Ein Landesfürst geht.

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Politik im Land unter der Enns – das ist Politik, wie sie heute kaum noch vorkommt. Wie sie sich aber viele wünschen: ein mächtiger Patron, der, ausgestattet mit absoluter Mehrheit, für das Wohl des Landes und seiner Bürger sorgt. Und nicht dieser ermüdende politische Streit, der etwa die Koalitionsregierungen auf Bundesebene so kraftlos erscheinen lässt.

Erwin Pröll hat solche Politik in den vergangenen Jahrzehnten verkörpert wie keiner seiner Vorgänger. Und er ist dafür zuletzt vor vier Jahren noch einmal von den Wählern belohnt worden: Obwohl mehr Parteien antraten und in den Landtag kamen (das heute fast vergessene Team Stronach erhielt immerhin fast jede zehnte Stimme), konnte die Volkspartei noch einmal ihre absolute Mehrheit halten.

Das hätte ohne Pröll wohl nicht funktioniert. Und es ist auch nicht sehr wahrscheinlich, dass es mit einer anderen Person an der ÖVP-Spitze bei der in einem Jahr fälligen Landtagswahl klappen wird.

Wahlschlappe nach langer Wartezeit

Es hat ja vor 25 Jahren auch nicht funktioniert. Im Frühjahr 1992 hat Erwin Pröll die niederösterreichische Landespartei von Siegfried Ludwig übernommen – ein Jahr vor der Landtagswahl. Ludwig hatte in seiner besten Zeit mehr als 54 Prozent der Stimmen bekommen (was Pröll 2008 ebenfalls gelang), 1988 aber war die absolute Mehrheit verlorengegangen.

Jeder im Land – und der Großteil der niederösterreichischen ÖVP – schien zu wissen, dass Pröll der bessere Kandidat und der bessere Landeshauptmann sein würde. Es kam anders: Beim St. Pöltner Parteitag wurde Pröll 1992 zwar an die Parteispitze gehievt, mit dem jungen Ernst Strasser holte er sich einen guten Kampagnemanager – aber die Wahl 1993 brachte ein Minus von drei Prozentpunkten und drei Mandaten für die ÖVP.

Prölls Analyse damals lautete: Ludwig habe zu spät Platz gemacht, das Team Pröll/Strasser habe zu wenig Zeit gehabt, den Landesbürgern Prölls Motto zu verklickern: "Es muss sich vieles ändern, damit das Gute bleibt, wie es ist."

Der Hintergrund des schwarzen Niederösterreich

Tatsächlich war Pröll als Veränderer angetreten: Ihm ging es darum, ein niederösterreichisches Landesbewusstsein zu schaffen – daran hatte es seit der Abspaltung von Wien als eigenem Bundesland 1921 gefehlt. Jene Trennung in den 1920er-Jahren hatte auch zur Folge, dass das Land schwarz wurde: Bis zur Trennung war der Sozialdemokrat Albert Sever mit den Stimmen des roten Wien Landeshauptmann gewesen. Danach aber dominierten die Christlichsozialen, teilweise in scharfem Konflikt mit den roten Arbeitern der niederösterreichischen Industriestädte.

Diesen Hintergrund muss man kennen, wenn es um die Bestrebungen der 1980er-Jahre geht, Niederösterreich zu emanzipieren: Der (erstmals vom VP-Arbeitnehmerflügel ÖAAB gestellte) Landeshauptmann Ludwig forcierte die Gründung einer Landeshauptstadt, sein Stellvertreter Pröll aus dem Bauernbund machte sich gleichzeitig um die Regionalpolitik verdient. Da ging es um mehr als um Förderpolitik: Mit Dorferneuerung und Ortsbildpflege begann Pröll – unterstützt von Architekten, Künstlern und nicht zuletzt dem Wiener Publizisten und Stadtpolitiker Jörg Mauthe – eine sanfte Modernisierung des ländlichen Raums bei gleichzeitiger Beseitigung früherer Bausünden.

Pröll wollte das Land verändern. Das tat er auch

Schon in seiner Zeit als Landesrat begann er die Publikationsreihe "Niederösterreich schön erhalten, schöner gestalten", die es inzwischen auf 154 Hefte gebracht hat – wobei in jedem Heft Erwin Pröll quasi als persönlicher Schutzherr der niederösterreichischen Ortsbildpflege auftritt. Ähnlich präsent war er in seinen ersten Jahren als Umweltreferent der Landesregierung, womit er das in jener Zeit weitaus meist beachtete Politikfeld besetzen konnte.

Pröll zog am 27. März 1980 im Alter von 34 Jahren in das Büro des niederösterreichischen Agrarlandesrats, das sich damals noch in der Wiener Teinfaltstraße befand – ging man von dort in das Gebäude der Landesregierung in der Herrengasse, kam man am Sitz des niederösterreichischen Bauernbunds vorbei. Da wusste man, wo die Macht daheim ist.

Der spätere Landeshauptmann hatte als Referent im Bauernbund gelernt, wie man mit Macht und Geld umgeht. Und er hat nie Zweifel daran gelassen, dass die Ära Ludwig nur ein Zwischenspiel sein konnte. Immerhin eines, das zum Bau des Landeshauptstadtviertels in St. Pölten genutzt wurde – in das Pröll dann später einziehen konnte.

Kultur sollte das Landesbewusstsein prägen

Aber noch hatte er sich zu gedulden: 1981 wurde er erst einmal Landeshauptmann-Stellvertreter, was er zehn Jahre lang blieb. Die Zeit nutzte er, um sich auch mit der Hilfe des langjährigen Raiffeisen-Chefs Christian Konrad als Macher zu stilisieren, der "Club Niederösterreich" wurde zu einem Vorfeldverein weniger für die ÖVP als für die Politik Prölls. Hier wurde nachgedacht, diskutiert, publiziert – und es wurde bei Charity-Veranstaltungen Geld für Sozialprojekte gesammelt.

Und immer wieder wurde die Kultur gefördert. Denn das ist Pröll besonders wichtig: Landesidentität wird vor allem auf kulturellem Gebiet geschaffen. So positionierte er den von der Republik Österreich vergessenen sozialdemokratischen und wegen seiner jüdischen Abstammung von den Nazis vertriebenen Dichter Theodor Kramer als niederösterreichischen Landesdichter, er förderte den von vielen Konservativen missverstandenen Maler Hermann Nitsch, und er sorgte dafür, dass Grafenegg einen festen Platz unter den Festivalstandorten in Europa bekam.

Dieses System Pröll erinnerte in vielem an das System Kreisky der 1970er-Jahre: Fasziniert von der Macht und informiert darüber, dass es eben die Mächtigen sind, die einem beim Aufbau von Netzwerken helfen, kamen Künstler, Wissenschafter und Wirtschaftstreibende (gerade auch solche aus anderen politischen Lagern) zu Prölls Festen.

Wer etwas wollte, musste sich arrangieren

Da wusste sich der letzte Landesfürst zu inszenieren, er verteilte seine Huld – zum Ärger seiner Neider: Die SPÖ setzte ihm inzwischen fünf Landesparteivorsitzende entgegen, viele von ihnen waren den Niederösterreichern, wenn überhaupt, gerade einmal namentlich bekannt. Auch die anderen Parteien blieben im Land unter der Enns unbedeutend. Zum Ersten, weil eben alle zum mächtigen Landeshauptmann strebten. Zum Zweiten, weil eben auch die Medien nur dem mächtigen Landeshauptmann Aufmerksamkeit schenkten und nicht den Exponenten kleiner Parteien, die ohnehin nicht viel zu sagen haben. Und drittens, weil diese Exponenten der kleinen Parteien sich wunderbar mit dem System Pröll zu arrangieren wussten – wer etwas erreichen wollte, arrangierte sich in den vergangenen 37 Jahren eben mit Pröll.

Überhastete Übergabe

Das erklärt auch, warum in der Landesregierung alle (außer bei einer Sitzung die Freiheitliche Barbara Rosenkranz) die Subventionen für die Dr.-Erwin-Pröll-Privatstiftung mitgetragen haben – und es im Landtag auch keine Mehrheit dafür gibt, die Fragen nach Zweck und Gebarung dieser Stiftung parlamentarisch zu diskutieren. Aber dass er sich nun überhaupt mit so etwas herumschlagen sollte, war Erwin Pröll dann offenbar zu viel. Er ging schneller, als er noch vor einem Jahr – als er die Kandidatur für die Bundespräsidentschaft mit der Begründung ablehnte, er sei den Landesbürgern im Wort – vorgehabt hatte. Daher hat man auch den Eindruck, dass die Hofübergabe überhastet passiert.

In den Jahren 1980 bis 1992, in denen Pröll auf seinen Aufstieg an die Landesspitze hinarbeitet, hat er gelernt, darauf zu achten, dass niemand anderer ähnliche Strategien entwickelt. Deshalb hat er keinen Kronprinzen groß werden lassen, die designierte Kronprinzessin auch nicht. Für das System Pröll gibt es keine Fortsetzung. Vielleicht ist das von ihm selbst so gewollt. (Conrad Seidl, 17.1.2017)