Die US-Amerikaner David Leavitt und David Torres bilden das Street-Art-Duo Cyrcle. Ihr Bild in Los Feliz, einem Stadtteil von Los Angeles, ist zweideutig zu verstehen: Der Ausdruck "overthrone" steht im urbanen Slang für "beim WC-Gang abgestochen werden".

Foto: Cyrcle

Großbritanniens geplanter EU-Austritt stellt die schottischen Nationalisten vor ein besonderes Problem. Zwar kann die populäre Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon von der regierenden Nationalpartei SNP zu Recht darauf verweisen, die Umwälzung geschehe gegen den klaren Willen der Schotten. Doch hat sie als Druckmittel wenig mehr als die Nuklearoption: ein zweites Referendum über die Unabhängigkeit der stolzen Nation vom übermächtigen England, wenige Jahre nachdem eine erste Abstimmung im September 2014 deutlich verlorenging.

Ironischerweise zählte damals die Mitgliedschaft im Brüsseler Club zu den Hauptargumenten der Unionisten: Unabhängigkeit bringe Unsicherheit. Am Ende entschieden sich 55 Prozent für den Verbleib in der Union mit England, Wales und Nordirland.

Vergangenes Jahr fiel das Verdikt noch deutlicher aus. Während England und Wales für den Brexit stimmten, votierten sämtliche Stimmbezirke Schottlands mit insgesamt 62 Prozent für den EU-Verbleib. Kurz vor Weihnachten präsentierte Sturgeon deshalb ein 50-seitiges Dokument.

Es sah den Verbleib im Binnenmarkt samt anhaltenden Milliardenzahlungen ins Brüsseler Budget vor. Wenn Premierministerin Theresa Mays Regierung diese Lösung für das Vereinigte Königreich als Ganzes nicht wolle, müsse Edinburgh eine Sonderlösung bekommen, findet die dortige Regierungschefin. Andernfalls sei die Unabhängigkeit wieder auf der Tagesordnung.

Hohes Risiko

"Das hat Begehrlichkeiten geweckt", glaubt der Soziologe Jan Eichhorn von der Uni Edinburgh in Anspielung auf jene Nationalisten, die ihre vorsichtig agierende Chefin zum Handeln bewegen wollen. "Der Druck steigt." Dass Sturgeon ein zweites Referendum für 2017 ausgeschlossen hat, nahm die SNP-Basis noch ohne Murren hin. Wenn aber Londons Verhandlungen mit der EU schlecht verlaufen, womöglich die britische Wirtschaft abschmiert, könnte die Nuklearoption attraktiv werden. Frühestens im Sommer 2018, spätestens im Frühjahr 2019 würden die Nationalisten die Schotten erneut an die Urne rufen.

Das wäre ein hohes Risiko: Zum einen deuten die Umfragen bisher nicht auf einen Meinungsumschwung zugunsten der Unabhängigkeit hin. Zum anderen genießt die EU keineswegs uneingeschränkte Popularität. Immerhin entschieden sich auch hier 38 Prozent für den Brexit, darunter 30 Prozent SNP-Anhänger. Zu Recht könnten die Unionisten darauf verweisen, dass "unser Handel mit dem Rest des Landes viel größer ist als der Handel mit anderen EU-Staaten", wie die konservative Oppositionsführerin Ruth Davidson sagt.

Geht das zweite Referendum noch in diesem Jahrzehnt über die Bühne und erneut verloren – dann, sagt Soziologe Eichhorn, "ist das Thema auf längere Frist beerdigt". Sturgeon wäre dann nicht Schottlands Befreierin, sondern die Totengräberin der Unabhängigkeit. Keine frohe Aussicht. (Sebastian Borger aus London, 21.1.2017)