Der britische Künstler Banksy gilt als Superstar der Street-Art. Bekannt wurde er mit politsatirischen Schablonenbildern (Stencils) und Aktionen, u. a. hängte er ironische Gemälde ungefragt in öffentlichen Museen auf. Hier: "Flower Riot" aus Wien mit Graffiti-Tag.

Sebastian Pohl

Shepard Fairey nützt die Ästhetik der Werbeindustrie für kritische politische Botschaften. Seine weltweit verbreitete "Obey Giant"-Kampagne soll den Blick für Propagandatricks schärfen. "Oil-based Policy" malte Fairey auf Einaldung in München.

Hannah Sturm, Positive-Propaganda e.V.

Cyrcles Wandgemälde "Slave" entstand 2014 im Rahmen eines Street-Art-Festivals in Montreal. Der auf den Kopf gestellte antike Tempel – oft Sinnbild für Demokratie – lässt Raum für Interpretation.

Foto: Cyrcle

Ihre Kunst wird gesprayt, gemalt, geklebt, geritzt und installiert. Die Wahl der Technik ist ebenso vielfältig wie die Wahl der Motive und die Orte des Geschehens: meterhohe Hauswände, politisch aufgeladene Sperranlagen in Krisengebieten, der öffentliche Raum in allen denkbaren Verwinkelungen.

Street-Art-Künstler wie Banksy, Blu, Mark Jenkins, Escif oder Shepard Fairey verstehen sich als Aktivisten, als Überbringer politischer Botschaften mit Mitteln der Kunst: oft humorvoll, einfach verständlich, aber niemals banal. Eine Bewegung ohne formale Proklamation, die sich seit den Nullerjahren über die Metropolen aller Erdteile verbreitet hat.

Die Wurzeln der meisten Street-Art-Akteure liegen in Subkulturen, die weiter zurückreichen: Im Graffiti des Hip-Hop selbstverständlich, aber auch in der Formensprache des Punk mit seinen Garagenmagazinen und Plattencovern in Do-it-yourself-Optik. Politisch steht man links, nicht ideologisch verbohrt, aber mit der klaren Forderung nach globaler sozialer Gerechtigkeit, jener Utopie, die unter Realo-Politikern oft nicht einmal mehr in Sonntagsreden Erwähnung findet.

Demokratie und ihre Gefährdungen sind in der Street-Art nicht nur Thema der künstlerischen Auseinandersetzung. Auch an der Bewegung selbst lassen sich wesentliche Punkte des Demokratiediskurses festmachen.

Ästhetik des Linkspopulismus

Da wäre zunächst die ästhetische Frage, ob sich Street-Art linkspopulistischer Mittel bedient. Zieht man in Betracht, dass sich Künstler wie Shepard Fairey bewusst an der Grafik der Werbung und politischen Propaganda orientieren, muss man sagen: ja.

Die Ingredienzien des Populismus – Verkürzung, Zuspitzung, eingängige Symbolik in Wort und Bild – werden bewusst genutzt, nicht aber ohne den eigenen Populismus durch das Mittel der Ironie einer Selbstbeschränkung zu unterziehen. Darin liegt auch der Unterschied zu vielen Formen rechtspopulistischer Propaganda.

Banksy gibt in seinem vielkopierten Bild Flower Riot dem Steinewerfer einen Blumenstrauß in die Hand. Escif dekoriert ein meterhohes Wandgemälde einer Blumenvase in München mit einem Muster aus Panzern, um auf die Verniedlichung deutscher Waffenexporte hinzuweisen.

Demokratie braucht diese Satire und Ironie, damit wir mit ihrem Enttäuschungspotenzial umgehen können und uns nicht der Verlockung des Autoritarismus hingeben. Street-Art unternimmt den Versuch, den Sinn für Ironie – die sonst vor allem unter globalen Bildungseliten Anwendung findet – auf die Straße zu holen und damit jedermann frei zugänglich zu machen.

Nicht verwunderlich ist in diesem Zusammenhang allerdings auch, dass Teile ebenjener Bildungseliten politsatirische Street-Art als "radical Chic" bewundern und in Galerien kapitalistisch verwerten wollen. Diese Vermarktungstendenzen werden in der Szene kritisch unter dem Begriff "Sell-out" diskutiert, Gegenmaßnahmen inklusive.

Banksy – bei Auktionen ohne sein Zutun in Millionenhöhe gehandelt – verkaufte seine Bilder unerkannt auf der Straße als "Spray-Art" für ein paar Euro, um sich über den Kunsthandel lustig zu machen. Adbuster-Aktivisten verfremden gezielt Werbeplakate und setzen damit einen Kontrapunkt zur Vereinnahmung durch die Werbeindustrie, die sich unter dem Schlagwort "Guerilla-Marketing" den Rebellencharme von Street-Art zunutze machen will.

Die Frage der Autorisierung

Auch das Agieren unter einem Pseudonym inklusive Geheimhaltung der Biografien ist längst nicht mehr nur der Strafverfolgung (es bleibt Vandalismus) geschuldet. Narzissmus soll – auch im Gegensatz zum Graffiti-Tagging, bei dem es primär um Anerkennung innerhalb der Szene geht – möglichst klein gehalten werden.

Nun kann man die Frage aufwerfen, ob illegal angebrachte Street-Art nicht dennoch eine Anmaßung des Künstlers darstellt und von daher per se undemokratisch ist. Bedenken sollte man dabei aber auch, dass die Werbebranche die Überflutung des öffentlichen Raums mit ihren (zweifelhaften) Konsumbotschaften längst schon vollzogen hat.

Sebastian Pohl vom Münchner Kunstverein Positive-Propaganda e. V. versucht einen Mittelweg: Er lädt internationale Street-Artists ein, ihre Kunst in der Stadt mit offizieller Erlaubnis anzubringen – auch um der politisch zahnlos agierenden etablierten Kunst im öffentlichen Raum etwas entgegenzusetzen. Dass die Wahl der Motive dabei einzig den Künstlern überlassen bleibt, hält er für legitim – Künstler seien gedankliche Vorreiter, meint er. Avantgarde also?

"Nie zuvor in der Geschichte wurde so viel von so wenigen eingesetzt, um so wenig zu sagen", meint Banksy über die etablierte Kunst der Gegenwart. Ein wenig mehr Demokratie könnte indes beiden, den Etablierten wie den Avantgarden, einen Versuch wert sein, zum Beispiel indem Künstler Bewohner schon demnächst darüber abstimmen lassen, gegen welche Missstände sich die Bilder an ihren Fassaden richten sollen. (Stefan Weiss, 21.1.2017)