In Zeiten, in denen "postfaktische, auf alternativen Tatsachen beruhende Fake-News" für allgemeine Verunsicherung sorgen, sollte man auch auf jene hören, die auf diesem Gebiet schon über Jahrzehnte Kompetenz bewiesen haben. Zum Beispiel auf Wolfgang Fellner, der Fakten zumeist als nette, aber durchaus verzichtbare Zutat seiner durchkommerzialisierten Interpretation von Journalismus verstanden hat. Im Gespräch mit der Recherche-Plattform dossier.at meint er: "Ich kann Ihnen versichern, dass es in Österreich keine Schleichwerbung gibt. Jedenfalls viel weniger als in anderen Medien."

Abgesehen von der rhetorischen Kühnheit – eine falsche Aussage wird gleich im nächsten Satz durch eine zweite falsche Aussage als falsche Aussage entlarvt – ist das in diesem Zitat zum Ausdruck gebrachte Verständnis von Verantwortung symptomatisch für eine derzeit weitverbreitete Grundhaltung: "Die anderen lügen aber viel mehr!"

Wenn dieser Satz zur Verteidigung von der Realität tendenziell dissident gegenüberstehenden Medien wie Breitbart oder unzensuriert.at gebraucht wird, erinnert das an den alten Witz, in dem ein Autofahrer die Geisterfahrerwarnung aus dem Autoradio mit dem Ausruf kommentiert: "Was heißt ein Geisterfahrer? Hunderte!"

Nur um es kurz klarzustellen: Wahrheit ist kein für Menschen erreichbares Ziel, sondern eine Richtung. Wenn wir aufhören, zwischen mehr und weniger wahren Aussagen zu unterscheiden, geben wir nicht nur das Projekt der Aufklärung auf, sondern auch jenes der Zivilisation. Dass solche Selbstverständlichkeiten nicht mehr selbstverständlich sind, beweist ein unlängst im STANDARD erschienener Kommentar des WU-Professors Wolfgang Mayrhofer, in dem dieser erklärt, dass "Fakten für sich genommen relativ wertlos sind" und deshalb "keine Rolle spielen".

Also für mich persönlich spielt das Faktum, dass Sie in diesen Sekunden meine Kolumne lesen und nicht zum Beispiel an der WU einen Vortrag zum Thema "Is eh scho ollas wurscht" hören, schon eine Rolle. Aber was hat Faktenverachtung in der Wissenschaft verloren? Vielleicht liegt es an einem Missverständnis, beruhend auf dem als "Schrödingers Katze" bekannt gewordenen Gedankenexperiment, in dem eine Katze nach den Regeln der Quantenmechanik gleichzeitig tot und lebendig sein kann. Ein Zustand, der aber in der uns zugänglichen Welt nicht vorkommt.

Deshalb waren bei der Angelobung Donald Trumps auch nicht mehr UND weniger Menschen als bei jener von Obama 2009 anwesend, sondern nur weniger. Meldungen, wonach es mehr gewesen seien, sind leicht als Enten zu entlarven. Eine Beraterin Trumps hat für diese Lügen die Umschreibung "alternative Fakten" erfunden, eine Wortkreation, die fatal an das akrobatische Vernebelungsvokabular der "Political Correctness" erinnert. Sollte dies ein Vorgeschmack auf eine neue rhetorische Sensibilität im Umfeld des US-Präsidenten sein, dürfen wir vermutlich bald mit weiteren Sprachregelungen rechnen. Statt "Bankrotteur" wird es dann "Monetarismus-Verweigerer" heißen, "Pussygrabbing" wird als "vaginal orientierte Haptik" bezeichnet, und "Arschloch" wird durch "charakterlich Herausgeforderter" ersetzt. (Florian Scheuba, 1.2.2017)