Kiew/Moskau – Die Situation im ostukrainischen Donbass-Gebiet hat sich dramatisch zugespitzt. Seit Tagen toben nördlich der Großstadt Donezk heftige Kämpfe zwischen den Kriegsparteien. Auf beiden Seiten steigen die Verluste. Auch Zivilisten mussten wieder sterben.

Das ukrainische Militär bezifferte die eigenen Verluste am Montag auf fünf Gefallene und 14 Verletzte, in den sozialen Netzwerken der Separatisten ist von etwa zehn Toten auf deren Seite zu lesen. Offiziell wurde nur der Tod des Milizenführers Iwan Balakei, genannt "der Grieche", und eines Zivilisten durch den Beschuss der mit Donezk verwachsenen Großstadt Makejewka bestätigt. Inoffiziell sollen die Verluste aber auf beiden Seiten wesentlich höher sein. Die OSZE-Beobachter haben innerhalb eines Tages 2.260 Verstöße gegen die geltende Waffenruhe protokolliert.

Gefangen im Ring der Zeit

Vor knapp drei Jahren begannen nach der Ausrufung der separatistischen "Volksrepubliken" die blutigen Kämpfe im Donbass. Viele Bewohner der Region fühlen sich dieser Tage wieder an die Zeit zurück erinnert: "Es knallt entlang der ganzen Frontlinie zum ukrainischen Militär. Das heißt, es hat genau das begonnen, was schon 2014, Anfang 2015 passiert ist. Die Leute sagen es auch so: Sollte sich wirklich der Ring der Zeit geschlossen haben, und wir sind ins Jahr 2014 zurückgekehrt?", beschreibt der Donezker Journalist Alexander Naumow die Stimmung in der Stadt.

Verwüstungen gibt es auch in der vom ukrainischen Militär kontrollierten Kleinstadt Awdejewka, sechs Kilometer nördlich von Donezk. Häuser sind zerstört, das Stromnetz ist zusammengebrochen. Hier wie dort sind unter anderem großkalibrige Artillerieeinschläge, abgeschossen von Raketenwerfern des Typs Uragan oder Grad, verzeichnet worden, obwohl sich beide Seiten schon vor langer Zeit zum Abzug der schweren Waffen verpflichtet haben.

Taktische Landgewinne

Epizentrum der Auseinandersetzungen ist der am Stadtrand von Awdejewka gelegene ehemalige Industriebezirk, der lange Zeit Grauzone zwischen den Fronten war. Zuletzt hatten die ukrainischen Streitkräfte mit der schleichenden Eroberung des Niemandslands den Druck deutlich erhöht. Nacht für Nacht stießen sie einige Hundert Meter vor und gruben sich auf den neuen Positionen ein, wodurch sich der Abstand zwischen den verfeindeten Parteien deutlich verringerte. Das Gebiet sichert die Kontrolle über eine wichtige Kreuzung zwischen dem Donezker Autobahnring und der Fernverkehrsstraße M04, die weiter Richtung "Luhansker Volksrepublik" und Russland führt.

Aufsehen rief zudem ein Nachrichtenbeitrag eines ukrainischen TV-Senders hervor, in dem der Vorstoß des Militärs mit der Rückkehr zur im ersten (gescheiterten) Minsker Abkommen festgelegten Frontlinie begründet wird. Das würde bedeuten, dass die ukrainische Führung noch größere Gebietsgewinne plant, was unweigerlich zum endgültigen Scheitern des Minsk-II-Abkommens führen würde. Offiziell wurden diese Pläne in Kiew allerdings nicht bestätigt. (André Ballin, 30.1.2017)