Wochenlang liegt in der kalten Jahreszeit eine schwere Wolke über Graz. Im Wahlkampf spielte die alarmierende Feinstaubsituation eine verhältnismäßig kleine Rolle.

Foto: Plankenauer

Auch das noch. Zwei Monate mühte sich Michael Ehmann ab, um seinen Bekanntheitsgrad, um seine Chancen als SPÖ-Spitzenkandidat zu erhöhen – und jetzt wird er krank, der Kanzler. Bundeskanzler und SPÖ-Chef Christian Kern musste am Donnerstag seinen Graz-Termin wegen eines "grippalen Infektes" absagen. Keine Selfies mit Ehmann, keine PR-Hilfe des mediengewandten Kanzlers für seinen Grazer Parteichef, der am Sonntag versuchen muss, seine ehemalige Bürgermeisterpartei vor dem Absturz in die einstellige Bedeutungslosigkeit zu bewahren.

Da der Wahlkampf also ohne Kern in seine letzte Runde geht, könnte der Wahlsonntag einige Überraschungen parat haben. "Es ist alles möglich", sagt Klaus Poier, Politikwissenschafter der Uni Graz, "die Stadt ist einfach nicht einschätzbar." Als gesichert gilt nur, dass Bürgermeister Siegfried Nagl mit rund 30 Prozent Erster bleiben wird. Gut möglich, dass er Prozentpunkte verliert, denkbar aber auch, dass er zulegt. Die unberechenbare Gemengelage aus ÖVP, KPÖ, SPÖ, Grünen, FPÖ, Neos, Piraten und einigen versprengten neuen Listen macht Graz zum unberechenbaren politischen Wetterhäuschen. Die Volatilität ergibt sich auch aus den mangelnden Wahlkampfthemen, es gab keine großen polarisierenden Materien, an denen Mehrheitsverhältnisse ablesbar wären.

Polarisierendes Kraftwerk

Das Projekt des Murkraftwerkes poppte zwar auf, doch: "Ich glaube nicht, dass das Murkraftwerk die großen Massen in Graz bewegt hat", sagt Poier. Heinz Wassermann, Politikexperte an der FH Joanneum, glaubt hingegen schon, dass das Murkraftwerk eine sehr polarisierende Wirkung auf die Wahl haben könnte. Zuletzt hat sich die KPÖ auf das Thema "draufgesetzt" und den Grünen einiges Terrain abgegraben. Immerhin hätten die Kommunisten mit der Forderung nach einer Volksbefragung über das – mittlerweile – in Bau befindliche Kraftwerk die Neuwahlen ausgelöst. Allerdings nachdem die KPÖ vor zwei Jahren Neuwahlen verhinderte, indem sie der ÖVP schon einmal das Budget rettete, weil sonst alle Parteien abgesprungen waren.

Die Kommunisten machen die Befragung jedenfalls auch zur Bedingung für eine künftige Zusammenarbeit mit der ÖVP oder irgendeiner anderen Partei, wie KPÖ-Vizebürgermeisterin Elke Kahr bei der letzten Pressekonferenz ihres Wahlkampfes am Donnerstag bekräftigte.

Ziele

Gemeinsam mit dem parteiunabhängigen Arzt Hans Peter Meister zählte Kahr nochmals ihre Ziele auf: das Wohnressort behalten, Ausweitung des Kautionsfonds, Tarif- und Gebührenstopp bis Ende 2017, keine Erhöhung des Preises der Öffi-Jahreskarte, keine Privatisierungen städtischen Eigentums, mehr Altstadtschutz, mehr Kontrolle in stadteigenen Beteiligungen – und Zweite bleiben.

Wenig später mussten KPÖ, Grüne und Umweltschutzverband am Donnerstag aber einen Rückschlag hinnehmen. Das Landesverwaltungsgericht entschied, dass der negative Bescheid für eine Volksbefragung in Graz rechtens gewesen sei. Der Antrag werde abgelehnt, da "nur Fragestellungen zu künftigen Projekten und Vorhaben zulässig sind und nicht zu Projekten, die bereits wie im vorliegenden Fall rechtskräftig genehmigt sind".

Monothematischer Wahlkampf

Wie schon in den letzten Wahlen legte die FPÖ ihren Wahlkampf monothematisch an. Sie möchte "unser Graz zurück". Im Großen und Ganzen scheint man sich auf den Bundestrend und die dortigen guten Umfragewerte zu verlassen. Dabei setzt Mario Eustacchio auch auf rechtskräftig Verurteilte und die Zusammenarbeit mit Identitärenkreisen, die Norbert Hofer in seinem Wahlkampf ausdrücklich ablehnte. Parteichef Heinz-Christian Strache und Hofer kamen jedenfalls am Donnerstagabend, um auf dem Grazer Hauptplatz Stimmung zu machen.

Das im wahrsten Sinne atemraubende Thema der Feinstaubbelastung kommt bei der FPÖ nicht wirklich vor, während Grüne, KPÖ und Piraten Gratis-Öffis an Überschreitungstagen und Fahrverbote, die allerdings nur das Land erlassen könnte, fordern.

Regieren im Proporz

Wie immer die Wählerinnen und Wähler entscheiden werden, eines scheint schon im Vorfeld gewiss: Das Regieren wird auch nach der Wahl sicher nicht einfacher, weil stabile Verhältnisse fast unmöglich scheinen.

Klaus Poier rät einmal mehr zu einer grundlegenden Änderung des Grazer Proporzsystems: "Ich frage mich schon, ob das wirklich noch zeitgemäß ist. Da können Parteien die Budgets, ja Regierungen platzen lassen und sitzen danach trotzdem wieder in der Regierung. Man sollte nach dieser Wahl ernsthaft über ein sinnvolles Mehrheitssystem nachdenken."

Wochenlang liegt in der kalten Jahreszeit eine schwere Wolke über Graz. Im Wahlkampf spielte die alarmierende Feinstaubsituation eine verhältnismäßig kleine Rolle. (Walter Müller, Colette M. Schmidt, 2.2.2017)