Nicht nur wegen der leidigen Kopftuchdebatte würde die grüne Chefin Eva Glawischnig bei Regierungsverhandlungen kein Kreuz mehr um den Hals tragen, denn sie hat daraus gelernt: "Ironie funktioniert in der Politik nicht."

Foto: Andy Urban

"Die Positionierung von Außenminister Sebastian Kurz läuft auf eine Vorbereitung von Schwarz-Blau hinaus", glaubt Glawischnig. Kanzler Christian Kern (SPÖ) dagegen sei für sie als möglicher Koalitionspartner näher gerückt.

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Wien – Angesichts Alexander Van der Bellens Angelobung und der anstehenden Reform der Kompetenzen des Bundespräsidenten spricht sich die grüne Chefin Eva Glawischnig für ein neues Prozedere rund um Regierungsbildungen aus. Anwärter für ein Ministeramt sollten sich zuvor einem öffentlichen Hearing im Parlament stellen müssen, sagt sie im STANDARD-Gespräch, denn damit wäre etwa Ex-Sozialministerin Elisabeth Sickl (FPÖ) "wegen ihrer mangelnden Fachkompetenz nicht angelobt worden".

Weil Kanzler Christian Kern nun für einen Mindestlohn eintritt, ist die SPÖ für die grüne Chefin als möglicher Koalitionspartner näher gerückt als die ÖVP, deren Positionierung auf "Schwarz-Blau hinausläuft".

STANDARD: Angesichts der Gelüste von SPÖ und ÖVP nach einem Mehrheitswahlrecht, das dem Ersten bei Nationalratswahlen Kanzler und Parlamentsmehrheit garantieren soll: Ist die FPÖ, obwohl ständig Umfragesiegerin und Gegnerin dieses Plans, doch nicht so machtversessen wie oft befürchtet?

Glawischnig: Immerhin hätte das für die FPÖ ja eine krasse Kehrtwende zu ihrer bisherigen Linie bedeutet. Fakt ist aber: Der Vorschlag von Kanzler und SPÖ-Chef Christian Kern ist völlig retro, weil derzeit die Parlamente in ganz Europa bunter werden. Dazu kommt seine Erklärung, dass schon der Zweite als Verlierer gilt, einer Abwertung von hunderttausenden Wählern gleich, die für andere Parteien gestimmt haben.

STANDARD: Dass es mit einem derartigen Wahlrecht seit 1986 schon dreimal Rot-Grün hätte geben können, lockt Sie nicht?

Glawischnig: Keineswegs. Die SPÖ sollte sich lieber Gedanken machen, wie sie den Parlamentarismus lebhafter gestaltet. Derzeit wird ja jeder Antrag der Opposition einfach nur vertagt, vertagt und noch einmal vertagt.

STANDARD: Ende Jänner wird Alexander Van der Bellen als Bundespräsident angelobt. Welche Rechte möchten Sie Ihrem ehemaligen Chef im Zuge der anstehenden Reform denn streitig machen?

Glawischnig: Bei unserer Klubklausur haben wir festgelegt: In die Verhandlungen mit den anderen Parteien gehen wir mit dem Vorschlag, dass dem Bundespräsidenten das Recht der Auflösung des Parlaments ohne Begründung entzogen werden soll.

STANDARD: Bei der Erteilung des Regierungsbildungsauftrags wollen Sie nicht nachschärfen, nachdem Van der Bellen in Bezug auf die EU-Feindlichkeit der FPÖ angekündigt hat, bei einem blauen Wahlsieg nicht automatisch den Stimmenstärksten mit der Regierungsbildung zu betrauen?

Glawischnig: Um eine Änderung bei diesen Usancen geht es uns nicht. Vielmehr wollen wir, dass mehr auf die Eignung von Ministern geachtet wird. Aus unserer Sicht sollten sich die Anwärter für ein Amt in einer neuen Regierung zuvor einem öffentlichen Hearing im Parlament stellen müssen – nach Brüsseler Vorbild, wo sich die Kommissare auch einer Anhörung durch das EU-Parlament unterziehen.

STANDARD: Damit käme Van der Bellen also erst gar nicht in die Verlegenheit wie einst Thomas Klestil zu Beginn der Ära von Schwarz-Blau, einzelne Minister wegen bedenklicher Aussagen abzulehnen?

Glawischnig: Mit Sicherheit wären bei einer verfassungsrechtlichen Verankerung eines solchen Prozederes damals einige Ministervorschläge hinfällig geworden. Denn bei einem Parlamentshearing wäre wohl etwa auch Sozialministerin Elisabeth Sickl (FPÖ) wegen ihrer mangelnden Fachkompetenz nicht angelobt worden.

STANDARD: SPÖ-Chef Kern will nun auch einen gesetzlichen Mindestlohn festschreiben. Damit ist Rot für die Grünen als potenzieller Koalitionspartner aber definitiv näher gerückt als die ÖVP.

Glawischnig: Durchaus, wenn die Grundsatzrede nicht nur der Beginn eines Wahlkampfauftaktes war. Denn ein Mindestlohn ist auch für uns eines der wichtigsten Ziele, weil die dramatischen Reallohnverluste vor allem Frauen und jungen Leuten zusetzen. Die Positionierung der ÖVP und insbesondere von Außenminister Sebastian Kurz läuft auf eine Vorbereitung von Schwarz-Blau hinaus.

STANDARD: Für eine Regierungsbeteiligung im Bund müssen Sie aber wachsen. Sie selbst haben als Ziel 15 Prozent ausgegeben – keine Bange, zwischen Kern, Kurz und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache aufgerieben zu werden?

Glawischnig: Bei der Themenlage wird das freilich für die Grünen eine große Herausforderung. Deswegen werden wir schon für die Grazer Gemeinderatswahl im Februar wieder dagegenhalten, dass auch dort die ÖVP die FPÖ als Partner nicht ausschließt – trotz ihrer Nähe zu den Identitären und rechtskräftig verurteilten Hetzern.

STANDARD: Die neue Chefin der Jungen Grünen wirft Ihnen Abgehobenheit und zu viel Marketing vor. Können Sie damit etwas anfangen?

Glawischnig: Das fällt für mich unter die übliche Kritik von Jugendorganisationen an der Mutterpartei, mit der Realität hat das wenig zu tun. Gerade im letzten Jahr haben wir zigtausende Hausbesuche und Straßenaktionen gemacht, sodass man uns Abgehobenheit schlecht vorwerfen kann.

STANDARD: Haben Sie sich mit Ihrem Parteifreund Peter Pilz ausgesöhnt, der den Grünen zu "linkem Populismus" geraten hat?

Glawischnig: Ich gebe zu, da ist mir die Hutschnur gerissen, auch wenn ich sonst immer sehr kontrolliert bin. Aber wir hatten vor Weihnachten noch eine Aussprache und jetzt bei der Klausur einen guten Diskurs über unsere Strategie. Wir sind uns einig, dass populäres Formulieren in Ordnung geht, aber dass sachorientierte Lösungen Vorrang haben.

STANDARD: In Ihren Vorstand wurde statt der Grazer Stadträtin Lisa Rücker EU-Parlamentarier Michel Reimon berufen. Betreibt er nicht seit Jahren sehr wohl linken Populismus?

Glawischnig: Ich schätze Michel Reimon sehr, weil er bei seiner Konzernkritik und angesichts der Steuerungerechtigkeit pointierte Positionen vertritt, ebenso wie als Datenschutzexperte.

STANDARD: Unvergessen ist aber, dass Reimon einst das Bild eines toten syrischen Flüchtlingsbuben gepostet und konstatiert hat, Kurz nehme "mehr Tote in Kauf" und "verursacht" sie auch.

Glawischnig: Ich halte wenig davon, wenn man sich gegenseitig die Verursachung von Todesfällen an den Kopf wirft. Man kann Kurz' australisches Asylabschottungsmodell auch ohne das heftig kritisieren. Das habe ich klargemacht.

STANDARD: Kurz will muslimische Kopftücher aus dem öffentlichen Dienst verbannen. Soll es eine Debatte über die Entfernung aller religiösen Symbole an Schulen und Gerichten geben?

Glawischnig: Fakt ist, dass die ÖVP jede Woche neue Verbote oder nun Obergrenzen will – aktuell wohl auch, um von den Vorgängen rund um die Stiftung von Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll abzulenken. Wenn, dann müsste man tatsächlich über eine Entfernung aller religiösen Symbole diskutieren, also auch über die Kreuze in den Gerichtssälen. Das wäre eher meine Stoßrichtung, weil es da um eine striktere Trennung zwischen Staat und Religion ginge.

STANDARD: Bei den schwarz-grünen Regierungsverhandlungen haben Sie einst selbst eine Kette mit großem Kreuz getragen. Würden Sie das heute wieder so machen?

Glawischnig: Das war damals provokant-ironisch gemeint, weil mir stets Andreas Khol (ÖVP) gegenübergesessen ist, der mich als "Marxistin" bezeichnet hat. Aber ich habe gelernt: Ironie funktioniert in der Politik nicht.

STANDARD: Angesichts der Übergriffe von Asylwerbern zu Silvester in Innsbruck: Wie wollen die Grünen sicherstellen, dass das Antanzen von Frauen nicht weiter zunimmt?

Glawischnig: Ganz klar: Frauen im öffentlichen Raum – und wenn das wie in Köln 1600 Polizisten sein müssen – gehören geschützt. Das ist eine staatliche Aufgabe, Empfehlungen, nicht ohne Begleitperson in der Nacht hinauszugehen, sind keine Lösung. Wir dürfen da keinen Millimeter zurückweichen. Daher bin ich mit einer großen Polizeipräsenz einverstanden, während es bei den deutschen Grünen auch anderslautende Meinungen gegeben hat.

STANDARD: Die Polizei kann aber auch nicht ständig überall sein.

Glawischnig: Stimmt, aber Bedrohungen und Rechtsbrüche gehören strikt und konsequent geahndet – und die Exekutive soll auch einschreiten, sobald sie bei Gruppen ungehöriges Verhalten feststellt. Denn das ist ebenso inakzeptabel wie die verbale Sexualgewalt in Internetforen. (Nina Weißensteiner, 14.1.2017)