Die Muslimische Jugend, das Netzwerk Muslimische Zivilgesellschaft und die Dokustelle Muslime organisieren für Samstag eine Demonstration in Wien.

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Wien – Geht es nach der Regierung, ist der Begriff "Neutralität" eine Frage der Perspektive. Was die Koalition definitiv will: Richterinnen, Staatsanwältinnen und Polizistinnen sollen im Dienst kein Kopftuch tragen dürfen. Was Rot-Schwarz vermutlich will: Polizisten und Richtern auch sichtbare Anhänger mit religiösen Symbolen verbieten. Was SPÖ und ÖVP auf keinen Fall wollen: dass Kreuze aus Gerichtssälen oder Schulen entfernt werden.

"Der Staat ist verpflichtet, weltanschaulich und religiös neutral aufzutreten", wird der Mix an Wünschen im neuen Regierungsprogramm begründet. "Was hier als 'neutral' bezeichnet wird, ist nicht seriös", sagt Maria Wittmann-Tiwald, Präsidentin des Handelsgerichts und Vorsitzende der Fachgruppe Grundrechte der Richtervereinigung. Dort herrsche deshalb "völliges Unverständnis".

Grundrechtlich nicht zulässig

Ein Kopftuchverbot für Richterinnen trotz Beibehaltung des Kreuzes in Gerichtssälen sei verfassungsrechtlich und grundrechtlich auch überhaupt nicht zulässig. Bei der Argumentation der Regierung handle es sich um "eine Entstellung des Sinnes des Neutralitätsgebots". Entweder sämtliche religiöse und weltanschauliche Symbole würden verboten – oder keines.

Gerhard Jarosch, der Präsident der Vereinigung österreichischer Staatsanwälte, sieht das ähnlich: "Es handelt sich um eine sehr heikle Frage. Meiner Meinung nach wäre das Sinnvollste: kein Kreuz, kein Kopftuch, kein gar nichts." Er weist darauf hin, dass den öffentlichen Anklägern in einer Ethikerklärung ja auch empfohlen werde, kein Parteibuch zu haben. "Es gibt eine breite Basis, dass Staatsanwälte sich jeder religiösen, weltanschaulichen und politischen Äußerung zu enthalten haben", sagt Jarosch.

In der Polizeigewerkschaft ist man diesbezüglich weniger kritisch: "Die Debatte wurde bei uns erst durch das neue Regierungsprogramm überhaupt zum Thema", sagt Hermann Wally, Vorsitzender der sozialdemokratischen Vertretung. Es könne sich zwar "kein Kollege und keine Kollegin vorstellen", dass eine Polizistin im Dienst ein Kopftuch trage, ein Kreuzerl um den Hals sei seiner Meinung nach aber ein "persönlicher Schmuckgegenstand".

Kreuz als "Friedenssymbol"

Auch Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) hat bereits kundgetan, dass ein Kreuz "nicht nur ein religiöses", sondern auch ein "Friedenssymbol" sei. Zumindest sichtbare religiöse Symbole, erklärt ein Sprecher des Ministeriums, seien aber schon jetzt verboten: Zur Uniform dürfe schließlich nur getragen werden, was explizit in der Polizeiuniformtrageverordnung genannt ist – das sind Kreuzanhänger nicht.

Die Richterin Wittmann-Tiwald ist jedenfalls auch insofern von dem geplanten Kopftuchverbot in der Justiz irritiert, als an anderer Stelle das Neutralitätsgebot bereits seit langem nicht gewahrt werde: und zwar bei der Vereidigung. "Es gibt bis heute mehrere alte Gesetze, in denen die Eidesformel einen Gottesbezug enthält", sagt sie. Müsse sich jemand vor Gericht "outen" und erklären, ob er religiös ist oder nicht, widerspreche das aber ganz klar der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Islamvertreter wollen am Samstag nun protestieren. Es gehe nicht nur um das Kopftuchverbot, sondern um Menschenrechte allgemein. "Diese Maßnahme zeigt, welchen autoritären, populistischen Regierungsstil die österreichische Politik angenommen hat. Bewusst werden Minderheiten und Frauen an den Rand der Gesellschaft gedrängt", heißt es in der Einladung zur Demonstration in Wien. (Katharina Mittelstaedt, 2.2.2017)