Wien – Wie das persönliche Gedächtnis arbeitet auch das der Musikgeschichte selektiv; einige wenige Dinge werden für erinnernswert angesehen, das Meiste verschwindet im Dunkel des Vergessens. Sven Hartberger, als Intendant des Klangforums Wien ein Fackelträger der musikalischen Erneuerung, hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Licht der Aufmerksamkeit auch auf die Musik der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu richten und hat zu diesem Behufe die Festlichen Tage Alter Musik ins Leben gerufen.

Dies bringt zwei Vorteile mit sich: Das Wiener Publikum kann so einige weiße Flecken auf der Musiklandkarte tilgen (die zwischen Schönberg und dem frühen Friedrich Cerha, so ungefähr), und die Mitglieder des Klangforums Wien können sich endlich auf offener Bühne an der therapeutischen Wirkungskraft eines Dur-Akkordes laben.

Wie etwa an dem D-Dur-Schlussakkord von Franz Schrekers Kammersymphonie. Davor hat der einst gefeierte Opernkomponist ein opulentes symphonisches Panorama ausgebreitet, seine wirkungsmächtige und verführungskräftige Musik schillert und lockt mit der Pracht der Spätromantik: ein Gustav Klimt der Klänge. Fast genau vor 100 Jahren wurde das Werk aus Anlass des hundertjährigen Gründungsjubiläums der Wiener Akademie, der Vorgängerin der jetzigen Musikuniversität, uraufgeführt; am Mittwochabend beeindruckte das Klangforum Wien unter der Leitung von Stefan Asbury mit dem halbstündigen Werk.

Weniger überzeugend gelang die Canzonetta Op. 62a von Jean Sibelius (1911): wackelig das Zusammenspiel, ärmlich die Präsentation und Gestaltung der melodieführenden Stimmen. Bearbeitungen zweier Klavierstücke waren im Mozart-Saal des Konzerthauses ebenfalls zu hören: jene von Andreas Lindenbaum von Skrjabins spätem Poème op. 72, Vers la flamme sowie Richard Dünsers Bearbeitung von Alban Bergs Opus 1, der Sonate. Hier beeindruckte der Reichtum an Klangfarben, Asburys unzureichende dynamische Differenzierung von Haupt- und Nebenstimmen enttäuschte. Agata Zubels intensive, naturnahe Interpretation von Szymanowskis fünf Gesängen für Sopran und Orchester, Slopiwnie (1921), blieb hingegen im Gedächtnis haften. (sten, 20.1.2017)