Wien – Das Mysteriöse in den Filmen von M. Night Shyamalan erschließt sich gerne erst auf den zweiten Blick: Immer wieder öffnet sich in ihnen ein zweiter oder gar dritter Boden, auf dem man als Zuschauer wie durch eine Falltür landet. Nie weiß man mehr als die Figuren, die so lange durch verwinkelte Erzählungen tappen, bis sie mit eigenen Augen die letzte Wahrheit gesehen haben. Deshalb betreibt Shyamalan, seit vielen Jahren ein Randständiger Hollywoods, trotz oft gegenteiliger Annahme auch kein postmodernes Spiel mit Verweisen um ihrer selbst willen. Seine Lösungen sind – wie zuletzt in der Horror-Mockumentary The Visit, in der ein Geschwisterpaar seinen Besuch bei den vermeintlichen Großeltern mit einer Videokamera festhält – buchstäblich einfach überraschend.

Nächtlicher Ausgang einer multiplen Persönlichkeit: James McAvoy geht in "Split" unbekannte Wege.
Foto: Constantin Film

In Split steigt zu Beginn ein Fremder (James McAvoy) auf einem öffentlichen Parkplatz ins Auto zu drei jungen Frauen. Die Entführung geschieht in Sekundenschnelle und doch mit entsprechender Verzögerung – mithin einem Kunstgriff, der auch fortan diesen Film bestimmen wird. Es sind Augenblicke höchster Beunruhigung: Man weiß, was geschehen wird, aber auch, dass es noch nicht so weit ist. Wenn die drei Teenager (Anya Taylor-Joy, Haley Lu Richardson, Jessica Sula) hinter einer Kellertüre wieder aufwachen, gilt es also auch für den Zuschauer, sich vorzubereiten.

Doch Split ist kein industrieller und schon gar nicht sadistischer Horror, sondern versteht sich vielmehr als Versuchsanordnung. Denn der Mann mit den vielen Namen – und, wie sich zeigen wird, mit ebenso vielen Kostümierungen – wechselt in einem fort seine Persönlichkeit. Und die Frage, die sich für die Gefangenen ergibt, lautet daher: Wie begegnet man jeder einzelnen? Mit jedem neuen Gegenüber eröffnet sich für die drei nämlich eine neue Konstellation – und möglicherweise die Aussicht auf Freiheit.

Dreiundzwanzig und einer

Das ist allerdings kein Szenario, das die dramaturgische Spannung dauerhaft aufrechterhält, weshalb Shyamalan auf so manchen Kniff und konventionelle Genreregeln zurückgreift: Gespräche, Fluchtversuche, Hoffnung auf Rettung von außen (hier durch die großartige Betty Buckley, die ihr Debüt vor vierzig Jahren in Carrie gab, als Psychiaterin). Es gebe eine Grenze, die man als Mensch nicht überschreiten dürfe, meint sie in einer der wenigen Szenen, in denen sich das Geschehen in die Außenwelt verlagert, zu ihrem Patienten.

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Doch genau darin liegt der Reiz von Split: Shyamalan bricht das mittlerweile abgenutzte Subgenre des Kellerpsychothrillers auf und erweitert es ins Fantastische. Denn hinter den dreiundzwanzig Persönlichkeiten wartet eine letzte, die sich erst mit einer traumatischen Erfahrung des Final Girl manifestiert.

Split, wie auch The Visitors mit minimalem Budget entstanden und in den USA zum Box-Office-Erfolg geworden, zeigt einmal mehr nicht, was Menschen zu tun imstande sind, sondern was sie ausmacht, wenn die letzte Tür geöffnet wurde. (Michael Pekler, 26.1.2017)