Theresa May hat mit ihrer als programmatisch angekündigten Rede die schlimmsten Erwartungen übertroffen. Wie auf dem Jahrestreffen ihrer konservativen Partei im Oktober wandte sich die Premierministerin des Vereinigten Königreiches nur an die Hardliner unter den 51,9 Prozent, die vergangenes Jahr für den EU-Austritt gestimmt hatten. Dabei gab es selbst unter dieser knappen Mehrheit von Stimmbürgern eine beträchtliche Zahl von Menschen, die mit einem weichen Brexit zufrieden wären.

Hingegen setzt May auf den harten Ausstieg. Sie argumentiert wie die EU-feindliche Ukip: Beide Seiten im Referendumskampf hätten vorab deutlich gemacht, das Land könne außerhalb der EU nicht Teil des Binnenmarktes sein.

Doch diese Behauptung bleibt trotz gebetsmühlenartiger Wiederholung falsch. In der Zollunion will London irgendwie bleiben, sich aber an gemeinsamen Außenzöllen nicht beteiligen, schließlich will man ja "global" sein und mit Ländern in Übersee Handelsabkommen abschließen. Und wehe, Brüssel kommt London nicht entgegen – dann wandeln die Briten ihre Insel zu einem Offshoreparadies um, locken internationale Investoren mit Niedrigststeuern und machen den EU-Bürgern, die Gesundheitssystem und Universitäten am Laufen halten, das Leben schwer. Nur wer den Briten noch immer freundlich gesonnen ist, kann solche Unverschämtheiten für liebenswerte Schrullen halten.

Die Premierministerin verwendete immerhin auch ein wenig Zeit darauf, die zukünftige enge Kooperation in Sicherheitsfragen zu besingen. Dabei versteht sich die gemeinsame Terrorabwehr von selbst, und die Nato-Verpflichtungen bleiben natürlich bestehen. Die Kontinentaleuropäer sollten den Briten faire Bedingungen anbieten, ihnen aber keinen Fußbreit entgegenkommen. Nur diese Sprache wird auf der Insel verstanden.

Im Übrigen wird die zur Brexit-Begeisterung konvertierte Bewohnerin der Downing Street bald mit schwersten innenpolitischen Problemen konfrontiert werden. Dazu gehört die Verfassungskrise in Nordirland. May und ihr Vorgänger David Cameron haben die stets fragile frühere Unruheprovinz sträflich vernachlässigt; der Brexit gefährdet die mühsam gewonnene Annäherung auf der Grünen Insel.

Immer verfahrener wird auch die Situation in Schottland. Dort war das Unabhängigkeitsreferendum 2014 nicht zuletzt deshalb verlorengegangen, weil über die künftige EU-Mitgliedschaft Unklarheit bestand. Jetzt wird die stolze Nation gegen ihren Willen aus der EU gezerrt. Brüssel beginge einen großen Fehler, wenn es den Schotten in deren schwieriger Lage nicht entgegenkäme.

Am Ende dieses Jahrzehnts wird Großbritannien bestenfalls wieder die gerade erst abgestreifte Rolle als Pudel Amerikas übernehmen dürfen. Schlimmstenfalls liegen dann Wirtschaft und Verfasstheit einer Nation namens Kleinbritannien in Trümmern. Statt den Brexit-Schaden zu begrenzen, richtet die Premierministerin weitere Zerstörungen an. Die Briten haben schwere Jahre vor sich. (Sebastian Borger, 17.1.2017)