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Das ist ein harmloses Kartenspiel. Ohne Killer und politisch korrekt.

Foto: dpa/Marc Tirl

Als Autor kommt man herum. Ich komme bis nach München. Nicht weit vom Bahnhof, in der Goethestraße, wohne und arbeite ich in der Einzimmerwohnung von Alex, dem Zwillingsbruder von Felix dem Liguster. Fast alle Möbel hier sind aufblasbar. Und ich bin ein Schnarcher.

Work

Genauso vergehen unsere stillen Tage in München. Wir arbeiten an einer 3D-Serie über Lebensmittel, die in einem Kühlschrank leben. Als ich "Sausage Party" neulich im Kino sehe, bin ich froh, dass andere diese wunderbare Idee besser umsetzen, als wir es damals dürfen. Und dass wir nicht dürfen, wie wir wollen, liegt am Idioten, der Alexens Geschäftspartner ist. Er verlangt, dass alles an unserer Serie politisch korrekt ist.

Jeden Tag fallen ihm neue Einschränkungen ein, die mich zwingen, schon Geschriebenes wieder umzuschreiben. Oberste Direktiven häufen sich in Form von Memos. Niemand darf beleidigt sein, ganz besonders nicht Religionsgemeinschaften. Sex und Gewalt sind absolut tabu, die Charaktere sollen multiethnisch sein, aber ohne "folkloristische Klischees", die – ihr ahnt es schon – jemanden beleidigen könnten. Alles, was später gut und richtig bei "Sausage Party" ist, darf ich damals nicht schreiben.

Am Ende schmeiße ich diesen Job hin und sage dem Idioten, er solle mich anrufen, wenn er aufhört, ein Idiot zu sein. Überflüssig zu sagen, dass weder die ultrakorrekte Serie jemals realisiert wird noch Alexens Partner mich anruft.

Sleep

Nach unserem täglichen Kampf um supersauberen Humor sind wir beide sehr müde. Manchmal versuchen wir noch einen Film zu sehen. Doch schon im ersten Akt dämmern wir ein.

Dann wankt ein jeder von uns zu seiner Matratze. Onanie vor dem Wegpennen ist nicht nur wegen der nicht vorhandenen Intimsphäre unmöglich – offenbar sind unsere Schwänze noch müder als wir. Dennoch stört mein Schnarchen unsere mönchische Harmonie ein wenig. Nach einer Woche bittet mich Alex, meine Matratze in die Küche zu verlegen. Außer einem kleinen Badezimmer und dem Flur ist das der einzige Raum, in dem ich vielleicht doch noch onanieren kann und in den noch eine Matratze passt. Fast.

Es fehlen etwa 30 Zentimeter, dann würde meine Matratze flach auf dem Küchenboden aufliegen. So jedoch schlafe ich noch drei Wochen in einer Halfpipe. Der einzige Bonus ist, dass nur eine Armlänge von mir entfernt die Kühlschranktür ist. Dort ist immer Bier. Das ist besser als Wichsen. Ich schlafe den Schlaf des Don Quijote. Denn morgens erwartet mich eine neue Windmühle aus Memos über politisch korrekten Humor.

Eat

Anfangs halten Alex und ich es für eine gute Idee. Wir kochen in seinem größten Topf gefüllte Paprika und Sarma in Kompaniequantität und frieren es portioniert ein. Es klappt gut. Das Tiefkühlabteil ist sorgsam befüllt, und wir haben mehr Zeit für die Memos des Idioten.

Nach fünf Tagen Paprika/Sarma stellen wir unsere Ernährung komplett auf Fastfood-Ketten um. Jeder Wochentag ist einem anderen Konzern gewidmet, der Burger brät oder Hühner brät oder Pizza bäckt oder lange Brötchen zusammenstellt. Das halten wir einen Monat lang durch. Dann finden wir in einer dunklen Ecke des Tiefkühlfachs gefüllten Paprika und Sarma.

Repeat

Die Tage fließen einer in den anderen. Wir haben einen Schuhkarton, in den wir die Idiotenmemos werfen. Ohne sie zu lesen. Die täglichen Produktionssitzungen zum Drehbuch verbringen wir in einem komatösen Zustand.

Was am Tag zuvor abgesegnet wird und woran ich dann den Rest des Tages arbeite, gilt ab der neuen Sitzung nicht mehr, weil der Idiot recherchiert hat, dass ein Wettrennen von Lebensmitteln in Rollstühlen aus Lebensmittelverpackungen bis zu sieben Prozent des Publikums verärgern könnte. Anschließend rauche ich einen Joint auf der Terrasse und fantasiere über Gemeinheiten, die man Rollstuhlfahrern antun kann. Dann wird Alex krank.

Es ist eine heftige Verkühlung. Sein Arzt rät Alex, die Wohnung gut zu heizen und das Bett zu hüten. Aber Alex ist wie sein Zwillingsbruder Felix der Liguster (und wie meine Freundin) ein Hypochonder. Die Temperatur der Wohnung beträgt bald 30 Grad Celsius. Es wird nicht gelüftet, weil ja genug Sauerstoff durch den Türschlitz für die Post kommt. Die Feuchtigkeit, die zwei Männer in einer 30-Quadratmeter-Wohnung beim Atmen erzeugen, reicht aus, um binnen zwei Tagen erste Schimmelkulturen entlang der Fensterdichtungen wachsen zu lassen. So entsteht "Saunaman"!

Der Antiheld

Er ist nur ein übergewichtiger Nachtwächter. In einer Chemiefabrik. Die explodiert. Und fortan sind seine Schweißdrüsen so mutiert, dass aus dem dicken Nachtwächter der Superheld der dritten Art wird: Saunaman, der meistgehasste Superheld!

Wenn er das Schwitzen in den Fußsohlen aktiviert, kann er auf einer Schweißwolke fliegen. Alles andere, was ein Superheld können muss, bewerkstelligen verschiedene Schweißdrüsen auf seinem Körper. Mit dem Schweißdampf kann er Menschen betäuben bis töten, Metall binnen Sekunden korrodieren, kilometerlange Nebelschleier legen und – seine beste Waffe – halblebendigen, zombifizierten Schimmel wachsen lassen, der ganze Städte verschlingen kann. Wir denken uns "Saunaman" als dummen und ungeschickten Superhelden, der bei der Bekämpfung des Bösen groteske Kollateralschäden anrichtet, ein Rassist ist, Kinder nicht ausstehen kann und Rollstuhlfahrern den Rollstuhl unter ihren tauben Hintern wegrosten lässt, weil ihn das erheitert. Wir verfassen auch einen Titelsong. Zur Melodie von "Psycho Dad".

Doch diese Idee behalten wir für uns. Dem Idioten drehen wir eine andere Schnapsidee an.

Serienmörder sind auch nur Produkte

Weil bald Halloween ist, will Alexens Partner einen passenden "Schnellschuss", etwas, das man billig und schnell herstellen, unter die Leute bringen und daran verdienen kann. Und wir wollen nur etwas Geld aus der Sache holen. Um unseren Frust über humorbefreiten Humor ein wenig zu lindern.

Also setzen wir einen Brainstorm-Termin an, bei dem der Idiot "von selbst" auf die gute Idee kommen soll, ein Quartettspiel mit dem Thema Serienkiller zu produzieren. Wir setzen auf seine Geldgier. Alex und ich werfen einander so lange Stichworte zu, bis der Idiot sagt: "Ich hab's! Ein Killerquartett!" Wir finden "seine" Idee so enthusiastisch toll, dass er sofort bereit ist, uns einen Vorschuss zu zahlen.

Am Ende findet der Idiot heraus, dass niemand bereit ist, so ein Kartenspiel zu vertreiben, dass er es auf gar keinen Fall "Quartett" nennen darf und dass 100 Prozent der Angehörigen der Opfer der Killer aus dem Quartett beleidigt wären, wenn jemand aus ihrem Leid Kapital schlägt. Doch zu diesem Zeitpunkt ist der Vorschuss bereits in Rauch aufgegangen. Buchstäblich.

Sich selbst treu bleiben

Alex und ich sind keine Betrüger. Selbstverständlich machen wir den Job, für den wir bezahlt werden. Und verbringen zwei Wochen mit den übelsten Kreaturen, die Gott je geschaffen hat.

Von Andrej Chikatilo, der Bestie von Rostow, bis zum Zodiac-Killer wandern alle Ripper, Slasher und Stabber durch die kleine Wohnung in der Goethestraße. Besondere Schwierigkeiten bereitet uns die Einteilung von Kategorien, die Punkte bringen. Anzahl der Opfer und Länge der "Karriere" sind offensichtlich, aber das sind nur zwei. Deswegen kommen noch "Chill-Faktor" und "Koeffizient des Modus Operandi" dazu.

Es sind reine Fantasiewerte. Beim ersten punkten Killer, die durch ihre Unauffälligkeit besonders unheimlich sind und daher besonders viel Gänsehaut erzeugen. Wie zum Beispiel mörderische Kinder, beliebte Nachbarn oder die nette Oma, die Zimmer vermietet, die manche nicht mehr lebendig verlassen. Der "Koeffizient des Modus Operandi" misst, wie aufwendig der Killer seine Morde gestaltet. Nicht jeder Killer ist ein Dexter Morgan. Manche gehen sehr "elaboriert" vor, und andere sind plumpe Gelegenheitstotschläger.

Als uns der Idiot mitteilt, dass aus dem Projekt doch nichts wird, trösten wir ihn mit der Rede von den großen verkannten Ideen großer verkannter Männer. Anschließend lachen wir auf dem Balkon.

An diesem Abend schlafen wir zum ersten Mal wie Kleinkinder. (Bogumil Balkansky, 20.1.2017)