Zwei Männer, eine unsichere Mission: Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (auf der Regierungsbank links) und Bundeskanzler Christian Kern wollten das Parlament von ihrem Plan für Österreich überzeugen. Bei Neos-Chef Matthias Strolz gelang das nicht wirklich.

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Achtzig Minuten war die Gangart im Parlament das, was Pferdekenner Trab nennen. Es ging gemächlich dahin, mal da, mal dort ein Zwischenruf, wurde in wechselnden Rollen die Regierungserklärung von Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) recht pfleglich evaluiert. Nicht einmal FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und Grünen-Chefin Eva Glawischnig haben die neue rot-schwarze Polizze in Form eines Teilzeitregierungsprogramms für die restlichen 18 Monate der Legislaturperiode mit oppositioneller Schärfe angefasst.

In Minute 59 der 14. Stunde dieses Dienstags erklomm Neos-Chef Matthias Strolz das Pult und ging es etwas therapeutisch an, indem er fragte: "Wenn Sie hier nachspüren, dann spüren Sie, dass keine Energie im Raum ist." Das war einigen im ÖVP-Sektor eine Spur zu esoterisch: "Was soll das heißen?" Strolz half: "Es ist die Luft raus." Dann gab er der Veranstaltung die Sporen und die Gebärdendolmetscherin musste erstmals an diesem Tag das Wort "Pferd" übersetzen: "Nur verzweifelte Indianer reiten tote Pferde", sagte ein auf Touren kommender Strolz zur Regierungsspitze: "Sie beschließen, sie reiten ein totes Pferd."

Heiter mit dem dem toten Gaul

Mit dem toten Gaul kam große Heiterkeit ins Parlament, zumal er mehrfach durch Strolzs Rede galoppierte, Kanzler und Vizekanzler hörten jedenfalls vergnügt zu, immerhin beschied ihnen der Neos-Chef mit Liebe zu Sprachbildern auch einen "schönen Sattel", also durchaus positive Ideen, aber es fehlten halt wichtige Themen wie etwa die Pensionen, und WLAN für die Schulen sei ja wohl eine Selbstverständlichkeit.

Vielleicht, aber bis jetzt eben noch nicht Realität, und diese Regierung werde das nun machen, war der Grundtenor von Kerns Rede. Er betonte, dass es sich bei den 46 Maßnahmen um "einen guten Kompromiss und ein sehr gutes Programm" handle, bei dem es nicht darum gehe, wessen Handschrift sich vermeintlich darin finde, sondern "das Land voranzubringen". Er wolle die "Energie nicht ins Verhindern investieren".

Alle stehen dahinter – jetzt

Von der Stärkung der Wirtschaft und dem Ziel der Arbeitsplatzschaffung über die Modernisierung des Bildungssystems, Verbesserungen für Frauen, Ältere, aber auch die junge Generation bis hin zu Sicherheit, "einem der wichtigsten Themen der österreichischen Bevölkerung", das Kern "mit Augenmaß und im Rechtsstaat diskutieren" will, und zu "forcierter" Integration in integrierbarer Größe wolle die Koalition – gern mit Unterstützung der Opposition – ans Umsetzen gehen. Geschlossen, wie Kern betonte: "Die gesamte Regierung steht hinter diesem Programm."

Das war ja nicht immer so klar. Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) hatte gedroht, nur sein Kapitel zu unterzeichnen, setzte letztlich aber doch seinen Namen unter das ganze Werk. Die Abgeordneten müssten sich aber auch zum neuen Kurs bekennen. Dazu brachte SPÖ-Klubchef Andreas Schieder für die Koalition einen unverbindlichen Entschließungsantrag ein, über den namentlich abgestimmt werden sollte – und schließlich stimmten die roten und schwarzen Abgeordneten dem Antrag auch geschlossen zu.

Ein Orchester, kein Solo

Sobotka folgte der Debatte zeitweilig mit grimmiger Miene. Einmal lieferte ihm Schieder einen Grund zum Lächeln, als er sagte: "Regierungsarbeit ist ein Orchesterstück, kein Solostück." Dass das neue Programm "eine Partitur für die Zukunft unseres Landes" sei, ließ den studierten Dirigenten Sobotka zumindest schmunzeln.

Zukunft war zuvor auch schon das Stichwort für den Vizekanzler. Mitterlehner erinnerte angesichts unsicherer Zeiten und grassierender Zukunftsangst an die Aufgabe der Politik, den Menschen "Sicherheit und Zukunftsperspektiven anzubieten", zum Beispiel "sinnstiftende Arbeit".

Auch er reklamierte – so wie Kern – kein Copyright für seine Partei: "Es ist ein Programm für Österreich, und es ist gut, wenn sich jemand darin wiederfindet, denn es soll Österreich voranbringen." Da die Parteizentralen dann ja doch wie üblich recht schnell rote oder schwarze Handschriften erblickt haben wollten, meinte Mitterlehner: "Es muss sich auch niemand entschuldigen, wenn er seine Ideen in dem Programm wiederfindet. Es ist nichts Schlechtes" – zum Beispiel die kalte Progression abzuschaffen, Studienplatzfinanzierung einzuführen oder ein Sicherheitspaket, das eine sinnvolle Balance zwischen Freiheit und Sicherheit habe.

Der gefühlte 100. Neustart

Weniger eine Balance denn vielmehr einen roten Umfaller Richtung ÖVP meinte FPÖ-Chef Strache zu erkennen. Und überhaupt, er habe große Zweifel, ob "der gefühlte 100. Neustart" klappen werde. Immerhin, mit dem Vollverschleierungsverbot fühlen sich die Blauen bestätigt: "Wichtig wäre ein Kopftuchverbot an Schulen und Unis." Die Fußfessel für "Gefährder" begrüßte Strache.

Grünen-Chefin Glawischnig vermisst eine Steuerreform mit ökologischen Aspekten und sagte: "1500 Euro Mindestlohn sind Jahre zu spät!" Sie wünscht sich auch einen Neustart im Parlament, anstatt wie bisher die Opposition dauernd "kindisch niederzustimmen". In einem Punkt waren die Grünen – und auch die Neos – am Dienstag einer Meinung mit der SPÖ-ÖVP-Koalition: In einem von den Grünen initiierten Entschließungsantrag wurde die Bundesregierung aufgefordert, gegen Donald Trumps Einreiseverbote für Bürger aus sieben mehrheitlich muslimisch bewohnten Staaten in die USA aktiv zu werden. (Lisa Nimmervoll, 1.2.2017)