Wien – Gerade noch waren sie bei der Eröffnung der Elbphilharmonie im Einsatz, nun residierten Riccardo Muti und das Chicago Symphony Orchestra zwei Tage im Musikverein, um sich am ersten Abend teils ausgesuchten Raritäten zu widmen. Wer kennt schon die "Konzertmusik für Streichorchester und Blechbläser", die Paul Hindemith 1930 für das Boston Symphony Orchestra geschrieben hat, ganz deutlich mit Blick auf den amerikanischen Geschmack?

Oder die Konzertouvertüre "In the South (Alassio)", mit der Edward Elgar 1904 ein wenig auf die virtuose Brillanz eines Richard Strauss schielte? In beiden Fällen startete Muti den Orchesterturbo, ließ den Apparat mit voller Kraft erstrahlen, so homogen und blendend, dass man fast überhören konnte, wie selbstverständlich abschattiert und ausgeglichen der Klang dabei stets blieb.

Bei Modest Mussorgski änderte sich der Tonfall deutlich, wenn auch nicht die Qualität und der Umstand, dass das Orchester über eine schier perfekte Tongebung ohne jeden Anschein von kühler Sterilität verfügt. Und so geriet "Eine Nacht auf dem kahlen Berge" zu einer fast dramatischen, atmosphärisch stimmigen Szene und wurden die "Bilder einer Ausstellung" zu einem Kaleidoskop von Charakterbildern, die auch die Fähigkeiten des musikalischen Kollektivs hervorstrichen: die gleichbleibende Perfektion quer durch alle Instrumentengruppen und den kernigen, körperhaften Sound vor allem der Bläser.

Den Höhepunkt des Abends brachte allerdings erst die Zugabe, die Ouvertüre zu Giuseppe Verdis "Sizilianischer Vesper", die das Orchester mit zumindest gleich viel Pracht anfüllte wie das Vorangegangene, während Muti aber noch wesentlich mehr an gestalterischem Schliff einbrachte: Nun mutete sein Dirigat geradezu tänzerisch an und (ver)führte zu herrlicher Phrasierung und einer Verbindung von Drive und gestalterischen Feinheiten – ein Füllhorn der Orchesterkultur, die das Publikum im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins mit verhältnismäßig stürmischen Ovationen quittierte. (Daniel Ender, 24.1.2017)