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Die anhaltende Kältewelle stellt Frankreich vor essenzielle Probleme. Der hohe Stromverbrauch durch elektrisches Heizen könnte dazu führen, dass die Elektrizitätsversorgung des Landes gefährdet ist.

Foto: REUTERS/Christian Hartmann

Frankreichs Energieministerin Ségolène Royal hat derzeit nur Augen für das Thermometer. Sinkt es um ein Grad, steigt der Stromverbrauch um 2.400 Megawatt. Und derzeit liegen die Temperaturen mehrere Grad unter dem Durchschnitt. Fazit: Das Atomstromland Frankreich ist nicht in der Lage, genug Elektrizität zu produzieren.

Die Kälte herrscht zwar auch anderswo in Europa. Aber in Frankreich hat sie stärkere Auswirkungen auf den Stromverbrauch: 39 Prozent der Wohnungen und Häuser heizen elektrisch. Das ist eine Folge der französischen Energiepolitik, die seit den 70er-Jahren zu großen Teilen auf dem nationalen AKW-Park beruht. In Frankreich herrschte bisher der Glaube vor, dass der Strom aus der Steckdose sozusagen unerschöpflich, auf jeden Fall spottbillig sei. Deshalb richteten viele Hausbesitzer keine Zentralheizung ein, sondern begnügten sich mit Elektroradiatoren.

AKW in Wartung

Und die verschlingen im Winter gewaltige Mengen an Strom. Ein zusätzlicher Kältegrad entspricht der Leistung von zwei Atomreaktoren. Deren 58 sind in Frankreich im Betrieb – im Prinzip. Ein halbes Dutzend ist aber derzeit wegen Wartungsarbeiten abgeschaltet. Jetzt, wo die Landesproduktion auf mehr als 90.000 Megawatt steigt, fehlen die sechs Meiler, die zusammen auf 6.400 Megawatt kommen. Großpannen drohen etwa in der Region Normandie, wo die Atomkraftwerke seit Monaten im roten Bereich produzieren und mehrere Tausend Haushalte ohne Strom sind.

Und aus einer regionalen Panne könnte eine Kettenreaktion entstehen. Der französische Stromtransporter RTE warnt: "Von Dienstag bis Freitag sind die verfügbaren Margen reduziert." Der Radiosender RTL fasst das in eine griffigere Frage: "Droht Frankreich ein Blackout?"

RTE hält die Versorgung zumindest am Dienstagabend für gewährleistet. Die fehlenden 6.000 Megawatt werden auf verschiedene Weise zusammengekratzt. Den Hauptteil liefern Stromimporte aus Deutschland, der Schweiz oder Spanien. Normalerweise produziert Frankreich einen Überschuss an Atomstrom und führt ihn aus. Wenn es aber kalt wird in Europa, kehrt der "Stromlastfluss" um, wie es im Jargon heißt.

Mehrere französische Atomkraftwerke haben angekündigt, Wartungsarbeiten aufzuschieben. Das soll "ein Maximum der Produktionskapazität ermöglichen", heißt es aus dem AKW in Nogent-sur-Seine östlich von Paris.

Kampagne zum Stromsparen

Dazu hat Royal, die zugleich Umweltministerin ist, prophylaktisch im Dezember eine Kampagne zum Stromsparen lanciert. "Ich fülle meine Waschmaschine und meinen Geschirrspüler besser", instruiert sie, oder: "Ich ziehe mich wärmer an und senke die Zimmertemperatur um ein oder zwei Grad." Computer und dergleichen sollen über Nacht abgestellt werden. "Stromfresser" wie Wasserkocher, Kaffeemaschinen oder Lifte sollen unbenützt bleiben. Die Franzosen sollen das Treppensteigen neu entdecken.

Dank Stromimporten und Sparverhalten hofft RTE die Engpässe am Morgen und um die Abendessenszeit zu überstehen. Für Notfälle hat sie weitere Maßnahmen im Köcher.

Mit zwei Dutzend Industriebetrieben, die wie das Aluminiumwerk in Dünkirchen besonders stromintensiv arbeiten, haben die Behörden Abkommen geschlossen: Droht ein Blackout, können sie binnen Sekunden den Verbrauch herunterfahren. Das würde auf einen Schlag 1.500 Megawatt einsparen, müsste von RTE aber auch im Umfang von 100.000 Euro entschädigt werden.

Im Notfall könnte das Staatsunternehmen auch die Netzspannung um fünf Prozent senken. Das hätte aber nur zur Folge, dass die Herdplatten etwas weniger heiß würden, ließ RTE-Chef François Brottes verlauten. (Stefan Brändle aus Paris, 18.1.2017)