"Marsch für das Leben" im Mai des Vorjahres in Zagreb: Über 10.000 Teilnehmer setzten sich für die "Unverletzlichkeit der Familie" ein – das Abtreibungsgesetz aus den 1970ern soll revidiert werden.


Foto: Balkan Fellowship for Journalistic Excellence

Das Haus mit seinen für die dalmatinische Küste Kroatiens so typischen dicken Mauern und grünen Fensterläden ist von Palmen gesäumt. Drinnen macht sich Meri Bilic in einer halbfertigen Küche inmitten bunter Spielzeug- und Wäschehaufen zu schaffen.

Bilic, eine 49-jährige Frau mit gefärbtem kastanienbraunem Haar, beaufsichtigt die Renovierungsarbeiten des Hauses, das das "Bethlehem-Zentrum für ungeborenes Leben" beherbergen soll. Die Einrichtung bietet schwangeren Frauen, die aus familiären oder finanziellen Gründen einen Schwangerschaftsabbruch in Betracht ziehen, einen Zufluchtsort. Entscheiden sie sich für das Kind, erhalten sie hier ein Jahr lang freie Unterkunft und Verpflegung.

Das von örtlichen Klosterschwestern finanzierte Haus liegt in der Nähe der Hafenstadt Split im Süden des Landes und ist die fünfte Bethlehem-Einrichtung in Kroatien. Bilics Mobiltelefonnummer findet sich neben anderen Kontaktdaten von Bethlehem-Häusern auf der Kontaktseite einer Website, die bei einer Google-Suche nach Abtreibungskliniken ganz vorne aufscheint.

Die Website ("www.klinikazapobacaje.com") gibt vor, eine Beratungsstelle für Informationen rund um den Ablauf und die Folgen einer Abtreibung zu sein. Doch das Bild einer bluttriefenden Schere lässt rasch die wahre Absicht erkennen. Frauen, die abtreiben, steht dort zu lesen, liefen Gefahr, an Depressionen, sexuellen Funktionsstörungen und Krebs zu erkranken, drogenabhängig zu werden und an Selbstmord zu denken. "Die Idee ist genial", meint Bilic. "Die schwierigste Aufgabe ist es, zu unseren Kunden zu kommen, weil jede Frau eine Abtreibung normalerweise heimlich machen lässt."

"Die Bethlehem-Zentren", sagt sie, "sind die vorderste Verteidigungslinie. Wir sind Fußsoldaten in einem Krieg." Bilic gehört einer wachsenden Bewegung an, die der Abtreibung im vorwiegend katholischen Kroatien ein Ende setzen will, ein seit Jahrzehnten gesetzlich verankertes Recht, dessen Zugang jedoch zunehmend erschwert wird.

Statistik sagt nicht alles

Kroatien, das jüngste Mitglied der Europäischen Union, zählt europaweit zu den Ländern mit den wenigsten Schwangerschaftsabbrüchen.

Seit dem Unabhängigkeitskrieg 1991 bis 1995, der das für viele Kroaten in ihrem katholischen Glauben verwurzelte Gefühl nationaler Identität wiederaufleben ließ, vom sozialistischen Jugoslawien lossagte, sind die Zahlen dramatisch gesunken.

Die offiziellen Zahlen erzählen freilich nicht die ganze Geschichte. Viele kroatische Frauen sind dazu gezwungen, nicht registrierte, illegale Abbrüche in privaten Kliniken durchführen zu lassen – aus Angst vor Stigmatisierung und blockiert durch eine Vielzahl an Ärzten, die sich aus Glaubensgründen weigern, Abtreibungen in öffentlichen Spitälern vorzunehmen.

Jene Schwangeren, die Hilfe suchen, werden vom Staat häufig an katholische Notunterkünfte für Frauen und Kinder verwiesen, die, wie im Fall von Bethlehem, an Frauen appellieren, ihre Kinder zu behalten und dabei entweder vor Verdammnis warnen oder Erlösung versprechen.

Parallelen zu anderen Ländern

Seit 2016 eine konservative Regierung das Ruder übernahm, ist das Recht auf Abtreibung nun direkt bedroht. Diese Entwicklung war auch in Polen zu beobachten, wo nur Massenproteste im Oktober dieses Jahres das Parlament davon abhalten konnten, ein fast vollständiges Verbot auszusprechen. Es gibt auch Parallelen zu anderen Ländern des ehemaligen Jugoslawien. In Mazedonien soll das Recht auf Abtreibung ebenfalls eingeschränkt werden, im Kosovo fördert wiederum soziale Stigmatisierung illegale Abbrüche.

"Die Stellung der Frau in der Gesellschaft ist bedroht und wird zu einem ideologischen Kampfplatz für das Profil der kroatischen Gesellschaft", meinte die kroatische Soziologin Valerija Barada.

701 Schwangerschaftsabbrüche pro 1000 Lebendgeburten gab es laut Daten der Weltgesundheitsorganisation 1980 in Kroatien – damals noch Teil der sozialistischen jugoslawischen Föderation, wo die Abtreibungsraten generell hoch waren. Mit dem Ausbruch des Krieges 1991, als Kroatien seine Unabhängigkeit erklärte, begannen diese Zahlen drastisch zurückzugehen. 2014 waren es nur mehr 76 Abbrüche pro 1000 Lebendgeburten – die niedrigste Rate in der Balkanregion.

Hälfte der Ärzte weigert sich

In Kroatien sind Abtreibungen grundsätzlich an öffentlichen Spitälern und in einem privaten Krankenhaus in Zagreb erlaubt. Von 375 Ärzten, die berechtigt sind, den Eingriff vorzunehmen, weigert sich jedoch knapp die Hälfte, es auch tatsächlich zu tun, wie aus einem Bericht der Ombudsstelle für Gleichstellungsfragen aus dem Jahr 2014 hervorgeht.

Die Ärzte berufen sich dabei auf ein Gesetz aus 2003, in dem das Recht auf Verweigerung aus Gewissensgründen verankert ist. Das führt dazu, dass etwa in Split, Kroatiens zweitgrößter Stadt mit 180.000 Einwohnern, nur einer von 25 Gynäkologen am Landeskrankenhaus Abtreibungen durchführt.

Die Geschichte von Sani ist dabei nicht untypisch. Als sie 2011 als 18-Jährige schwanger wurde, teilte man ihr im öffentlichen Krankenhaus in Split mit, dass keiner der Ärzte dort Abtreibungen durchführe. Also rief Sani ihre Gynäkologin an. "Sie sagte mir, sie sei dazu da, um Babys auf die Welt zu bringen und nicht, um sie zu töten", erzählt Sani.

Schlussendlich vertraute sich Sani den Eltern ihres Freundes an, die eine ihnen bekannte Krankenschwester anriefen. Diese arrangierte die Abtreibung illegal mit einem Arzt einer Privatklinik in einer kleinen, nahegelegenen Küstenstadt. In Sanis Behandlungsunterlagen ist der Abbruch als Fehlgeburt vermerkt. Sie zahlte 340 Euro, mehr als das Doppelte der durchschnittlichen Behandlungskosten in öffentlichen Spitälern. Das teuerste öffentliche Krankenhaus befindet sich in der südlichen Touristenstadt Dubrovnik, wo eine Abtreibung 405 Euro kostet – was in etwa dem monatlichen Mindestlohn in Kroatien entspricht.

Gewissen und Geschäft

"Ein Großteil der Ärzte in Kroatien wird in irgendeiner Form Gewissensgründe anführen, aber es gibt auf jeden Fall eine Gruppe, die aus welchen Gründen auch immer keine Eingriffe im Krankenhaus vornimmt, sehr wohl aber privat", erklärte Zdeslav Benzon, ein Arzt am Krankenhaus in Split, der sich selbst weigert, Abtreibungen durchzuführen.

Laut Landesstatistik sind heimliche Abtreibungen wahrscheinlich der Grund, dass sich die Anzahl an Eingriffen, die offiziell aus "medizinischen Gründen" durchgeführt wurden, zwischen 1998 und 2014 von 21 auf 48 Prozent mehr als verdoppelt hat. Der Anteil legaler Schwangerschaftsabbrüche ging dagegen drastisch zurück.

"Bei einer Vielzahl von Abtreibungen werden medizinische Gründe angegeben", sagt Soziologin Barada. Innerhalb eines "derart konservativen öffentlichen Diskurses" repräsentiere jemand, der offen Abtreibungen durchführe, die "Macht des Bösen". Das gelte auch für schwangere Frauen selbst.

Das wurde im Oktober noch offenkundiger, als katholische Abtreibungsgegner der Kampagne "40 Tage für das Leben" auf Facebook einen Aufruf posteten, am darauffolgenden Tag vor einem Krankenhaus in der östlichen Stadt Vukovar zu beten, nachdem bekannt geworden war, dass eine Frau dort eine Abtreibung durchführen lassen wollte.

Das Krankenhaus ordnete eine interne Untersuchung an, und auch das Büro des Staatsanwalts gab eine Untersuchung darüber in Auftrag, wie spitalsinterne Akten an die Öffentlichkeit gelangen konnten.

Verbindung zu Abtreibungsgegnern

Inspiriert von Aktionen im US-Bundesstaat Texas werden mittlerweile in 24 Städten in ganz Kroatien Andachten vor Krankenhäusern abgehalten. Alles hatte 2013 begonnen, als die prominenten US-Abtreibungsgegnerinnen Lila Rose und Judith Reisman eine Reihe von Vorträgen in Kroatien hielten. Reisman war Gastrednerin der medizinischen Fakultäten in Zagreb und Split.

Zu den Organisatoren zählte eine Gruppe namens Vigilare. Vigilares Logo findet sich auf der Website der Abtreibungsklinik, die Frauen an die Bethlehem-Häuser verweist. Die Gruppe weigert sich allerdings, Fragen von Journalisten bezüglich ihrer Verbindung zu dieser Seite zu beantworten.

Der katholische Geistliche Marko Glogovic eröffnete das erste Bethlehem-Haus 2010 in Karlovac. Die Organisation bietet mittlerweile jeweils 19 Frauen und ihren Kindern für maximal ein Jahr eine Bleibe.

Glogovic erzählt, dass das Haus in Karlovac allein seit der Eröffnung 70 schwangere Frauen unter der Bedingung, dass sie ihre Kinder zur Welt bringen, aufgenommen habe. Aus den an das Finanzministerium übermittelten Finanzberichten geht hervor, dass das Karlovac-Haus in den vergangenen drei Jahren über 300.000 Euro an Spenden von nicht näher genannten Geldgebern erhalten hat.

Bilic erzählt, sie habe Glogovic vor etwa elf Jahren getroffen, als sie unverheiratet schwanger wurde und ihre Stelle als Religionslehrerin verlor. Er überredete sie, das Kind zu behalten, und sie stellte sich in den Dienst der Sache.

Eine freie Entscheidung?

Silvija Stanic, die eine Organisation namens Step by Step leitet, die schwangeren Frauen Beratung und psychologische Unterstützung anbietet, sagt, sie habe keine direkten Erfahrungen mit Bethlehem. Bedenken habe sie sehr wohl: "Was ich über Bethlehem gehört habe, ist, dass es ein Geburtshaus für Frauen ist. Darüber kann ich nicht sonderlich glücklich sein, denn wo bleibt denn da die Entscheidungsfreiheit?"

Wenn die Alternative zu einem "Leben unter der Brücke" eine Einrichtung sei, wo man Frauen ein Dach über dem Kopf gibt, dann sei das natürlich eine Hilfe. Aber: "Zu welchem Preis?"

Die Trennung von Staat und Kirche sei extrem wichtig, dennoch verwiesen die Behörden Frauen regelmäßig an Bethlehem-Einrichtungen. "Ärzte und Krankenschwestern lassen uns wissen, wenn ein Mädchen Hilfe braucht", sagt Blazenka Bakula, Leiterin des Bethlehem-Hauses in Zagreb. Das Haus, das sie führt, arbeite "ganz wunderbar" mit dem Sozialhilfezentrum, dem wichtigsten Sozialhilfeträger des Staates, zusammen. Eine Sprecherin des Ministeriums für Soziales und Jugend lehnt eine Stellungnahme dazu ab.

Krieger und Hüterin

Der Krieg um die Unabhängigkeit Kroatiens gab einer Entwicklung Auftrieb, die die Soziologin Barada als "Retraditionalisierung" von Geschlechterrollen bezeichnet – mit dem Mann als "Krieger" und der Frau als Hüterin der Familie und der Nation. So wie die katholische Kirche nach der Unabhängigkeit an Macht gewann, wuchs auch die Verachtung gegenüber der sozialistischen, säkularen Vergangenheit und ihrer relativ progressiven Einstellung gegenüber Frauenrechten an.

Im ehemaligen Jugoslawien war Abtreibung ab 1952 aus "sozialmedizinischen" Gründen gestattet. 1974 erklärte die Bundesverfassung zu einem "Menschenrecht, frei über die Geburt seines Kindes zu entscheiden". Auf dieser Grundlage verabschiedete Kroatien 1978 ein umfassendes Gesetz zu allen Aspekten der Fertilitätsregelung, wozu auch die Abtreibung zählt.

Konservative Kreise sind heute der Meinung, dass das Gesetz von 1978 unter einem undemokratischen Regime verabschiedet wurde und geändert werden müsse.

Barada ist der Ansicht, dass das Thema Abtreibung "ein fruchtbarer Boden" sei, auf dem man "traditionelle Werte und eine bestimmte politische Agenda bekräftigen und verstärken" könne.

Konservative Bewegung

Sechs Monate nach Kroatiens EU-Beitritt erzielten konservative Interessengruppen im Dezember 2013 ihren ersten großen Sieg, als eine Organisation namens Im Namen der Familie ein Referendum darüber erzwang, ob man die Verfassung dahingehend ändern sollte, die Ehe als eine Verbindung zwischen Mann und Frau zu definieren. Ungefähr 66 Prozent votierten für Ja.

Inzwischen verbreitet die konservative Bewegung ihr Weltbild mit einem teilweise von katholischen Organisationen in den USA und Deutschland finanzierten Kabel- und Internet-Fernsehsender namens Laudato und dem Nachrichtenportal "narod.hr", das Anfang 2014 online ging.

Der Aufstieg der Bewegung erreichte mit der Wahl Ende 2015 seinen vorläufigen Höhepunkt, als die konservative Kroatische Demokratische Union HDZ gewann, und mit ihr eine Reihe prominenter Rechter an die Macht kam, darunter Zlatko Hasanbegovic, ein ehemaliger Aktivist der Organisation Im Namen der Familie. Die Koalition zerbrach im Juni 2016, die HDZ gewann die Wahlen im September jedoch erneut.

Am 10. Oktober erklärte das Verfassungsgericht unter einem neuen Präsidenten, man werde einen vor rund 25 Jahren eingelegten Rechtsbehelf gegen die Verfassungsmäßigkeit der kroatischen Abtreibungsgesetze prüfen. Eine Entscheidung wird bis zum Ende des Jahres erwartet.

"Marsch für das Leben"

Einen Tag nach der Ankündigung des Gerichts erklärte die HDZ in einer Stellungnahme: "Abtreibung auf Verlangen sollte nicht verboten werden, da dieser unerwünschte Eingriff nicht durch ein Verbot eingeschränkt werden kann, sondern durch Bildung." Das Gesetz müsse "modernisiert" und um Maßnahmen wie eine verpflichtende Beratung und ein Verbot von Abtreibungen aufgrund des Geschlechts des Kindes erweitert werden.

Im Mai nahmen bis zu 10.000 Menschen an einer Kundgebung in Zagreb mit dem Titel "Marsch für das Leben" teil und proklamierten die Unverletzlichkeit der Familie, darunter zahlreiche Prominente und Vertreter der konservativen Partei. Es war der erste Marsch dieser Art in Kroatien.

"Es geht um die Disziplinierung der weiblichen Sexualität und des weiblichen Körpers", meinte Barada über die laufende Debatte. Heute sei es in Kroatien "nicht einfach, eine Abtreibung durchzuführen und normal darüber sprechen zu können, ohne sich schuldig zu fühlen". (Masenjka Bacic, 4.2.2017)