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2009 hatte Chelsea Manning noch unter dem Namen Bradley der Enthüllungsplattform Wikileaks geheime Dokumente zugespielt. Nun wurde ihr Strafausmaß von 35 Jahren auf sieben reduziert.

Foto: Reuters/U.S. Army/Handout

Zuletzt waren alarmierende Nachrichten aus Fort Leavenworth gekommen. Zweimal, erst im Juli, dann erneut im November, hatte Chelsea Manning versucht, sich das Leben zu nehmen. Man konnte ahnen, wie sie litt in dem Militärgefängnis in Kansas. Zumal sie sich, geboren als Bradley Manning, als Frau fühlte, die im falschen Körper lebte. Zumal sie in einer Haftanstalt eingesperrt war, in der sonst nur Männer einsaßen. Vor Monaten trat sie in den Hungerstreik, den sie erst beendete, als die Armee zusagte, auf ihre Bitte nach einer Geschlechtsumwandlung einzugehen.

Die Strafe sei ungerecht und empörend, "sie steht in keinem Verhältnis zu dem, was ich getan habe", schrieb die 29-Jährige in einem Gnadengesuch. In einer seiner letzten Amtshandlungen als Präsident hat Barack Obama den Ruf nach Milde erhört. Statt bis 2045 hinter Gittern sitzen zu müssen, kommt Manning in vier Monaten frei.

Obama: Urteil nicht verhältnismäßig

Das ursprüngliche Strafmaß von 35 Jahren Haft sei im Vergleich zu anderen Urteilen gegen sogenannte Whistleblower nicht verhältnismäßig gewesen, sagte Obama am Mittwoch bei seiner letzten Pressekonferenz als US-Präsident im Weißen Haus.

"Ich bin guten Mutes, dass der Gerechtigkeit genüge getan ist und trotzdem ein Zeichen gesetzt wurde", sagte Obama. Niemand solle glauben, dass der Verrat von Details über die Nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten ungesühnt bleibe.

Mit den nahezu sieben Jahren, die sie bereits im Gefängnis verbracht habe, habe sie eine angemessene Strafe verbüßt, begegnet das Weiße Haus den Einwänden konservativer Kritiker, die wie der Senator John McCain von einem schweren Fehler sprechen.

Obamas Entscheidung kommt insofern überraschend, als kaum ein anderer US-Präsident mit solcher Härte reagierte, wenn Whistleblower öffentlich machten, was unter Verschluss bleiben sollte. Schon um Nachahmer abzuschrecken, holte er ein altes Gesetz aus der Rumpelkammer, den Espionage Act von 1917, mit dem praktisch jeder, der Interna ausplaudert, zum Spion gestempelt werden kann. Die Causa Manning war nur einer von neun Fällen, in denen sich das Kabinett Obama auf das Gesetz berief, um Whistleblower vor Gericht zu stellen.

Bradley Manning, wie Chelsea Manning damals hieß, war 2009 als Computeranalytiker mit seiner Einheit in den Irak verlegt worden. Im Camp Hammer, einer kleinen Kaserne in der Nähe Bagdads, konnte er unbeschränkt auf ein Netzwerk zugreifen, mit dessen Hilfe sowohl die Streitkräfte als auch die Botschaften der USA kommunizieren. Vor einer Militärrichterin hat er später geschildert, wie schockiert er war, als er mitbekam, mit welcher "Lust am Töten" die US-Soldaten 2007 an Bord zweier Apache-Hubschrauber in Bagdad Raketen abfeuerten und 13 Iraker töteten, unter ihnen einen Fotografen der Nachrichtenagentur Reuters. Nicht nur den Videomitschnitt des Angriffs spielte er Wikileaks zu, auch ungefähr 250.000 vertrauliche Depeschen, in denen amerikanische Diplomaten ohne diplomatische Schnörkel schilderten, wie sie über ihre Gastländer und deren Politiker dachten.

Als Manning vor Gericht stand, zeichnete sein Verteidiger das Bild eines von Idealen beseelten, wenn auch naiven Weltverbesserers, der nie hätte zur Armee gehen dürfen. Manning selbst hatte am Ende des Verfahrens mit Worten, die an einen Kniefall grenzten, um Nachsicht gebeten. "Ich frage mich, wie ausgerechnet ich, ein Analytiker von niedrigem Rang, glauben konnte, dass ich die Welt zum Besseren ändern würde."

Fälle Snowden und Assange

Die Reue dient dem Weißen Haus nunmehr als Argument, um nicht nur die Freilassung zu rechtfertigen, sondern auch, um zu begründen, warum ein Whistleblower ähnlichen Kalibers nicht ebenfalls begnadigt wird: Edward Snowden, das Computergenie, das die Abhöroffensive der NSA in ihrem ganzen Ausmaß offenlegte. Bei ihm, so Obamas Sprecher Josh Earnest, lägen die Dinge anders. Chelsea Manning habe sich der Justiz gestellt und Fehler eingestanden. Snowden dagegen sei "in die Arme des Feindes" geflohen. Dass Snowden nicht mehr wegkam nach seiner Landung in Moskau, weil er nach einer Intervention Washingtons keinen gültigen Reisepass mehr besaß, erwähnte Earnest allerdings nicht.

Assange wiederum hatte einst wissen lassen, dass er sich an die USA ausliefern lassen werde, sobald Manning freikomme. Er sei dann bereit, seinen Zufluchtsort, die Botschaft Ecuadors in London, zu verlassen. Am Mittwoch ließ er seine Anwälte verkünden, es sei noch zu früh zu sagen, ob es tatsächlich zu einer Auslieferung komme. (Frank Herrmann aus Washington, 18.1.2017)