"Ich kenne viele Frauen, die im Outdoor-Bereich sehr aktiv sind – sie filmen sich nur nicht dabei, weil sie Angst vor negativen Reaktionen haben", sagt Survival-Videokanal-Betreiberin Stephanie Margeth.

Foto: Stephanie Margeth

Stephanie schabt mit einem Messer feine Späne von einem Ast, mischt sie mit Birkenrinde und Grillanzünderkrümeln und wickelt das Ganze in Watte ein. In flüssiges Wachs getaucht entsteht so ein wasserfester "emergency tinder ball", der jederzeit eingesetzt werden kann, um ein Lagerfeuer anzuzünden. Wer beim Stichwort Tinder nicht zuallererst an eine Dating-App, sondern an besonders leicht brennbares Material denkt, ist mit den Tipps aus Stephanie Margeths Videos vermutlich längst vertraut. Die Videobloggerin und ehemalige Soldatin betreibt seit Jänner 2016 einen eigenen Youtube-Channel und gibt dort als Bushcraft Stephi Einblicke in ihre Outdoor-Abenteuer.

Margeth testet vor der Kamera verschiedene Messer, baut einen Unterstand und brät sich auf einem selbstgebauten Ofen mitten im Wald ein Steak. "Ich bin sozusagen im Bayerischen Wald groß geworden, mir wurde das Ganze also in die Wiege gelegt", erzählt Margeth. Auch wenn sie ihren ZuseherInnen lediglich auf unterhaltsame Weise die Liebe zur Natur näherbringen möchte und sich selbst nicht als Überlebenskämpferin betrachtet, ist Margeth im weitesten Sinne Teil einer Community, deren Mitglieder sich als Survivalists oder Prepper (von "to be prepared") bezeichnen: Menschen, die Überlebenstechniken trainieren, vorübergehend in der Wildnis leben – oder aber sich auf verschiedene Katastrophenszenarien vorbereiten.

Stephanie Margeth

Bewaffnet und prepared

Während Margeth ihre Outdoor-Videos mit Tanzeinlagen und Grimassen spickt, nähern sich andere VideobloggerInnen dem Thema wesentlich ernster. So etwa Morgan aus Texas, die auf ihrem Youtube-Kanal als Armed Rogue beziehungsweise Morgan Rogue auftritt und bereits hunderte Videos produziert hat. Rogue ist Prepping-Profi und entspricht so einigen europäischen Vorstellungen von TexanerInnen: Die junge Mutter widmet ihre Freizeit am liebsten dem Jagen und Fischen, fährt einen riesigen Geländewagen und hat eine Vorliebe für Schusswaffen jeglicher Art. Die Frage danach, ob Waffen ihr ein Gefühl von Sicherheit vermitteln, empfindet Rogue als absurd. "Ich fühle mich nicht sicher, wenn ich eine Waffe trage, ich bin sicher. Ich trainiere ständig und weiß, wie ich meine Waffen richtig und sicher einzusetzen habe", sagt sie.

Gefahren lauern hinter jeder Ecke, ist Rogue überzeugt – dennoch malt sie sich keineswegs apokalyptische Szenarien aus, wie das einzelne Prepper mit Hang zu Verschwörungstheorien gerne tun. Die Texanerin bereitet sich vielmehr auf mögliche Ereignisse vor, die sie jederzeit treffen könnten: eine Autopanne, ein Hausbrand, ein Übergriff oder ein längerer Stromausfall.

Armed Rogue

Sexismus in der Männergemeinschaft

Die Prepper-Community hat in den USA längst ihren Weg in die klassischen Medien gefunden – etwa anlässlich der Hysterie rund um den prognostizierten möglichen Zusammenbruch aller Computersysteme zum Jahreswechsel 1999/2000. Fernsehsendungen wie "Doomsday Preppers" des National Geographic Channel hätten der Community allerdings massiv geschadet, sagt Morgan Rogue: "99 Prozent von uns verstecken sich nicht in Bunkern." In der Reality-TV-Show sind Menschen zu sehen, die von einem bevorstehenden Nuklearkrieg oder einer Pandemie überzeugt sind und mit Atemschutzmasken für den Ernstfall trainieren. Meist sind es Männer, die ihr Haus in eine Festung verwandeln – wie überhaupt die gesamte Community stark männerdominiert ist.

Rund 90 Prozent der Prepper sind Männer, schätzt der US-amerikanische Anthropologe Chad Huddleston, der Feldforschung zu Disaster Preparedness Groups betreibt. Die Kommentare unter den Videos von Morgan Rogue, Stephanie Margeth und anderen Survival-(Video-)Bloggerinnen machen schnell deutlich, dass Frauen in der Community mit sehr viel Skepsis begegnet wird. "Manche Männer können mit einer starken, intelligenten Frau einfach nicht umgehen und versuchen deshalb, sie runterzumachen", sagt Rogue. Fast jeden Tag erhält sie Kommentare von Männern, die die Inhalte ihrer Videos kritisieren oder sie persönlich attackieren. "In der Apokalypse mache ich dich zu meiner Konkubine", wird da etwa gepostet.

A girl in the wild

Auch Stephanie Margeth kennt sexistische Angriffe zur Genüge. Dass innerhalb eines Jahres fast 70.000 Menschen ihren Kanal abonnierten, rief zahlreiche KritikerInnen auf den Plan. Ihr erfolgreichstes Video ("A girl in the wild") wurde rund vier Millionen Mal aufgerufen. "Es wird mir nachgesagt, dass ich nur deshalb erfolgreich wäre, weil die Leute sich einfach gerne eine Frau anschauen würden", erzählt sie. Zum Thema Slut Shaming hat Margeth ein eigenes – wütendes – Video gedreht. Dass sie sich auf ihrem Kanal bei sommerlichen Temperaturen im Tanktop oder mit einem Tuch um die Hüften statt langer Hose zeigt, wird von ZuseherInnen eifrig kommentiert. "Frauen, ihr könnt verdammt noch mal anziehen, was immer ihr wollt", lautet ihre Antwort.

Foto: Stephanie Margeth

"Sexistische Idioten" seien dennoch eine Minderheit, sagt Margeth. Auf manche Frauen würden sie allerdings abschreckend wirken. "Ich kenne viele Frauen, die im Outdoorbereich sehr aktiv sind – sie filmen sich nur nicht dabei, weil sie Angst vor negativen Reaktionen haben. Ich würde mir wirklich wünschen, dass mehr Frauen dazukommen", sagt Margeth.

Sie selbst könnte bald im US-Fernsehen zu sehen sein – Verhandlungen rund um eine Survivalserie laufen bereits. Auch in Österreich lebt eine erfolgreiche Survival-Videobloggerin: "Survival Lilly". Die Steirerin hat ihren Bürojob gekündigt und zeigt ihrer Fangemeinde auf Youtube nun, wo man im Wald Essbares findet oder sich aus einfachen Materialien Pfeil und Bogen baut. Dem STANDARD möchte die "Jägerin, Sportschützin und verantwortungsvolle Waffenbesitzerin" kein Interview geben, da sie in verschiedenen Artikeln JägerInnen und legale WaffenbesitzerInnen in ein "kriminelles beziehungsweise verrücktes Eck" gestellt sieht.

Erste Hilfe

Anthropologe Huddleston vermittelt indes auch seinen StudentInnen die nützliche Seite des Preppings: Im "Anthropology of Disasters"-Seminar müssen sie ihren eigenen "bug out bag" zusammenstellen, eine Art Notfallset, das eine Person für 72 Stunden mit überlebenswichtigen Dingen versorgen soll. "Ich möchte das Prepping entmystifizieren und zeigen, dass bestimmtes Wissen über das Verhalten in Notfallsituationen für uns alle nützlich und wichtig ist", sagt Huddleston.

Abseits dieses praktischen Aspekts ist Survivalism beziehungsweise Prepping für viele Menschen – die noch dazu in westlichen Regionen mit gut ausgebauter Infrastruktur und staatlichen Hilfseinrichtungen leben – vor allem eines: ein abwechslungsreiches Hobby. "Mit anderen gemeinsam auszutüfteln, mit welchen Materialen sich am besten ein Feuer anzünden lässt, macht einfach Spaß", so Huddleston.

Abschalten und aufladen

Die Faszination für Survival-Trainings im Wald – die auch in Österreich von verschiedenen Anbietern gebucht werden können – lässt sich aber auch mit dem Wunsch nach Entschleunigung erklären. "Ich bin in dieser Situation zurückgeworfen auf meine eigenen Fähigkeiten und übernehme Kontrolle, konzentriere mich auf Wesentliches: Kann ich mir etwas zu essen besorgen, finde ich einen Schlafplatz?", sagt Stephanie Margeth. Trotz aller Liebe zu Outdoor-Abenteuern ist auch die 28-Jährige ständig mit Smartphone oder Laptop ausgestattet, wenn sie nicht gerade im Wald unterwegs ist: "Es ist auch für mich verdammt schwierig abzuschalten. Aber wenn du den Schritt einmal gemacht hast, ist es großartig. Wenn ich Migräne habe und in den Wald gehe, ist sie einfach verschwunden." (Brigitte Theißl, 15.1.2017)