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Donald Trump (Archivbild zu seiner Castingshow aus 2004): "Diese Mischexistenz aus Internettroll und Reality-TV-Star ist Profiteur einer veränderten Medienwelt", sagt Pörksen: "Er spürt den Akzeptanzverlust, wendet sich über Twitter direkt an sein Publikum und attackiert etablierte Qualitätsmedien."

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Pörksen: "Transparenz ist die entscheidende Medizin gegen Misstrauen."

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STANDARD: Die Macht der Vielen in den digitalen Medien nennen Sie "Empörungsdemokratie". Es gibt keine Trennung zwischen Medienkonsument und Medienproduzent mehr, jede und jeder mit Internetzugang kann Themensetting betreiben. Macht das die Welt gerechter?

Pörksen: Gerechtigkeit? Das ist mir zu hoch gegriffen. Die Empörungsdemokratie macht nicht alles besser und nicht alles schlimmer. Sie erlaubt es aber, und das ist mediengeschichtlich neu, dass sich jeder mit seinen eigenen Erregungsangeboten zuschalten, diese in die öffentlichen Kreisläufe einspeisen kann. Die Empörung hat ein Doppelgesicht. Sie kann grauenvolle Ungerechtigkeit sichtbar machen, im Extremfall Diktatoren zu Fall bringen, aber sie kann eben auch gänzlich Unschuldige furchtbar beschädigen – und dies auf der Weltbühne des Netzes.

STANDARD: Wie viel Meinungsvielfalt muss eine Demokratie aushalten, wie viel braucht sie?

Pörksen: Demokratie setzt Informations- und Meinungsvielfalt voraus, sie lebt vom Ideal des mündigen Bürgers, der sich erst informiert, dann seine Meinung artikuliert.

STANDARD: Müssen klassische Medien nun auf jede Empörung "von unten" eingehen?

Pörksen: In einer Zeit wachsender Erregung haben die klassischen Medien eine doppelte Aufgabe: Sie müssen zu Interpreten der Wut werden, sie müssen sich fragen: Was steckt dahinter? Gibt es – auch im Erregungsschrei – ein berechtigtes Anliegen? Gleichzeitig aber dürfen sie nicht linear auf die Empörung einsteigen – und dabei noch jede absurde oder vielleicht auch menschenfeindliche Stimme aufwerten, das wäre falsch. Klassische Medien sind Instrumente der Abkühlung, der Mäßigung und des zweiten Gedankens. Sie brauchen Gesprächsbereitschaft, Abgrenzungsfähigkeit, manchmal auch die Fähigkeit zur klärenden Konfrontation. Denn natürlich gibt es auch in einer Demokratie Standpunkte, die nicht verhandelt, nicht durch ein Pseudoverständnis aufgewertet werden sollten.

STANDARD: Donald Trump, AfD und andere eher rechts einzustufende politische Akteure kündigen den alten "Vertrag" zwischen Massenmedien und Politik auf: Kritische Journalisten werden nicht zu Pressekonferenzen zugelassen, sie werden nicht akkreditiert oder ihre Fragen werden nicht beantwortet. Eine Gefahr für die Demokratie?

Pörksen: Jede versuchte Gängelung der Medien, jeder Versuch der Einschüchterung ist gefährlich, weil eine Demokratie von unabhängiger Berichterstattung lebt. Ohne unabhängigen Journalismus keine echte Demokratie. Denn offene und verdeckte Angriffe auf Journalisten bedrohen im Extremfall das Ideal der Informationsvielfalt, das Rationalitätsprinzip des Diskurses, das besagt: Man kann hart streiten, aber man streitet in der Sache, wissend, dass der Widerspruch so etwas ist wie der Sauerstoff einer echten Debatte. Man sieht jedoch noch etwas anderes an der Härte, mit der etwa ein Donald Trump mit einzelnen Medienmachern umspringt: Der klassische, der etablierte Journalismus verliert an Akzeptanz. Und Trump – diese Mischexistenz aus Internettroll und Reality-TV-Star – ist der Profiteur einer veränderten Medienwelt, er spürt diesen Akzeptanzverlust, wendet sich über Twitter direkt an sein Publikum, lässt sich vom Spektakelfernsehen hofieren – und attackiert mit Vorliebe etablierte Qualitätsmedien.

STANDARD: Braucht eine demokratische Gesellschaft noch klassischen Journalismus, der als Gatekeeper agiert?

Pörksen: Das merkwürdige Paradox lautet: Die Umgehbarkeit der Gatekeeper, der einst nahezu allmächtigen Wächter am Tor zur öffentlichen Welt, macht diese wieder wichtiger. Wir alle sind in Zeiten umherwirbelnder Fake-News und global zirkulierender Gerüchte auf gut recherchierte Information angewiesen, die Möglichkeit der persönlich-privaten Authentizitätskontrolle ist so gut wie nicht gegeben. Diese Arbeit des Sortierens, des Gewichtens und Verifizierens ist unverzichtbar – gerade in Zeiten der barrierefreien Desinformation. Aber auch die gerade noch so mächtigen Gatekeeper müssen dazulernen ...

STANDARD: Wie soll klassischer Journalismus dem zunehmenden Misstrauen begegnen?

Pörksen: Gefordert ist neben Gatekeeping – der Informationsauswahl – eine Form der Transparenz, die die Medienwissenschafterin Hanne Detel Gatereporting nennt. Man muss erklären, warum man bestimmte Nachrichten auswählt und andere nicht, was eine seriöse Quelle auszeichnet, wie man selbst recherchiert hat. Diese Erklärung des eigenen Handwerks ist heute der unvermeidliche Zweitjob des Journalisten. Transparenz ist die entscheidende Medizin gegen Misstrauen.

STANDARD: Was muss und kann die Medienpolitik demokratischer Gesellschaften leisten gegen Verrohung und Empörung in der öffentlichen Kommunikation?

Pörksen: Politiker und Journalisten sind selbst nur Teilnehmer des großen, brummelnden und manchmal eben hasserfüllt tönenden gesellschaftlichen Gesprächs. Gefordert ist eine Medienmündigkeit auf der Höhe der Zeit, die alle Beteiligten involviert. Und ich glaube: Wir müssen breiter ansetzen, denn die Grundfragen des guten Journalismus nach der Glaubwürdigkeit, der Relevanz und der Verbreitungsnotwendigkeit von Information sollten heute zu einem Element der Allgemeinbildung werden. Früher war die Frage, was publiziert wird, was eine authentische Quelle darstellt, wie man Informationen härtet und recherchiert, nur ein Spezialproblem einer Profession, von Journalistinnen und Journalisten. Heute betreffen diese Fragen alle. Sie sollten, davon bin ich überzeugt, in den Schulen gelehrt werden. (Olivera Stajić, 20.1.2017)