Gerstner im Palais Todesco: Rahmen grandios, Maître d'hôtel ganz klassisch im Cut. Der Spannteppich? Eine Verirrung.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Die Rindsrouladen mögen vergleichsweise unsensibel bepreist sein, sie werden aber mit Schinken, blättrig drapierter Karotte und Gewürzgurkerl sehr dekorativ gerollt und schmecken sogar.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Der enge Aufzug von der Konditorei hinauf ist nur bedingt standesgemäß, schon gar im Vergleich zur abenteuerlichen Pracht der Säle, die in der Beletage des Palais Todesco auf einen warten. Bis vor wenigen Wochen waren diese mit Marmorsäulen, Kassettendecken, Kronleuchtern und Gemälden überladenen Hallen samt Blick auf die Oper nur für mehr oder weniger private Veranstaltungen geöffnet. Nun hat der Gerstner-Konzern hier ein Café-Restaurant eröffnet.

Zumindest bis 17 Uhr, danach wird nach wie vor an Catering-Kunden vermietet. Dem Vernehmen nach sind aber viele verschnupft, weil der Parkettboden im Zuge der Neuorientierung einem vergleichsweise käsig wirkenden Spannteppich Platz machen musste und die Stühle durch neoantike, besamtete Sessel getauscht wurden. Man will sich gar nicht vorstellen, wie die Grandezza der Säle etwa durch Czech-Sessel von Thonet oder gar den Y-Stuhl von Wegner kontrastiert hätte werden können. Stattdessen wurde wieder einmal auf tantenhaften Plüsch gesetzt, wie er Wiens Umgang mit der weltstädtischen Vergangenheit seit Jahrzehnten charakterisiert.

Vorbei an den Canapés

Das ist schade – umso mehr, als das Personal diese Verzopftheit auf durchaus unwienerische Art konterkariert: Es handelt proaktiv, hat die Tische aufmerksam im Blick, kann auch größere Bestellungen akkurat memorieren und bei Bedarf sogar mit dem einen oder anderen Schmäh dienen – ganz diskret natürlich.

Als Gast muss man automatisch am Tortenbuffet vorbei, wo neben mattem Abglanz einstiger Zuckerbäcker-Weltherrschaft auch einige einst gerühmte Gerstner-Canapés auf ihre Chance warten. Die Last der Jahre aber können auch sie nicht ganz verleugnen.

Das "Gerstner-Heritage-Sandwich" mit Räucherlachs etwa kommt mit deutlichem Trockenrand am Fettfisch zu Tisch – dazu noch eine tranige Note, die typisch für intensiv gefarmten Lachs ist und auch durch massives Räuchern nicht kaschiert werden konnte. Ähnlich "bestellt, aber nicht abgeholt" wirken die Sandwiches mit Ei- beziehungsweise Tunfischaufstrich: durchgefeuchtetes Brot und braune Ränder am Belag, die von stillen Stunden in der Kühltheke erzählen. Die Shrimps- und Flusskrebscanapés sind dank Aspikglanz etwas besser konserviert, Krustentiergeschmack wird bei aufgetauten Weichgummis dieser Art ohnehin niemand erwarten.

Backerlgulasch

Für die Speisen lässt das Schlimmes befürchten. Kommt aber ganz anders. Zwar scheint Beef Tartare wie gewohnt mit Fokus auf Zahnleidende faschiert worden zu sein, die Portion um 12,90 Euro ist aber echt groß und mit Verve gewürzt, der Buttertoast nicht nur warm und knusprig, sondern innen sogar ansatzweise flaumig. Noch besser: Gulasch vom Rindsbackerl, saftig, kernig geschmort, mit schmorzwiebeligem, dicht papriziertem Saft und sehr anständigen Rahmnockerln als Beilage – eindeutig satisfaktionsfähig. Die gratinierten Schinkenfleckerln wirken dank Oberscreme und reichlich (Tiefkühl-)Kräutern zwar alles andere als klassisch, als Nudelauflauf der altmodischen Art entwickeln sie aber recht wirksamen Yummy-Faktor.

Die Rindsrouladen mögen um 21,90 Euro (die teuerste Speise auf der Karte) vergleichsweise unsensibel bepreist sein, sie werden aber mit Schinken, blättrig drapierter Karotte und Gewürzgurkerl sehr dekorativ gerollt und schmecken sogar – nur das fein senfige Saftl leidet unter den arg zerkochten Eiernudeln, die sich auch g'schamig unterm Gemüsebouquet verstecken. Bemerkenswert: die breite Auswahl an zivil bepreisten Schlumberger-Sekten, unter denen der Blanc de Noirs besonders angenehm hervorprickelt.(Severin Corti, RONDO, 27.1.2017)

Weitere Restaurantkritiken