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Auch Russlands Präsident Wladimir Putin behält den Sport als Mittel zum Zweck fest im Griff.

Foto: Reuters/Alexey Nikolsky

Es kommt nicht von ungefähr, dass die erste Aktion von Momentum die sogenannte NO-Olympia-Kampagne ist. Zwar strebt die in Ungarn im Entstehen begriffene politische Bewegung nichts weniger als die Ablösung der gesamten gegenwärtig herrschenden politischen Elite um Ministerpräsident Viktor Orbán an. Als Testballon steigt aber eine Initiative, die Olympiapläne der rechtskonservativen Regierung zu durchkreuzen. Die soll durch eine Unterschriftenaktion dazu gezwungen werden, ihre Bewerbung für die Sommerspiele 2024 in Budapest zurückzuziehen und sich mit den freiwerdenden Mitteln der Lösung "brennender sozialer Probleme" zu widmen.

"Solange es in den Schulen keine Kreide, in den Spitälern kein WC-Papier gibt, solange darf es keine Olympischen Spiele geben", sagt Andras Fekete-Györ, der Vorsitzende von Momentum. Diverse Zivilorganisationen hätten bereits ihre Hilfe zugesagt.

Mobilisierungpotenzial

Mit Olympia, besser gegen Olympia, lässt sich trefflich mobilisieren. Die Region Graubünden sowie die Städte München, Stockholm und Oslo, allesamt nicht nur aus Tradition und wegen ihrer vorhandenen Sportstätten-Infrastruktur nahezu ideale Olympia-Kandidaten, haben ihre Bewerbungen für die Winterspiele 2022 zurückgezogen – wegen der hohen Kosten, vor allem aber wegen mangelnden Rückhalts in der Bevölkerung. Norwegen stieg als letzter Bewerber aus. Die konservative Premierministerin Erna Solberg riskierte gar nicht erst eine Befragung der Hauptstädter, nachdem Referenden in der Schweiz und Bayern deutliche Niederlagen für die Olympia-Befürworter gezeitigt hatten.

Profitiert hat China, das sich gegen Kasachstan durchsetzte. Dass die Demokratur von Präsident Nursultan Nasarbajew im Gegensatz zur Volksrepublik mit Peking und Umgebung in Almaty eine Hostcity mit annehmbarer wintersportlicher Infrastruktur anbieten konnte, bestätigt jene, die den Olympiern nicht mehr über den Weg trauen.

Gemeinsame Wurzeln

Dass Olympia und Demokratie ungeachtet der nicht nur geografisch gemeinsamen Wurzeln – etwa das Bemühen um umfängliche Beteiligung – nicht mehr zusammengehen wollen, ist für beide eine eher bedauerliche Entwicklung. Schon fördert das Engagement gegen Gigantomanie, mangelnde Transparenz und die Kaperung olympischer Ideale durch multinationale Unternehmen direktdemokratische Prozesse. Umgekehrt steigt aber die Versuchung, eben jene abzuwürgen. So entschied der Deutschen Olympische Sportbund (DOSB) nicht zuletzt deshalb Hamburg ins Rennen um die Sommerspiele 2024 oder 2028 zu schicken, weil sich locker prognostizieren ließ, dass die Berliner einer Bewerbung ihrer Stadt auch angesichts kommunaler Planungsdesaster (Flughafen Berlin-Brandenburg!) eine krachende Abfuhr bescheren würden.

Dass sich dann auch die Hamburger mit knapp 52 Prozent gegen Olympia aussprachen, konnte als gerechte Strafe für die Verweigerung der Berliner Mitbestimmung empfunden werden.

Fünf Philharmonien

Dabei sahen die hanseatischen Olympia-Adoranten just ihre Stadt als Modellprojekt der sogenannten Agenda 2020 von Thomas Bach. Das Reformpaket des Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) soll für eine Redimensionierung der Spiele, günstigere Bewerbungsprozesse und mehr Transparenz in der IOC-Gebarung sorgen. Dass sich die Hamburger statt des Gastspiels der fünf Ringe fünf weitere Philharmonien an den Elbstrand hätten stellen können, erwies sich aber als besseres Argument als die möglicherweise zu erreichenden hehren Ziele Bachs.

Entwundene Chancen

Demokratische Gesellschaften lassen sich Veranstaltungen wie Olympische Spiele auch als brauchbares Instrument für die Entwicklung einschlägiger Infrastruktur, damit einhergehender sportlicher Motivation und als erstklassige Gelegenheit für Inklusion entwinden. Zwar hinterließen die Sommerspiele 2012 in London vordergründig ebenfalls vor allem Nachnutzungskatastrophen und exorbitante Gewinne für Großkonzerne (und nicht zuletzt für das IOC), der Sport selbst gewann dafür in der britischen Gesellschaft deutlich an Stellenwert. Sportliche Leistungen von Menschen mit körperlichem Handicap wurden gar mit beispiellosem Enthusiasmus gefeiert ("Meet The Superhumans").

Zwei Jahre später, im Anschluss an die winterliche 50-Milliarden-Sause des Wladimir Putin in Sotschi, war die paralympische Herrlichkeit dann schon wieder Geschichte. (Sigi Lützow, 21.1.2017)