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Geheimdienste und politische Mitbewerber nutzen auch Whistelblower-Plattformen, um schädliche Informationen über ihre Gegner zu verbreiten. Das ist jedoch nichts Neues – schon vor der Erfindung des Internets handelte manche Quellen von Journalisten ausschließlich aus Eigeninteresse.

Foto: apa/epa / neil munns

Er solle "still" sein, denn er sei "Fake News": So brachte US-Präsident Donald Trump einen CNN-Reporter zum Schweigen, der bei einer Pressekonferenz kritische Fragen stellen wollte. In dieser denkwürdigen Szene kulminieren mehrere Krisen und ein grundlegender Kulturwandel. Sie zeigt: Der klassische Journalismus steht unter massivem Druck.

CNN

Die vierte Macht

In demokratischen Gesellschaften erfüllten Massenmedien bisher wichtige und grundlegende Funktionen, die ihnen den Ruf der "vierten Gewalt" oder "vierten Macht" einbrachten. Information, Meinungsbildung und vor allem die Kontrolle der drei anderen Gewalten im Staat gehörten zu den klassischen Aufgaben des Mainstreamjournalismus.

Mit der Digitalisierung, dem größten Medienwandel seit dem Buchdruck, sind die traditionellen Medien in eine Ressourcenkrise geschlittert: Die Werbeeinnahmen brechen ein, die Konkurrenz durch rein digitale Anbieter wächst. Gleichzeitig werden die PR-Abteilungen von Konzernen und Regierungen aufgerüstet, während Redaktionen schrumpfen.

Vertrauensverlust

Zusätzlich zum ökonomischen Druck befindet sich der klassische Journalismus in einer Vertrauenskrise, seine Deutungshoheit wird infrage gestellt. Darüber, wie tief die Vertrauenskrise geht und wo ihre Ursachen liegen, gibt es weder in der Medienbranche selbst noch in der Wissenschaftscommunity einen Konsens. Uwe Hasebrink vom Hans-Bredow-Institut für Medienforschung hat eine Erklärung: "Verschiedene Teile der Gesellschaft sind sich bewusst geworden, wie groß die Klüfte innerhalb der Gesellschaft und wie unterschiedlich die Lebensbedingungen und wie groß die Chancenungleichheit sind. Damit geraten die Medien, die sich bemühen, eine geronnene Form von Realitätswahrnehmung und -beschreibung – die möglichst für die gesamte Gesellschaft gelten sollte – darzustellen, unter Druck." Ob den Medien diese große gemeinsame Erzählung und Beschreibung weiterhin gelingt? Daran zweifelt Hasebrink.

Gleichzeitig sieht der Medienwissenschafter aber auch keine Ausweichmöglichkeit, weder für die Demokratie noch für die Medien, die in demokratischen Systemen bestehen sollen: "Es besteht keine Alternative dazu, eine gemeinsame Realität zu beschreiben."

Die Elitenkritik

Bestimmte Bevölkerungsgruppen hätten allerdings den Eindruck gewonnen, dass es systematisch bestimmte Perspektiven sind, die nicht richtig zum Ausdruck kommen, sagt Hasebrink. Immer öfter ist die die Rede davon, dass das Establishment sich verselbstständigt hat und nicht mehr wahrnimmt, welche Lebensbedingungen diejenigen haben, die sich nicht zum Establishment zählen.

Diese Erzählung von den abgehobenen Eliten ist keine neue. Sie erinnert an wenig ruhmreiche Zeiten der europäischen Geschichte, genauso wie die mit ihr einhergehenden "Lügenpresse"-Rufe. Zuletzt hörte man dieses Schlagwort in der NS-Zeit als Teil der antisemitischen Verschwörungstheorie zur Herabsetzung der kritischen Presse, die angeblich im Dienst des "Weltjudentums" stand.

Wie aber kommt es nun zu einer Wiederauflage des großen Misstrauens und seiner Instrumentalisierung durch die neuen Rechten und Rechtsextremen wie die Pegida-Bewegung, die AfD und die "Identitären", und wie kommt es zu dem Eindruck der "geteilten Gesellschaft"?

"Bestimmte Klüfte werden sichtbarer, bestimmte Routinen in der Gesellschaft werden infrage gestellt, weil es große Herausforderungen gibt. Es war also nicht von ungefähr, dass die Flüchtlingskrise als riesiger Motor für diese Entwicklungen gedient hat", erklärt Hasebrink.

Vielfalt medialer Wirklichkeiten

Längst ist der mündige Wähler und Medienkonsument nicht mehr ausschließlich auf die massenmediale Wirklichkeit angewiesen. Für die Wirklichkeitskonstruktion stehen ihm im digitalen Zeitalter unzählige Quellen zur Verfügung. Der interessiere Bürger ist nicht mehr in seiner ungewollten Passivität gefangen und kann aktiv an der Informationsproduktion und -verbreitung im Internet teilnehmen. Haben wir also die Demokratisierung der Informationsgesellschaft erreicht, die in der Gründerzeit des Internets beschworen wurde?

Nein, sagt Josef Trappel, Professor für Medienpolitik und Medienökonomie an der Universität Salzburg: "Demokratie herrscht, wenn die Entscheidungsbetroffenen an Entscheidungen beteiligt sind oder diese selbst treffen können. In den sogenannten sozialen Medien entscheiden globale Konzerne wie Facebook darüber, was möglich ist und was nicht. Die User haben nur die Wahl, mitzumachen oder eben nicht. Von einer demokratischen Gestaltung kann keine Rede sein."

Etwas wohlwollender sieht Helge Fahrnberger, Gründer des Medienwatchblogs "Kobuk", die Digitalisierung der Medien und ihre Funktion in der Demokratie: "Die Digitalisierung hat die Medienproduktion demokratisiert. Dieser mediale Wandel ist sowohl Gewinn als auch Verlust für die Demokratie, denn neue Kulturtechniken bringen auch immer Verlust von alten Autoritäten mit sich. Dieses Vakuum wird dann aber wieder gefüllt." Mit den sozialen Medien werde die Kommunikation demokratischer, sowohl in ihrer guten als auch in der schlechten Ausprägung. Fahrnberger: "Lügen und absurde Gerüchte haben nicht erst mit den sozialen Medien Einzug gehalten. Der einzige Unterschied: Du brauchst nicht mehr den Zugang zu großen Produktionsmitteln, um Unsinn zu verbreiten."

Filterblase und Stammtisch

Josef Trappel warnt auch vor der sogenannten Filterblase, in der Menschen lediglich die Bestätigung ihrer Weltsicht erfahren: "Soziale Medien erweitern die neuen Artikulationsräume der Einzelnen. Die Folgen sind allerdings weniger erfreulich: Je mehr Menschen sich vorzugsweise mit ihresgleichen austauschen, desto schlechter ist die Informationslage der Bevölkerung. Und Informiertheit ist wiederum eine Voraussetzung für Demokratie. Der Zugewinn an Meinungsplattformen ist also teuer erkauft." Doch die sogenannte confirmation bias (Bestätigungsfehler), also die Neigung, jene Informationen zu wählen und zu interpretieren, die das eigene Weltbild bestätigen, gibt es nicht erst seit dem Siegeszug der sozialen Medien. Die Funktion des Stammtischs wird hier lediglich neu aufgelegt und verstärkt.

Wie mit Lügen umgehen?

Auch außerhalb von sozialen Medien finden interessierte Menschen, die den Medien nicht mehr vertrauen, im Netz unzählige Alternativen. Darunter befinden sich hervorragend recherchierte Blogs von Experten ebenso wie Seiten, die rein auf politische Stimmungsmache mit überspitzten oder gar falschen Nachrichten ausgelegt sind. Dazu kommt eine neue Form der Gerüchteverbreitung durch soziale Medien. "Im Internet und den sozialen Netzwerken hat sich eine große Gegenöffentlichkeit etabliert. Viele geteilte Berichte und Posts erlangen schnell Wahrheitsstatus, auch wenn sie sich später als unhaltbare Gerüchte herausstellen", beobachtet Trappel.

Der Medienforscher Fritz Hausjell schlägt vor, dass klassische Medien diesen Gerüchten nachgehen sollten. Diese gelangten "ohnehin an die Endnutzer", sagt Hausjell. Medien agierten nicht mehr im abgeschlossenen Raum.

Auch Trappel rät den Journalisten zu einem offensiven Umgang mit Falschmeldungen: "Der Fokus liegt auf der investigativen Recherche. Neue Bedeutung erfährt auch die Aufgabe des Journalismus, Wahres von Falschem zu trennen und im besten Sinn Aufklärung zu betreiben. Wer, wenn nicht der Journalismus, kann sich in der arbeitsteiligen Gesellschaft um diese demokratische Kernfunktion kümmern?" Trappel will den klassischen Journalismus nicht mehr als defensiven und exklusiven Gatekeeper verstehen, er sei vielmehr "offensiver Agent der Suche nach den gesellschaftlich relevanten Informationen und Interpretationen".

Facebook ohne Filter

Die Entscheidung darüber, was relevant ist, überlassen Internetnutzer zunehmend den großen Plattformen, die nicht den Anspruch haben, journalistische Kriterien zu erfüllen. Um Nachrichten zu konsumieren, greifen laut Reuters Digital News Report 2016 rund 48 Prozent aller Österreicher auf soziale Medien zurück. Erstgereiht ist Facebook, dahinter folgen Youtube und Whatsapp. Auf Facebook kann jeder Nutzer sein Profil öffentlich machen oder eine eigene Seite gründen, um Nachrichten zu verbreiten. Für User kann es dadurch oft schwierig sein, die Quelle der Meldung zu überprüfen. Oft wird Freunden vertraut, die bestimmte Nachrichten teilen – ohne dass diese selbst recherchieren, ob es sich bei dem Urheber um einen professionellen Journalisten, einen Aktivisten oder einen Verschwörungstheoretiker handelt.

Trotz harter Kritik kümmert sich Facebook, die größte soziale Plattform mit 1,79 Milliarden monatlichen Nutzern, nicht selbst um das Löschen gefälschter Nachrichten. "Wir wollen nicht entscheiden, was die Wahrheit ist. Und ich glaube, niemand will, dass wir das tun", sagt die Facebook-Managerin Sheryl Sandberg. In Zukunft will Facebook allerdings auf die Zusammenarbeit mit Medienunternehmen und Journalisten setzen, um gegen Falschmeldungen und Lügen vorzugehen. In Deutschland soll etwa das Recherchezentrum Correctiv von Nutzern gemeldete Inhalte prüfen und gegebenenfalls als zweifelhaft kennzeichnen.

Konstruktive Kritik fehlt

Doch dass die Medien derzeit mit Vertrauensverlust kämpfen müssen, hat nicht nur etwas mit gezielt gestreuten Falschmeldungen oder böswilligen Angriffen zu tun, erklärt Helge Fahrnberger: "Es sind nicht nur die AfD-Mitglieder, die 'Lügenpresse' rufen und zur Erosion des Vertrauens in etablierten Journalismus beitragen, sondern auch seriöse und fundierte Medienkritik." Denn die Missstände in der Branche sind und waren immer da, und es sei um den klassischen Journalismus heute nicht schlimmer bestellt als in der Vergangenheit, sagt Fahrnberger. Neu ist allerdings, dass Medienorganisationen selbst im Rampenlicht stehen wie nie zuvor. Macht ein Journalist in seinem Artikel Fehler, verbreitet sich die Kunde davon in sozialen Medien in Windeseile. Diese neue Möglichkeit des direkten Feedbacks und der konstruktiven Kritik ist ein willkommenes Korrektiv einerseits, anderseits kann es vertrauenserodierend wirken.

Was allerdings nach wie vor in Österreich fehlt, so Fahrnberger, ist die die Selbstkontrolle der Medien untereinander: "Der Medienmarkt ist bei uns zu klein, man möchte nicht seinen potenziellen zukünftigen Arbeitgeber anpatzen."

Tatsächlich sucht man in der österreichischen Medienlandschaft vergeblich eine umfassende Berichterstattung über journalistische Themen. In Deutschland blickt das Magazin "Zapp" des Norddeutschen Rundfunks regelmäßig hinter die Kulissen der Medienwelt. In Österreich fehlt diese Art von Medienbeobachtung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gänzlich. Neben dem Blog kobuk.at gibt es in Österreich noch die Onlineplattform dossier.at, die unregelmäßig, aber doch immer wieder Relevantes aus der Medienbrache berichtet.

Digitale Wirklichkeit überholt uns

Anpassung an die digitale Wirklichkeit, Transparenz und eine neue Fehlerkultur fordern die Medienwissenschafter und -kritiker einstimmig. Fahrnberger dazu: "Klassische Medien sind noch nicht dort angekommen, wo die Digitalgesellschaft in ihrer Erwartungshaltung bereits ist. Der klassische Journalismus agiert noch immer wie in der Zeit vor dem Hypertext, als sei er nicht mit Lesern konfrontiert, die den Text sofort mit fünf weiteren Quellen vergleichen können." Bernhard Pörksen, Medienwissenschafter an der Universität Tübingen, hält die Transparenz gar für das wirksamste Mittel in der Vertrauenskrise: "Erklärung des eigenen Handwerks ist heute der unvermeidliche Zweitjob des Journalisten, denn Transparenz ist die entscheidende Medizin gegen Misstrauen."

Das Internet allein und die alternativen Möglichkeiten der Informationsverarbeitung, die es bietet, sind also weder demokratie- noch medienschädigend, im Gegenteil: Es stimmt nach wie vor, dass das Netz auch zu einer Verbesserung des Journalismus beiträgt, wovon auch der Zustand der Demokratie profitiert. Bürger können unkompliziert und schnell mit Journalisten Kontakt aufnehmen, um sie auf Missstände hinzuweisen. Whistleblower können Missbrauch protokollieren und Informationen an Plattformen wie Wikileaks und das Centre for Investigative Journalism weitergeben. Das nutzen auch Geheimdienste und politische Mitbewerber, um schädliche Informationen über ihre Gegner zu verbreiten. Das ist jedoch nichts Neues – schon vor der Erfindung des Internets handelte manche Quellen von Journalisten ausschließlich aus Eigeninteresse.

Doch bei allen Rufen nach Transparenz muss der Quellenschutz ein wichtiges Prinzip bleiben. Das heißt, Transparenz kann nicht so weit gehen, dass der Journalist seinen Informanten preisgibt. "Journalismus muss also transparent machen, in welchen Punkten und wieso er da nicht transparent sein kann", betont Hasebrink.

Aufkündigung des ungeschriebenen Vertrags

Wenn also weder der digital getriebene Kulturwandel noch die konstruktive und noch weniger die verleumderische Medienkritik dem klassischen Journalismus und seiner demokratiepolitischen Rolle ernsthaften Schaden zufügen, bleibt noch die Beziehung der Medien zu den politischen Akteuren. Das Zusammenspiel der Politik und der Massenmedien machte bisher die Entfaltung der symbolischen "vierten Gewalt" erst möglich. Die Politik war auf Massenmedien angewiesen und befand sich mit ihnen in einem nicht immer unproblematischen symbiotischen Verhältnis.

Der nordrhein-westfälische Landeschef der AfD, Marcus Pretzell, organisierte am 21. Jänner eine rechte Großveranstaltung in Koblenz. Alle "öffentlich-rechtlichen Medien", das "Handelsblatt" sowie zwei Journalisten von "Spiegel" und "Frankfurter Allgemeiner Zeitung" erhielten keine Akkreditierung.

Dieses Verhältnis scheint in westlichen Demokratien nun ein wenig aus dem Gleichgewicht zu geraten. Es entsteht der Eindruck, dass einige politische Akteure, vor allem aus dem rechtspopulistischen Eck, den alten "Vertrag" aufkündigen und offen signalisieren, dass sie die klassischen, nicht genehmen Medien daran hindern wollen, ihrer Kontrollaufgabe nachzukommen. Ungeliebte Journalisten werden nicht zu Pressekonferenzen zugelassen, erhalten keine Akkreditierungen für Veranstaltungen oder werden öffentlich angegriffen, wie Donald Trump es gerne tut.

Vorsicht ohne Alarmismus

"Auf der Welle der Medienskepsis, die derzeit in der Bevölkerung beobachtbar ist, surfen einige Politiker, die Errungenschaften, die ich für nicht hinterfragbar gehalten habe, nun hinterfragen. Dieses Rütteln an den demokratischen Werten der Medien- und Meinungsfreiheit hat ein bisher unbekanntes Ausmaß angenommen", sagt Medienforscher Uwe Hasebrink. "In einem Land wie den USA einen derartigen Umgang mit Medien zu erleben hält man gar nicht für möglich. Da gerät derzeit eine Wertvorstellung ins Rutschen."

Medienbeobachter und Experten betonen, dass derzeit in Europa noch kein Grund für Alarmismus besteht, allerdings seien Vorsicht und Aufmerksamkeit erforderlich. "Das Diskreditieren von journalistischer Arbeit ist historisch ein Kennzeichen autoritärer Regime. Daher sind alle demokratischen Kräfte aufgefordert, die Medien vor unqualifizierter Kritik zu schützen", sagt Josef Trappel von der Universität Salzburg. Das Ausmaß, in dem Medien in Österreich aktuell kritisiert werden, hält er jedoch noch nicht für demokratiegefährdend. (Olivera Stajić, Fabian Schmid, 21.1.2017)