Eine "Schwalbe" macht einen Opernfrühling: "La Rondine", beschirmt von Tizians zerstückelter "Venus von Urbino".

Foto: Werner Kmetitsch

Graz – Eine Operette von Giacomo Puccini? Die Idee war frivol, doch wurde sie genau so 1913 aus Wien an den italienischen Komponisten herangetragen. Den freute zwar das ansehnliche Honorar, den ihm offerierten orientalischen Stoff lehnte er aber ebenso ab wie das Ansinnen, die Kopie einer Wiener Operette zu liefern. "Eine komische Oper, ja, wie Rosenkavalier, aber unterhaltender und organischer", das könne er wohl schreiben, aber er brauche von den Herren des Auftraggebers Carltheater "ein Thema, das ihr Geld und meine Musik wert ist".

Den zweiten Entwurf von Franz Lehárs Librettisten Alfred Maria Willner und Heinz Reichert nahm Puccini dann an, ließ ihn aber von seinem eigenen Textbuchautor Giuseppe Adami weitgehend umformen. Bei der Uraufführung, die 1917 in Monte Carlo stattfand, wurde überhaupt nur Adami genannt, bei der Wiener Erstaufführung drei Jahre später dann gar nicht, dafür die beiden Autoren des ursprünglichen Entwurfs.

Man kann schon diese Verwirrung für einen Quell der Widersprüchlichkeit und Heterogenität halten und in der Musik fortgesetzt sehen, in der verschiedene Sphären nahtlos aufeinandertreffen: großes, ernstes, italienisches Pathos, leichter Konversationsstil, Elemente der zeitgenössischen Unterhaltungsmusik, ohrwurmträchtige Melodik und herbe Sprödheiten.

Diese Mischung war stets Anlass für Kritik, ebenso wie der Gang der Handlung, einer unverhohlenen Referenz an Alexandre Dumas' Kameliendame bzw. Verdis Traviata. Die Kurtisane Magda lässt ihr altes Leben hinter sich, um ihrer wahren Liebe zu Ruggero zu folgen. Während ganz nach Muster neben dem "hohen" noch ein "niederes" Paar, der Dichter Prunier und die Kammerzofe Lisette, dazwischenfunkt, nimmt das Drama seinen Lauf.

Umarbeitungen mit Herzblut

Es stirbt oder erkrankt zwar niemand, doch Magda sieht sich am Ende als unwürdig an, den reinen Ruggero zu heiraten, und lässt ihn sitzen. Soweit die Erstfassung, die auch in Graz gespielt wird – anstelle des Ergebnisses mehrerer Umarbeitungen, bei denen gerade das Ende noch stark verändert und insofern umgedreht wurde, dass nicht sie ihn, sondern er sie verlässt. Wie er es drehte und wendete: La Rondine blieb für den Komponisten ein geliebtes Sorgenkind. Ganz offensichtlich steckt um nichts weniger an Herzblut drin als in den anderen, reifen Opern. Die Grazer Version dieser Produktion der Deutschen Oper Berlin bleibt weder musikalisch noch szenisch hinter Aufführungen erfolgreicherer Werke zurück. Die Entscheidung zwischen einer Aktualisierung und einer Historisierung in Richtung des 19. Jahrhunderts wurde auf eine andere Ebene verschoben: Tizians Gemälde Venus von Urbino prangt anfangs als Idealisierung auf der Bühne (Johannes Leiacker), im zweiten Akt – beim Fest – ist der weibliche Akt in Fragmente zergliedert, im dritten erscheint er nur noch als ausgeschnittene Silhouette im Himmelblau.

Soubrette voller Empfindung

Die Inszenierung von Rolando Villazón setzt ebenso als erstarrtes Bild in der Art eines Tableau vivant ein, das erst zum Leben erwacht. Die Figuren sind bewusst schemenhaft angelegt, um dann umso stärker in ihre Emotionen zu kippen – je nach Charakter in verschiedenem Ausmaß. Der Bankier Rambaldo (Wilfried Zelinka), der die Dienste der Kurtisane sehr großzügig in Anspruch nimmt und sie bei ihm ihren Salon führen lässt, übt sich in nobler Zurückhaltung. Als Zofe Lisette lässt Tatjana Miyus freilich neben aller sprudelnden Soubrettenhaftigkeit in üppigen lyrischen Kantilenen Empfindsamkeit erkennen.

Der Dichter Prunier (Pavel Petrov) ist ein quirliger Charaktertenor mit sentimentalen Zügen, der Ruggero von Mickael Spadaccini eine naive, ehrliche Haut, die erst gar nicht behauptet, über vokale Vollendung zu verfügen. Dafür über alle nötige Gefühlsintensität, die sich in der Protagonistin nochmals bündelt. Als Magda vollzieht Sophia Brommer den Weg von luxuriös-entrückten Linien der Nummer von Dorettas Traum über die Verliebte zur verzweifelten Realistin inmitten der nicht zu leugnenden Widersprüche des Stücks glaubhaft nach. Dies alles wird getragen von Dirigent Marco Comin und dem Grazer Philharmonischen Orchester, die jede nötige Raffinesse für Sentiment und Herbheiten – etwa ein Zitat aus Strauss' Salome und einen lärmenden zwölftönigen Fetzen – aufbringen. Auch die Begeisterung nach der Premiere zeigte, dass über die mangelnde Repertoiretauglichkeit der Rondine noch nicht das letzte Wort gesprochen sein muss. Denn diese Schwalbe hob tatsächlich ab. (Daniel Ender, 13.1.2017)