."

Auch Neos skeptisch

Neos-Chef Matthias Strolz fehlt für ein echten "Plan A" bei Kern ein Bekenntnis zu Freiheit, Eigenverantwortung, Risikobereitschaft und zu Mut. Kerns Ziel, Österreich zu einer Gründernation zu machen, sei ehrenwert – aber aus Sicht der Neos brauche es dafür eine entsprechende Stimmung im Land, die Mut mache, unternehmerisch tätig sein zu wollen. "Und das hat Kern komplett ausgelassen."

Unterm Strich habe Kern Maßnahmen für eine sozialistische Vollkasko- und Versorgungsgesellschaft präsentiert, denn der Kanzler wünsche sich eine staatlich verordnete Vollbeschäftigung. Und: "Protektionismus, Strafzölle und das Aushebeln europäischer Grundwerte beim Wunsch, die Personenfreizügigkeit einzuschränken, sind mit freiem Handel und vor allem einem freien Europa nicht vereinbar." Dieser Versuch, einfache Antworten auf komplexe Fragen zu geben, erinnerte Strolz "phasenweise an den blauen Oppositionsführer".

Team Stronach für Wahlrechtsreform

Grundsätzlich positiv auf ein mehrheitsförderndes Wahlrecht reagiert das Team Stronach, auch wenn man es dort noch nicht so richtig glauben kann. "Kern hat ja die Probleme in unserem Land erkannt – und teilweise auch Lösungsansätze –, aber sein gestriger Auftritt war gefühlt die 300. Ankündigung eines Neustarts", sagte Klubobmann Robert Lugar.

Zusammen mit der ÖVP werde ein Neustart, eine Politik der Reformen nicht gelingen, glaubt Lugar, "das haben die vergangenen Jahre und Jahrzehnte der Großen Koalition schon gezeigt". Es sei auch "völlig egal, wer an der Spitze der Regierungsparteien steht", da die Koalition nicht zu retten sei. "Deshalb begrüßt das Team Stronach auch Kerns Vorschlag des Mehrheitswahlrechts, weil dadurch Platz für eine neue Regierung gemacht wird."

Die von Kern vorgeschlagene Wahlrechtsreform würde rot-grüne Koalitionen erleichtern. Seit 1986 wäre Rot-Grün drei Mal möglich gewesen, würde man der Regierung einen Mehrheitsbonus geben. Für den Politikwissenschafter Laurenz Ennser-Jedenastik würde der Mehrheitsbonus aber auch eine Änderung des Wahlverhaltens bewirken. Er hält die Idee für unausgegoren.

Kern-Vorschlag würde Rot-Grün erleichtern

Der auf Wahlen spezialisierte Politikwissenschafter geht daher davon aus, dass die vorgeschlagene Reform zur Konzentration des Parteiensystems zulasten der Kleinparteien führen würde. "Das wird vielleicht nicht beim ersten Mal so sein, aber über die Zeit würde sich das in diese Richtung zuspitzen", sagt Ennser-Jedenastik. Weil die genaue Verteilung der Zusatzmandate unklar ist, findet er den Vorschlag allerdings unausgegoren. Zudem verweist er darauf, dass Kern selbst – der bei der letzten Wahl ja nicht kandidiert hat – mit diesem Modell wohl nicht Bundeskanzler hätte werden können.

Verfassungsrechtlich möglich wäre eine solche Vorgehensweise aus Sicht des Juristen Theo Öhlinger allerdings schon – zumindest mit einer entsprechenden Zweidrittelmehrheit im Parlament. "Es gäbe sicher Konstruktionsmöglichkeiten, die keine Gesamtänderung der Verfassung darstellen", sagt Öhlinger. Geklärt werden müsste dafür aber, wie die zusätzlichen Mandate für die Koalition genau verteilt werden. Einfach festzulegen, dass Regierungsmitglieder mit Sitz und Stimme im Nationalrat vertreten sind – unabhängig davon, ob sie bei der Wahl kandidiert haben oder nicht – wäre nämlich nicht möglich. (APA, red, 12.1.2017)