Die vielen Welten des Josef Winkler, mit dem Vater (Helmut Wiesinger) als stummem Zeugen inmitten: "Roppongi" in St. Pölten.

Foto: Alexi Pelekanos

St. Pölten – Katharina Knap klaubt mit gravitätischer, rhythmisch ausgeklügelter Sprechweise – das Kärntner Idiom einflechtend – die Sätze Josef Winklers sicher vom Papier herunter. Nach zehn Jahren in Deutschland, wo sie den Titel "Nachwuchsschauspielerin des Jahres" erworben hatte, ist die in Wien geborene Mimin nun nach Österreich zurückgekehrt und im Herbst mit Intendantin Marie Rötzer ans Landestheater Niederösterreich gewechselt. Ein Glück für dessen Publikum.

Ein über 20 oder noch mehr Zeilen reichender Satz, mit dessen Einschüben Winkler ein zu beschreibendes Bild samt all seinen Bezügen unnachgiebig einkreist, um seiner habhaft zu werden, so eine sprachliche Zuschärfung gewinnt durch Knaps Rede richtig Farbe und Temperatur.

Dabei immer unaufdringlich. Das konzentrierte Publikum in der Werkstattbühne des Landestheaters folgt ihr so an das Ufer des Ganges, in den Tokioter Stadtteil Roppongi und ins Kärntner Dorf Kamering, wo Josef Winklers Vater in Abwesenheit des Sohnes 99-jährig starb und beerdigt wurde.

Unversöhnliche Bilder

In der 2007 erschienenen Erzählung Roppongi schürft Winkler an unversöhnlichen Bildern entlang schließlich doch jene hart erkämpfte und fast zeitlebens verschütt gebliebene Liebe zu seinem Vater frei. Aus großer räumlicher Entfernung, aus Tokio sowie vom indischen Einäscherungsplatz in Varanasi mit all seinen feierlich wie alltäglich wirkenden Details, richtet Winkler den Blick nach Hause auf die katholisch durchdrungene Kärntner Dorfgesellschaft und seine davon geprägten Erinnerungen an das Aufwachsen: an ins Flusswasser geköpfelte Christuskreuze, an Totenwachen im Bauernhaus, an die Kameringer Sängerknaben und ihr Begräbnislied "Trog mi ause übern Onga".

Einer Sprache, die so bilderstark ist, genügt auf der Bühne die eine wesentliche szenische Idee, die Regisseurin Julia Jost ausspielt: Ein auseinandergerissenes Haus, ein Glashaus, hängt in Einzelteilen vom Schnürboden (Bühne: Sebastian Faßnacht).

Anblick der Unbehaustheit

Der Anblick der Unbehaustheit und des Schmerzes verstärkt sich noch, wenn die drei in bunte Josef-Winkler-Hemden gekleidete Erzählerfiguren (der Autor ist für sein Bekenntnis zur Farbe bekannt) mit ihnen lautstark in Berührung kommen. Neben Knap sind dies Tobias Artner und Vidina Popov, die Schauplätze und Momente imaginieren. Der Vater (Helmut Wiesinger) sitzt sprachlos mittendrin. Ein anderer Platz als ein sichtbarer, aber doch stummer und abwesender könnte ihm nicht zuteil werden.

Julia Josts achtbares Erzähltheater ist nur in einem unentschlossen: im Finden eines Endes. Die letzten 20 Minuten umkreist sie den Schlusspunkt orientierungslos. Dem Ruf nach "mehr Winkler am Theater" tut das aber keinen Abbruch. (Margarete Affenzeller, 22.1.2017)