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Das Bild des gebrochenen Damms des Rotschlammreservoirs nahe der ungarischen Stadt Ajka kurz nach der Katastrophe im Oktober 2010 (unten) und fünf Jahre danach (oben).

Foto: EPA/ISTVAN RUSZA / SANDOR H. SZABO

Györ – Es war die schlimmste Umweltkatastrophe der modernen ungarischen Geschichte: Als am 4. Oktober 2010 das Speicherbecken der Ungarischen Aluminium-AG (MAL) bei Kolontár in Westungarn barst und sich eine giftige, rote Brühe über Kolontár und zwei weitere Gemeinden ergoss, starben zehn Menschen. 200 weitere Bewohner des Gebiets wurden verletzt, etliche erlitten schwere Verätzungen. Der Rotschlamm zerstörte mehr als 300 Häuser, verseuchte 800 Hektar Ackerland und mehrere Gewässer. 400 Familien verloren ihren Besitz.

Die Benennung der juristisch Verantwortlichen blieb bisher aus. In einem von vielen Ungarn als empörend empfundenen Urteil sprach das Gericht in Veszprém im Jänner des Vorjahres die 15 angeklagten MAL-Direktoren und -Manager frei. Am Montag kippte das Berufungsgericht in Györ die Freisprüche und ordnete ein komplett neues Verfahren an.

Das Urteil vom Vorjahr war offenbar juristisch schwach begründet und Produkt schwerer Verfahrensfehler. Die Begründung der vorsitzenden Richterin Csilla Zólyomi für dessen Annullierung hätte vernichtender nicht ausfallen können. "Das Urteil erster Instanz entzieht sich der Möglichkeit einer Revision, da aus ihm nicht hervorgeht, auf der Grundlage welcher Logik das Gericht zu den Freisprüchen von allen Anklagepunkten gelangt ist", erklärte die Richterin in der mündlichen Verhandlung am Montag.

Angesehene Industrie

Ob erneut ein Gericht in Veszprém die Causa verhandeln wird, ist vorerst unklar. Offenbar war dies das Handicap des gescheiterten erstinstanzlichen Verfahrens. Die Kleinstadt Veszprém ist das urbane Zentrum jener Region, in der die nach dem Unglück von 2010 wiederverstaatlichte MAL ihre Aluminiumschmelze und einen Teil ihrer gefährlichen Speicherbecken für die rote Schlacke betreibt, das Abfallprodukt der Aluminiumerzeugung. Die technischen Experten und die Lehrenden der Techniklehrstühle der örtlichen Universität sind von einer kommunistischen Industriekultur geprägt, in der Planwirtschaftsgiganten wie die MAL unhinterfragbares Ansehen genossen.

So erzählten die Gutachter dem Gericht im Erstverfahren, dass das schadhaft gewordene Speicherbecken bereits zum Zeitpunkt seiner Errichtung eine Fehlplanung darstellte. Aber dafür könnten die Ingenieure der kommunistischen Zeit nichts, denn ihnen waren die Parameter der geologischen Zusammensetzung des Untergrunds, auf dem die Anlage stand, nicht ausreichend bekannt. Alles Schicksal also, heute lebende Menschen oder gar Firmenbosse könne keine Schuld treffen.

Die Katastrophe von Kolontár und die bisherige juristische Aufarbeitung sind für Experten symptomatisch für den schlampigen Umgang mit Verantwortung in der Nachwendezeit. Die Besitzer zum Zeitpunkt des Unglücks waren im Kommunismus mittlere Kader des Unternehmens. Nur dank ihrer politischen Vernetzung mit der von 1994 bis 1998 regierenden postkommunistischen Sozialistischen Partei (MSZP) kamen sie bei der Privatisierung zu Vorzugsbedingungen zum Zug. (Gregor Mayer, 6.2.2017)