Teamplayer Martin Scherb (Mitte) mit seinen Betreuerkollegen Sebastian Brandner, Werner Grabherr, Stefan Fuhrmann und Martin Hämmerle (von links).

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Dimitri Oberlin, im Herbst Altachs bester Torschütze, steht nicht mehr zur Verfügung. Der von RB Salzburg ausgeliehene Kameruner wurde vom Meister zurückbeordert.

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STANDARD: Altach ist Ihre erste Trainerstation außerhalb des Bezirks St. Pölten. Sie haben noch nie in der höchsten Liga gearbeitet. Haben Sie sich den Sprung zum Tabellenführer ohne weiteres zugetraut?

Scherb: Ja, ich traue mir das zu. Der Unterschied zwischen einem professionell geführten Verein aus der Ersten Liga und einem Bundesligisten ist jetzt nicht so groß. Außerdem bin ich Optimist, bei mir ist das Glas immer halbvoll. Ich kenne die handelnden Personen in Altach auch schon länger. Nach den ersten Gesprächen wusste ich: Das passt.

STANDARD: Sie haben 2010 bei Jürgen Klopp hospitiert, der eine sehr ausgeprägte Philosophie verfolgt. Was haben Sie mitgenommen?

Scherb: Damals war von den großen Erfolgen in Dortmund noch keine Rede. Klopps amikaler Umgang mit Mannschaft und Betreuern ist mir aufgefallen. Als wir beim Frühstück zusammengesessen sind und er taktische Konstellationen mit Salzstreuern nachgestellt hat, sind alle Spieler auf mich zugekommen, um zu grüßen. Das fand ich beeindruckend. Respekt vor allen ist auch etwas, das ich von meinen Mannschaften gerne sehe. Fußballerisch lege ich viel Wert auf das spielerische Element, will lösungsorientiert nach vorn spielen. Ich glaube, dass das auch dem Selbstbild meiner Mannschaft entspricht.

STANDARD: Was zeichnet einen guten Trainer aus? Inwieweit haben psychologisches Einfühlungsvermögen oder Kenntnisse über Gruppendynamik im Verhältnis zur reinen Fußballfachmannschaft an Bedeutung gewonnen?

Scherb: Es wird heute in allen Lebenslagen viel mehr hinterfragt. Spieler, die aus Akademien kommen, wissen bereits viel über Trainingssteuerung, Ernährung oder Taktik. Da geht es nicht mehr nur um Spielsysteme. Die wollen Details wissen. Da ist die fachliche Qualität des Trainers gefragt. In vielen Teilbereichen gibt es im Betreuerstab mittlerweile ja auch Spezialisten. Mindestens so wichtig sind aber Führungsqualität und Sozialkompetenz. Wie geht man mit der Mannschaft und seinen Mitarbeitern um, sodass alle nach vorn schauen und gut miteinander arbeiten. Wenn sie sachlich bleibt, wünschen sich die Spieler auch Kritik. Der autoritäre Plärrer wird mittelfristig von der Bildfläche verschwinden.

STANDARD: Sie waren zur Vorbereitung mit der Mannschaft eine Woche im Trainingslager in Alicante. Wie fällt Ihr Resümee aus?

Scherb: An den ersten beiden Tagen gab es Regen und Sturm, da sind uns die Palmen entgegengekommen. Da mussten wir flexibel sein, auch einmal in der Kraftkammer arbeiten. Danach waren die Bedingungen aber wunderbar. Ich war mit dem Verlauf sehr zufrieden, wir konnten unsere Inhalte zu 90 Prozent durchbringen.

STANDARD: Welche Schwerpunkte haben Sie gesetzt?

Scherb: Wir gehen von unserer Spielidee aus, die brechen wir dann herunter bis zur kleinsten Übungseinheit. Wir wollen Fußball spielen, also waren Passübungen, 1:1-Situationen, Agieren unter Druck und Lösungen suchen wichtige Elemente der Arbeit. Außerdem geht es darum, die taktische Flexibilität hochzuhalten, die Altach schon bisher ausgezeichnet hat.

STANDARD: Es war auch von einem Fokus auf die Viererkette zu hören …

Scherb: Das bewährte System mit Dreier- beziehungsweise Fünferkette wird bleiben. In der Analyse des Herbstes hat sich allerdings gezeigt, dass gegen bestimmte Gegner oder in bestimmten Spielsituationen die Viererkette besser gegriffen hätte. Allerdings waren die Mechanismen nicht so da, als dass man es sich zugetraut hätte, sie ohne weiteres umzusetzen. Es ging uns jetzt darum, diese Abrufbarkeit herzustellen.

STANDARD: Während des Transferfensters war Altach nicht wirklich aktiv. Ist das Ausdruck der Zufriedenheit mit dem Kader, oder hat sich nichts Passendes ergeben?

Scherb: Wir glauben, dass der vorhandene Kader genug Qualität hat. César Ortiz, der wegen Verletzung und des Erfolgslaufs der Mannschaft kaum gespielt hat, hat uns verlassen. Eine nachvollziehbare Entscheidung. Der Wegfall von Dimitri Oberlin schmerzt natürlich. Mir war aber klar, dass das passieren kann. Wir haben die Vorbereitung darauf ausgerichtet, dass er nicht mehr da sein wird. Wir sind also vorbereitet. Mit Nicolas Ngamaleu haben wir einen Topspieler für die Offensive. Hannes Aigner kommt zurück, auf Martin Harrer sowie auf Nikola Zivotic setze ich große Stücke – im Sturm sind wir gut besetzt. Defensiv ist Jan Zwischenbrugger wieder da. Er braucht noch etwas Zeit, ist aber auf gutem Weg.

STANDARD: Was hat die Mannschaft im Herbst aus Ihrer Sicht besonders ausgezeichnet. Warum steht sie, wo sie steht?

Scherb: Sie war körperlich in einem hervorragenden Zustand. Sie ist sehr selbstorganisiert, sehr selbstreflektiert. Die Spieler übernehmen in hohem Maß Verantwortung, wie man es im Profifußball nicht immer sieht. Das ist auch eine Leistung des Betreuerteams aus den letzten Jahren. Die Mannschaft bereitet sich selbstständig vor und kommt bereits trainingsbereit auf den Platz. Das Ziel von Athletiktrainer Martin Hämmerle ist, dass die Spieler als Mannschaftssportler so denken wie Einzelsportler. Das umfasst Elemente wie Ernährung, Regeneration, eigentlich die gesamte Lebensweise.

STANDARD: Sie sind zu einer Einheit gestoßen, in der bereits viel funktioniert hat. Inwieweit muss man da die eigene Selbstverwirklichung hintanstellen?

Scherb: Es ist schon eine besondere Situation, man muss feinfühlig herangehen und auf dem Bewährten aufbauen. Die Mannschaft wollte niemanden, der kommt und sagt: Ich erkläre euch jetzt, wie das Kicken funktioniert. Gleichzeitig musst du schon zeigen, dass du neue Ideen einbringen kannst. Ich habe zu Beginn eher beobachtet, darauf geachtet, wo man nachjustieren muss. Auch wenn es Erfolg gibt, darf man nicht stehenbleiben, sonst ziehen die anderen sofort vorbei. Im Fußball bist du nie am Ziel. Irgendwann entschlüsseln dich die Gegner, dann musst du mit einem zweiten oder dritten Plan reagieren können. Und zwar am besten während einer Partie, und nicht erst nachdem du schon zwei Spiele verloren hast.

STANDARD: Manche sagen, wenn man zur Nummer eins geht, kann man eigentlich nur verlieren …

Scherb: Eine solche Überlegung war für mich nie ein Thema. Auch in den Gesprächen mit den Verantwortlichen nicht. Ihnen ist wichtig, dass sich der Verein in allen Bereichen weiterentwickelt. Der Samstag ist nur ein Teil der Arbeit. Da geht es im sportlichen Bereich etwa um Scouting, Spielerprofiling oder noch viel detailliertere Dokumentation. Altach will sich mit Blick auf die Ligareform unter den Top sechs etablieren. Aber natürlich wollen wir heuer die gute Ausgangsposition nützen, das ist klar.

STANDARD: Dass Altach im Herbst auch spielerisch oft überzeugt hat, wird dabei helfen …

Scherb: Da hat es tatsächlich eine große Entwicklung gegeben, weg vom Reagieren, hin zum Agieren. Das war auch ein Wunsch der Mannschaft selbst. Sie wollte nicht nur verteidigen und kontern, sondern dominanter werden, selbst das Tempo vorgeben. Hier wollen wir aber noch besser werden. Es kommt mittlerweile öfter vor, dass Gegner Altach kommen lassen und selbst aufs Umschalten aus sind. Da gilt es für uns, Lösungen zu finden.(Michael Robausch, 9.2.2017)