Vor zehn Jahren, am 11. Jänner 2007, trat die Regierung Gusenbauer ihr Amt an. Seither erlebt Österreich die dritte Ära der großen Koalition aus SPÖ und ÖVP. Die erste dauerte von 1945 bis 1966 (wobei bis 1947 auch die KPÖ in der Regierung vertreten war), die zweite von 1987 bis 2000.

Von Jänner 2007 bis zum Rücktritt im September 2008 regierten SPÖ und ÖVP unter Alfred Gusenbauer und Wilhelm Molterer.
Foto: Standard/Cremer

Die große Koalition ist so etwas wie die Werkseinstellung des österreichischen politischen Systems. Alles, was davon abweicht, gilt schnell als außergewöhnlich. Dabei ist die große Koalition selbst eine ziemlich außergewöhnliche Konstruktion. Sie ist zwar typisch für Konkordanzdemokratien wie die Beneluxstaaten oder die Schweiz (wo durch die Zauberformel eine extreme Variante davon praktiziert wird). Anderswo in Westeuropa gibt es aber zumeist bipolaren Wettbewerb, in dem sich linke und rechte Regierungen abwechseln. Manchmal muss sie, wie zurzeit in Deutschland, als Verlegenheitslösung herhalten, wenn keine ideologisch kohärentere Variante realisierbar ist.

Wie hat sich nun die große Koalition seit 2007 in der Wahrnehmung der Wähler geschlagen? Die erste Grafik zeigt den Vertrauenssaldo aus Eurobarometer-Umfragen zwischen 2002 und 2016. Während die Kabinette Gusenbauer und Faymann I noch klar im Plus lagen, ist das Vertrauen in die Bundesregierung seit 2013 stark gesunken.

Dazu kommen dramatische Umfrageeinbußen für SPÖ und ÖVP. Kamen beide Parteien bei der Wahl 2006 zusammen noch auf knapp 70 Prozent, so liegen sie derzeit kombiniert bei rund 47 oder 48 Prozent. Jede dritte Stimme ist in den zehn Regierungsjahren abgewandert.

Diese Dynamik schlägt sich auch in Rekordverlusten bei Landtagswahlen nieder. Die zweite Grafik zeigt die durchschnittliche Landtagswahl-Performance von Parteien, die im Bund regieren. Dass im Land abgestraft wird, wer im Bund regiert, ist nichts Neues. Das Ausmaß ist heute allerdings dramatischer als je zuvor. Verloren ÖVP und FPÖ/BZÖ bei Landtagswahlen unter den Schüssel-Regierungen im Mittel rund drei Prozentpunkte, so haben Rot und Schwarz seit 2007 im Schnitt ein Minus von fünf Prozentpunkten eingefahren. Die SPÖ verlor durchschnittlich sechs Prozentpunkte, die ÖVP knapp vier.

Auch bei Nationalratswahlen scheint ein ehernes Gesetz der österreichischen Politik der letzten Jahrzehnte zu sein, dass große Koalitionen schwere Stimmenverluste erleiden (einzige Ausnahme: 1995). So gesehen wird eine Neuauflage nach der nächsten Nationalratswahl schon rein arithmetisch schwierig.

Dass weder SPÖ noch ÖVP als Folge ihrer vielen Wahlniederlangen den Gang in die Opposition angetreten haben, mag viele nicht überraschen, aber es verrät uns einiges über ihre Motivation. Alle Politiker verfolgen im Grunde drei Ziele: Stimmenmaximierung (votes), das Besetzen hoher Ämter (office) und das Umsetzen ihres Programms (policy). Im Zielkonflikt zwischen Stimmenmaximierung und Regierungsbeteiligung haben sich SPÖ und ÖVP klar für Zweiteres entschieden.

Anders gesagt: Wer nach so starken Verlusten immer noch regieren will, für den sind Wahlergebnisse sekundär. (Laurenz Ennser-Jedenastik, 13.1.2017)