Wien – Der Prozess gegen Mato L. bietet hochinteressante Einblicke in den Alltag der Österreichischen Post AG. Der 27-jährige war im Jahr 2012 nämlich Zusteller in Wien-Simmering und hat seinen Job nicht mit dem letzten Einsatz erledigt. Genauer: Er hat innerhalb eines halben Jahres 192 Rückscheinbriefe nicht zugestellt, sondern in seinem Spind versteckt. Aufgefallen scheint das drei Jahre lang niemandem zu sein.

Stefan Erdei ist der Vorsitzende des Schöffensenats, der in dem Verfahren über Amtsmissbrauch entscheiden muss. "Also, warum haben Sie das gemacht?", fragt er den unbescholtenen Angeklagten. "Ich habe vorher im Postlager gearbeitet, dann hat es plötzlich geheißen, ich muss Zustellung machen. Die ersten drei Monate waren super, ich bin zwei Wochen eingeschult worden. Aber dann habe ich einen anderen Rayon bekommen."

Begrenzter Enthusiasmus

Ein Gebiet, in dem er sich nicht auskannte. Gleichzeitig zeigte er nur bedingt Enthusiasmus, sich mit den Gegebenheiten vertraut zu machen. "Da stehen ja Adressen drauf, das ist ja das freundliche an Briefen. Also wo ist das Problem? Sie hätten auf dem Handy nachschauen können oder einen Stadtplan nehmen, sogar so etwas gibt es noch", wundert sich Erdei.

"Ich musste auch bei anderen mithelfen", entschuldigt sich L. mit Stress. "Ich war überfordert. Mein großer Fehler war, dass ich die Rückscheinbriefe nicht retourniert habe. Ich war jung und dumm und habe nicht an die Konsequenzen gedacht."

Verblüffend ist, dass das auch sonst niemandem aufgefallen sein soll. Denn die Zahl der ausgegebenen Briefe ist eigentlich bekannt und sollte am Tagesende mit der Summe aus unzustellbaren Schreiben und ausgefüllten Rückscheinen abgeglichen werden.

Verteidigerin spekuliert über Verjährung

Noch seltsamer ist, dass L. im Dezember 2012 nach drei Tagen Krankenstand offenbar ohne Angabe von Gründen gekündigt und des Postamtes verwiesen wurde. Seinen Spindschlüssel musste er abgeben. Gefunden wurden die gehorteten Briefe aber erst im Jahr 2015. Verteidigerin Silvia Vinkovits stellt in den Raum, dass sich die Post vielleicht durch Verjährung vor etwaigen Schadenersatzansprüchen schützen wollte.

Eine Erklärung dafür könnte vielleicht ein Mitarbeiter der Post liefern. Allein: Als Erdei den Zeugen aufruft, kommt niemand. "Am 21. November wurde die Ladung mit Rückschein zugestellt", entnimmt der Vorsitzende dem Akt. "Wenigstens da hat es funktioniert." Das Nichterscheinen eines informierten Vertreters passt aber ins Bild: "Die Post war auch nicht übermäßig interessiert an der Sache", ist Erdei überzeugt. "Die Empfänger wurden nach dem Fund nicht benachrichtigt, mit der Begründung, das sei nicht vorgesehen."

Bei einer Strafandrohung von sechs Monaten bis zu fünf Jahren entscheidet sich der Senat rechtskräftig für ein Jahr bedingt. (Michael Möseneder, 21.1.2017)