Die Bretter werden in Wijk aan Zee angerichtet.

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Emsiges Treiben beim Tata Steel Chess.

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Ragger vs. Hansen, nach 24.Se6: Die schwarze Königsstellung ist zerrüttet, Hansen gab auf.

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Wijk aan Zee – Im Winter ist Wijk aan Zee an der niederländischen Nordseeküste ein recht verschlafenes Dörfchen. Keine Badegäste, keine Surfer, wenig Besuch aus dem nur 20 Kilometer entfernten Amsterdam für den 2.400 Einwohner zählenden Ort.

Aber dann kommen die Schachspieler. Zu hunderten strömen sie ab Mitte Jänner für gute zwei Wochen herbei, um in diverse Amateurturnieren ihre Kräfte zu messen und dabei den Großen und ganz Großen der Zunft über die Schultern zu schauen. Die Profis tragen ihre Partien nämlich traditionell nur wenige Meter vom schachlichen Fußvolk entfernt in derselben riesigen Spielhalle aus.

Die Seele des Spiels

Wijk aan Zee ist das Wimbledon des Schachs: Seit 1938 ohne Unterbrechung jährlich veranstaltet, haben sich bis auf zwei Ausnahmen alle Schachweltmeister der Nachkriegsgeschichte in die Siegerliste des Traditionsturniers eingetragen. Wer hier das Masters gewinnt, für den kann das Schachjahr schon im Jänner kaum mehr besser werden. Denn in Wijk wohnt gewissermaßen "die Seele des Spiels", wie der vierfache Turniersieger Levon Aronjan es dieses Jahr versonnen formulierte.

Die Veranstalter sorgen per Einladung für die richtige Mischung aus absoluter Weltklasse, niederländischen Spitzenspielern und den vielversprechendsten internationalen Jungstars. Das ungewöhnlich lange Format von dreizehn Partien, jeder gegen jeden, trägt zur besonderen Bedeutung eines Turniersiegs bei: In Wijk aan Zee gibt es keine Zufalls-Champions.

Der einzig direkte Weg zur Qualifikation für das Masters führt über einen Sieg in der parallel ausgetragenen Challengers-Gruppe. Und hier wird es für österreichische Schachfans heuer besonders interessant: Mit Großmeister Markus Ragger ist 50 (!) Jahre nach dem legendären Karl Robatsch wieder ein Österreicher in Wijk mit von der Partie.

Mit 2.697 ELO-Punkten ist der 28-Jährige, in der österreichischen Bundesliga für den SK Maria Saal aktiv, außerdem der Spieler mit der höchsten Rating-Zahl im vierzehnköpfigen Challengers-Feld. Die Schnell- und Blitzschach-WM kurz vor Jahreswechsel in Doha hatte Ragger deshalb ausgelassen, um sich voll und ganz auf die bisher größte Aufgabe seiner Schachkarriere zu konzentrieren.

Vier aus vier

Nach vier gespielten Runden lässt sich die erste Zwischenbilanz ziehen: Besser hätte es für Markus Ragger mit vier Siegen aus vier Partien bisher nicht laufen können. Eine Augenweide, wie Österreichs Nummer eins die starke internationale Gegnerschaft Runde um Runde nach Strich und Faden überspielt, darunter Kapazunder wie Juniorenweltmeister Jeffery Xiong aus den USA, dem Ragger in Runde eins in einer Modellpartie zum Thema "Guter Springer gegen schlechten Läufer" eine Lehrstunde erteilt.

Beeindruckend fällt auch Raggers Sieg in der dritten Partie gegen den starken Kanadier Eric Hansen aus: Einen fehlgeleiteten Angriff auf sein Zentrum kontert der mit den weißen Steinen spielende Turnierleader mit einem vernichtenden Königsangriff. Hansen kann dem Matt nur unter Materialverlust entgehen und gibt nach 24 Zügen auf, als Zuschauer denkt man: So sieht Weltklasse aus.

Einzig der israelische Routinier Ilia Smirin kann Raggers Tempo bisher einigermaßen mitgehen. Mit dreieinhalb Punkten aus vier Partien liegt er einen halben Punkt hinter dem Österreicher, die beiden treffen erst in Runde acht aufeinander. Und natürlich ist das Turnier noch lang, sehr lang: Weitere neun Partien stehen den Spielern nach einem am Mittwoch eingeschobenen Ruhetag bevor.

Carlsens Sechste

Auch im Masters wurden bereits emsig vier Runden lang die Holzklötze geschoben, Weltmeister Magnus Carlsen notiert mit zwei Siegen und zwei Remis bei standesgemäßen drei Punkten. Mit einem weiteren Turniersieg könnte er sich im zarten Alter von 26 Jahren bereits zum König von Wijk aan Zee krönen: Nur Viswanathan Anand hält wie der Norweger derzeit bei fünf Turniersiegen. Der indische Ex-Weltmeister fehlt heuer, müsste Carlsen den Rekord im Falle dessen Sieges also kampflos überlassen.

Noch führt mit dem Ukrainer Pawel Eljanow allerdings ein Außenseiter, der mit dreieinhalb aus vier einen fast ebenso perfekten Start erwischte, wie Markus Ragger in der Challengers-Gruppe. Und Wesley So aus den USA, Aufsteiger des vergangenen Jahres und vierter der aktuellen Weltrangliste, liegt mit Carlsen gleichauf und könnte durchaus reif für seinen ersten großen Coup in Wijk sein.

Mehr als ein guter Anfang

Obwohl der Fokus in Wijk aan Zee natürlich auf dem Masters liegt, hat Markus Raggers Siegesserie im Challengers-Turnier Aufmerksamkeit erregt: Die Nummer 47 der Welt ist auf dem besten Weg, zu einem wohlbekannten Namen für Schachfans in der ganzen Welt zu werden. Wie es denn um die Aufmerksamkeit für das Schach in Österreich bestellt ist, fragt eine Reporterin den Kärntner nach seinem vierten Sieg en suite folgerichtig.

Ragger schmunzelt, antwortet dann diplomatisch. "Es hat sich verbessert. Aber es bleibt noch viel zu tun." Ein Sieg im Challengers und damit die Qualifikation für das nächstjährige Masters von Wijk aan Zee, die Königsklasse des Schachs – es könnte auch in diesem Sinne mehr als nur ein guter Anfang sein. (Anatol Vitouch, 18.1.2017)