Slow-Motion-R-'n'-B-Leidensmann Christopher Taylor alias Sohn hat starke Gefühle. Selbstmitleid gehört auch dazu.


Foto: Phil Knott

Wien – Der aus London stammende Musiker und Produzent Christopher Taylor lebte jahrelang in Wien. Hier betrieb er mit Trouble Over Tokyo ein mäßig erfolgreiches, professionell gemachtes, aber nicht übermäßig zwingendes Projekt für die Neigungsgruppe Flex-Fluc-FM4. Er selbst bezeichnete seine Musik als "Angstpop". Die Mischung aus geschmeidigem Boyband-Gejammere im Zeichen von Castingshows und "Soul" mit der Betonung auf Uuuu-yeah und ein wenig kantigerem Indiepop-Geschrammel konnte, musste einem aber nicht auf den Zeiger gehen. Irgendwann Anfang der Zehnerjahre war die Luft draußen – und Justin Timberlake sowieso uneinholbar.

Inzwischen ist Christopher Taylor über London der Businesskontakte und Bookingagentur wegen nach Los Angeles gezogen. Seit seinem vor drei Jahren beim renommierten britischen Label 4AD erschienenen Debüt Tremors geht er unter dem deutschen Künstlernamen Sohn durch die Welt. Er hinterlässt dabei ohne den Suchbegriffszusatz Musik tatsächlich sehr viele ins Nichts führende Google-Spuren.

SOHNVEVO

Auch die Texte von Sohn neigen dazu, zwischen zwei Fixpunkten des deutschen Liedguts herumzugeistern. Da wäre einerseits Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist, andererseits Leise flehen meine Lieder.

Musikalisch hat sich der Mann mit der schönen, souligen Kopfstimme nach Tremors nun auch auf dem neuen, schick deutsch betitelten Album Rennen an die gute alte Maxime gehalten, dass interessanterweise Mehr nicht zwangsweise mehr bedeutet, sondern oft auch weniger total in die Breite geht.

Die meisten dieser zart ins Eingemachte zielenden Lieder basieren auf einem irgendwo tief unten im Marianengraben Richtung letztes Loch pochenden Echolot. Wir erinnern uns an den guten, alten Kinofilm Das Boot. Anstatt einer Wasserbombe haut in diesem Fall bei entsprechender Lautstärke ab und an eine Bassfrequenz in die Songs ein. Darüber gibt Christopher Taylor den Fliegenden Holländer, aber zärtlich und verletzlich. Schwamm drüber.

Musikalisch knapp gehalten

Mit nur wenigen Ideen, ökonomisch knapp gehaltenen Keyboard-, Klappcomputer- und Klavierloops entstehen so ganz in Taylors eigener Tradition stehende Klageballaden, die so vor Jahren auch schon vom stilprägenden britischen Vorbild James Blake falsettlastig wie bass- und reduktionsbetont produziert wurden. James Blake ist vom Londoner Underground-Phänomen des Autoren-Postdubstep oder -Neosoul mittlerweile zum songschreibenden Hoflieferanten von Beyoncé aufgerückt. Er dürfte also beim in zwei Jahren einsetzenden Karriere-Backlash bei Madonna in den Dienst treten, weil er für Björk einfach nicht crazy genug ist.

SOHNVEVO

Sohn geht es noch etwas ruhiger an. Für das Video zum Song Signal konnte er allerdings immerhin Milla Jovovich als Regisseurin und Hauptdarstellerin gewinnen, was jetzt als Coup nicht so schlecht ist. Milla Jovovichs Aufgabe ist es – Wasser marsch! -, viereinhalb Minuten ausdrucksstark ihr dick aufgetragenes Make-up in körnigem Schwarz-Weiß zu zerweinen, während Sohn sorgenvoll an seinem schicken Slow-Motion-R-'n'-B leidet: "Wave across the water for me / Let me know / That you'll be waiting ever for me / Oh, I've been traveling / Waiting for a moment of peace / These stormy weathers / Have got me thinking of how I want it to be ..."

Das ist das fröhlichste Stück des Albums. Volle Emotion auch im Titelsong Rennen ("My faith don't mean a thing"), in Hard Liquor oder Harbour. Klingt alles ähnlich. Diese Musik läuft heute in jeder Boutique, zum veganen Burger oder beim After-McJob-Clubbing. Beklemmung als Massenphänomen. (Christian Schachinger, 2.2.2017)