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Georg Stefan Troller ermittelte die andere, unzugänglichere Seite von Paris. Hier sieht man den Filmemacher und Journalisten vor dem ehemaligen Hotel d'Alsace in der Rue des Beaux-Arts.

Foto: Caro/Picturedesk.com

Wien – Georg Stefan Troller interessiert sich für die Menschen. Was lapidar klingt, ist für den 95-jährigen gebürtigen Wiener eine Einstellung fürs Leben. Sie trieb ihn stets an, sich mit den Leuten zu beschäftigen, die andere erst auf den zweiten Blick oder gar nicht wahrnehmen. Als Journalist schrieb er mit seinem Pariser Journal (1962–1971) ebenso Fernsehgeschichte wie mit seiner Porträtreihe Personenbeschreibung (1971–1993). In Axel Cortis Film Wohin und zurück (1982–1986), für den er das Drehbuch schrieb, schilderte er sein eigenes Leben als jüdischer Flüchtling, von seiner Emigration bis zur Rückkehr nach Wien.

STANDARD: Sie haben einmal über sich selbst gesagt: "Sieht überall aus wie ein Ausländer, ist Österreicher aus jüdischer Familie, hat amerikanischen Pass, nahm Wohnung in Paris, fühlt sich dem deutschen Kulturraum zugehörig." Das Thema Emigration tauchte lange Zeit gar nicht auf.

Troller: Das ist seltsam, nicht wahr? Vermutlich habe ich mich das erste Mal ausführlich und ausdrücklich darüber geäußert, als man mich einlud, meine Autobiografie Selbstbeschreibung zu verfassen. Ich glaube, das war 1988.

STANDARD: Sie haben mit Ihrer WDR-Sendung "Pariser Journal" Charaktere ins deutsche Wohnzimmer gebracht, die bis dahin nicht im Fernsehen vorkamen.

Troller: Ich hatte beschlossen, nicht das Postkarten-Paris zu zeigen, sondern das Leben seiner Bewohner. Tatsächlich ging es im Pariser Journal aber darum, mit dieser Stadt zurande zu kommen, die mich zutiefst beunruhigte, verstörte, empörte. Ich lebte hier – und tue es immer noch – wie alle Ausländer in Frankreich: geduldet, aber unzugehörig.

STANDARD: Sie schrieben in der "Selbstbeschreibung", dass Sie mit dem "Pariser Journal" das Paris loswerden konnten, das Ihnen in den Eingeweiden rumorte.

Troller: Darum ging es eigentlich immer, wenn ich mich mit Paris auseinandersetzte, bis hin zu meinem allerletzten Film Tage und Nächte in Paris (2004). Praktisch heißt das: wenn Alain Delon, dann eben auch einen Bericht über einen Streik. Neben Somerset Maugham auch ein Besuch auf dem Pariser Hundefriedhof. Wenn schon eine Reportage über die Bürgermeisterwahl, dann auch eine Begegnung mit Algerien-Flüchtlingen. Insgesamt weniger die Stadt der Liebe als die des verzweifelten Lebenshungers, also auch Verrückte, Versager, Dissidenten, Maoisten, Trotzkisten, schwarze Straßenkehrer, Exzentriker, Mädchenaufreißer. Das unbürgerliche Paris, das lebendige. Vorne tat ich harmlos, hinten zeigte ich, was Sache ist.

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STANDARD: Sie sagten einmal, dass Sie auf dem Umweg über andere gelernt haben, sich selbst auf die Spur zu kommen.

Troller: Man muss sich selbst einbringen. "Hand wird nur von Hand gewaschen. Wenn du nehmen willst, dann gib", sagte Goethe. Das ist natürlich sorgfältig zu dosieren, denn die Leute, denen Sie begegnen, wollen und sollen natürlich von sich selbst reden. Irgendwann, sehr schnell, stellte ich fest, dass ich auf dem Objektiv-Ticket gar nicht fahren kann.

STANDARD: Auf welchem Ticket sind Sie denn gefahren?

Troller: In meinen Augen ist Journalismus, so wie ich ihn jahrzehntelang praktiziert habe, nur unwesentlich anders als Literatur: eine Sache gesehen durch eine Persönlichkeit mit einem bestimmten Temperament. Der Dokumentarismus, so wie ich ihn für mich entwickelt habe, wollte und konnte deshalb auch nie die Wiedergabe eines Sachverhalts sein, der an und für sich existiert.

STANDARD: Können Sie sich vorstellen, dass man Sie, so wie es Roland Barthes gesagt hat, vor eine Zigarrenkiste setzt und Sie nach Versenkung in den Gegenstand eine Mythologie präsentieren?

Troller: Ja, der Barthes konnte so was. Toll, nicht wahr? Das könnte ich sicher nicht, wollte es auch nicht. Mich würde eher der Besitzer oder die Besitzerin der Zigarrenkiste interessieren. Dabei könnte dann die Zigarrenkiste zu einem wichtigen Requisit werden. Aber das müsste sich ergeben.

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STANDARD: Wie halten Sie es mit literarischen Vorfahren?

Troller: Wenn ich mir selbst eine Ahnengalerie anlegen könnte, dann wären meine Vorfahren eher Joseph Roth oder Anton Kuh – beides Österreicher wie ich selbst -, wobei ich mich glücklich schätze, dass ich ihnen nachfolge und nicht zeitgleich mit ihnen arbeiten musste. Da würde ich dann vielleicht ein bisschen blass aussehen. Aber dass ich deren Echo noch eine Weile weitertragen konnte, das gefällt mir schon.

STANDARD: Ist in Ihren Filmen auch einmal etwas schiefgegangen? Gab es nie Ladehemmungen bei der einen oder anderen Begegnung?

Troller: Ein wunder Punkt. Natürlich hat man bei manchen Personen, vor allem Berühmtheiten, die Möglichkeit, sich vorher zu informieren. Leider passierte es aber auch häufig, dass wir keine Ahnung hatten, wem wir da gegenübertraten. Dann hängt alles von Intuition und Wagemut ab, das eben doch noch hinzukriegen.

STANDARD: Sie sind einmal in einem Film von Roberto Rossellini aufgetreten.

Troller: Wir wollten für die ZDF-Reihe Personenbeschreibung eine Dokumentation über ihn drehen. Rossellini drehte gerade selbst einen Film über den Messias. Das große Problem, als wir ankamen: Der Oberpharisäer hatte sich, weil er mit seiner Gage nicht mehr einverstanden war, aus dem Staub gemacht. Da kam die Produzentin auf mich zugestürzt und fragte, ob ich eventuell bereit wäre, die Rolle zu übernehmen. Ich sagte, ich sprech' doch gar kein Italienisch, was sie aber völlig unbeeindruckt ließ. Filme in Italien würden ohnehin alle nachsynchronisiert. Als Gegenleistung durften wir dann unseren Film drehen. Irgendwann später sah ich den Messias von Rossellini. Neugier groß. Und da war ich! Dass ich ein so schlechter Schauspieler bin, hatte ich nicht gedacht. (Ralph Eue, 16.1.2017)