Graz – Für den Verfassungsjuristen Heinz Mayer steht außer Zweifel: Die von der Plattform "Rettet die Mur" geforderte Volksbefragung zum umstrittenen Murkraftwerk hätte von der Stadt nicht abgelehnt werden dürfen. Der Bescheid der Stadt, wonach eine Befragung nicht durchgeführt werden musste, weil die entsprechende Rechtsgrundlage fehle, sei eine "gravierende Fehlleistung", sagte Mayer am Freitag. Die Rechtsmeinung der Stadt sei juristisch nicht haltbar.

Die Stadtjuristen hatten unter anderem sinngemäß argumentiert, es könne keine Volksbefragung durchgeführt werden, da es um Entscheidungen gehe, die nicht im Wirkungskreis der Stadt lägen, weil der Landeskonzern Energie Steiermark das Kraftwerk baue.

Dass die Volksbefragung nicht abgehalten wurde, war letztlich auch der Auslöser für die vorgezogene Gemeinderatswahl am 5. Februar.

Finanzierung noch offen

Mayer hält dem Grazer Bescheid entgegen, dass die entsprechende Gesetzespassage sozusagen nur halb gelesen worden sei. Es gehe sehr wohl auch um "alle sonstigen die Gemeinde betreffenden politischen Entscheidungen und Planungen", die Gegenstand einer Volksbefragung sein können. Die Stadt müsse zum Beispiel noch über weitere Fragen entscheiden, etwa die Finanzierung des 80 Millionen Euro teuren Kanals. Diese Finanzierung müsse erst im Gemeinderat beschlossen werden.

Clemens Könczöl, Sprecher der Plattform "Rettet die Mur", räumt zwar ein, dass eine Volksabstimmung über das Kraftwerk – für das alle Bewilligung vorliegen und das bereits im Bau ist – den Weiterbau nicht hätte stoppen könne. Es gehe aber in erster Linie um den demokratiepolitischen Aspekt: "Kein Politiker hat das Recht, den Menschen ihre demokratische Volksbefragung zu nehmen."

Dass der Antrag auf ein Volksbefragung erst sehr spät, Ende September 2016, eingebracht wurde, erklärt Könczöl damit, dass man den Baubeschluss der Energie Steiermark abwarten wollte. Die politische Entscheidung, das Kraftwerk zu bauen, ist allerdings schon Jahre zuvor gefallen, ehe unter anderem das langjährige UVP-Verfahren eingeleitet worden war. Verfassungsjurist Mayer rechnet jedenfalls damit, dass die Gemeinderatswahl "ohnehin eine Abstimmung über das Kraftwerk wird".

Nagl gibt sich von Gutachten unbeeindruckt

Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) hat am Freitag zum neuen Gutachten in Sachen Volksbefragung über das Murkraftwerk Stellung bezogen: "Es gibt eine Volksweisheit – zwei Juristen, drei Meinungen – daher gibt es Gerichte, die letztlich Entscheidungen treffen." Die KPÖ und die Grünen dagegen sehen sich in ihrer Kritik bestätigt und forderten einen Baustopp sowie die Durchführung der Volksbefragung.

Nagl hob hervor, dass der Einspruch der Wasserkraftwerksgegner beim Landesverwaltungsgerichtshof liege und dieser entscheiden werde. Außerdem werde das Gericht "sicherlich die Stellungnahme eines Verfassungsjuristen würdigen". Faktum bleibe aber – und das habe Experte Heinz Mayer nicht bewertet, "dass die Unterschriften jahrelang nicht eingebracht wurden und daher alle Entscheidungen, sowohl politisch, als auch bezüglich der Umweltverträglichkeit gefallen sind und das Kraftwerk schon gebaut wird."

Internetbefragung ging pro Kraftwerk aus

Das Stadtoberhaupt brachte noch einmal ins Treffen, dass er 2012 immerhin rund 32.000 Menschen um seine Meinung zum Kraftwerk über das Internet befragt habe: "Da ging es 77 Prozent pro Murkraftwerk aus. 400.000 Euro für eine Befragung zu einer entschiedenen Sache auszugeben ist sinnlos." Daher werde dieses Kraftwerk und auch der sogenannte Sammelentlastungskanal nun gebaut.

Grüne: "Paukenschlag"

Von einem "Paukenschlag im Krimi um das geplante Murkraftwerk" sprachen die Grazer Grünen: "Unsere Vermutungen wurden bestätigt, die Volksbefragung muss gemacht werden", meinten Grünen-Spitzenkandidatin Tina Wirnsberger und Umweltsprecherin Andrea Pavlovec-Meixner.

Demokratie dürfe nicht willkürlich für die eigenen Ziele zurechtgebogen werden. Deshalb forderten sie Nagl auf, entsprechend dem vorliegenden Gutachten "umgehend die notwendigen Schritte für die Befragung" einzuleiten. Bis zum Ergebnis der Befragung, an das sich alle Parteien gebunden sehen sollten, müssten die laufenden Bautätigkeiten gestoppt werden.

KPÖ-Spitzenkandidatin Elke Kahr unterstrich noch einmal ihre Überzeugung, wonach man "die Bevölkerung einfach nicht befragen will" und es keine juristische Frage gewesen sei. (APA/Walter Müller, 13.1.2017)