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Der Physiknobelpreisträger Otto Stern, eine Zigarre rauchend, in seinem Labor. Der Hang zum unablässigen Qualmen war nicht unwesentlich an einem der wichtigsten physikalischen Durchbrüche seines Lebens beteiligt.

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Wien – Eigentlich war die Sache schon gelaufen. Bei ihrem Treffen in Göttingen Anfang Februar 1922 hatten die beiden deutschen Physiker Otto Stern und Walther Gerlach ihre Mühen des vergangenen Jahres evaluiert und waren zur schweren Entscheidung gekommen, aufzugeben. Die monatelange Arbeit an dem Experiment in Frankfurt hatte kein eindeutiges Ergebnis gebracht, die finanziellen Mittel waren aufgebraucht.

Also nahm man Abschied, doch Gerlachs Rückreise nach Frankfurt verzögerte sich: Durch einen Eisenbahnerstreik fiel seine Zugverbindung aus. Während er festsaß, ging er wieder und wieder alle Details durch und entschied sich, gegen die Abmachung doch noch einmal Änderungen an dem Experiment vorzunehmen und es erneut zu versuchen. Nur wenige Tage darauf schickte er Stern die Erfolgsmeldung in einem knapp gehaltenen Telegramm: "Bohr hat doch recht!"

Zu Sterns großer Überraschung war das von ihm erdachte Experiment in der Nacht auf den 8. Februar 1922 also doch noch gelungen: Ein Strahl von Silberatomen hatte sich im Vakuum unter Einwirkung eines Magnetfeldes in zwei Teilstrahlen aufgespalten. Damit schien der experimentelle Nachweis der von der Atomtheorie vorausgesagten Richtungsquantelung der atomaren magnetischen Momente erbracht.

Unbekannte Größe

Ausgehend vom Modell des Bohr'schen Magnetons, einem Vorläufer des heutigen Atommodells, hatte Stern erkannt, dass die Richtungsquantelung dazu führen sollte, dass sich ein Strahl von Silberatomen unter Einfluss eines magnetischen Feldes in zwei Ablenkwinkel aufspaltet. Im klassischen Modell würde sich der Strahl hingegen kontinuierlich verbreitern, anstatt nur zwei Werte anzunehmen.

Erst Jahre später sollte sich herausstellen, dass Stern und Gerlach den Nachweis für eine völlig andere physikalische Größe erbracht hatten, von deren Existenz weder sie selbst noch die übrige Fachwelt 1922 eine Vorstellung hatte: den Spin. Anschaulich gesprochen handelt es sich dabei um eine quantenmechanische Eigenschaft, die Elektronen und anderen Teilchen quasi einen inneren Drehimpuls verleiht.

Abhängig davon, ob der Spin eines Elektrons positiv oder negativ ist, werden die Teilchen nach oben oder nach unten abgelenkt, wodurch sich im Stern-Gerlach-Experiment die Aufteilung in zwei Teilstrahlen ergibt. So wird das Stern-Gerlach-Experiment in heutigen Physikbüchern als Standardexperiment zum Nachweis des Spins angeführt, obwohl Stern und Gerlach zum Zeitpunkt des Nachweises noch gar nicht ahnten, dass so etwas wie der Spin überhaupt existiert.

Scheck von Henry Goldman

Das ist allerdings nicht der einzige Grund, warum das Stern-Gerlach-Experiment als einer der berühmtesten Zufallstreffer in die Wissenschaftsgeschichte eingehen sollte. Bereits 1921 waren Stern und Gerlach an einem Punkt angekommen, an dem die Weiterführung des Experiments wenig aussichtsreich erschien. Zwar waren die anfänglichen Finanzierungsschwierigkeiten überwunden: Einige Monate lang konnte das Experiment von den Eintrittsgeldern einer Vortragsreihe Albert Einsteins an der Universität Frankfurt am Laufen gehalten werden – die damals populär werdende Relativitätstheorie, vorgetragen von ihrem Vordenker selbst, füllte die Hörsäle und damit auch die Kassen.

Als diese Mittel zur Neige gingen, konnte Henry Goldman zum Sponsoring des Experiments, das von der Fachwelt eher belächelt wurde, bewogen werden. Der Sohn des Gründers der Investmentbank Goldman Sachs lebte in den USA, seine Familie stammte aber aus Frankfurt, was eine nicht unwesentliche Rolle dabei gespielt haben dürfte, dass er bereitwillig einen Scheck über mehrere Hundert Dollar ausstellte. Bei der damaligen Kaufkraft war das Experiment damit ausfinanziert.

Einer der ersten Aufbauten des Versuchs von Stern und Gerlach brachte allerdings ein wenig aussichtsreiches Ergebnis hervor – zunächst jedenfalls. Zwar hatten sie nicht erwartet, dass mit dem versuchsweisen Aufbau bereits die Richtungsquantelung demonstriert werden könnte, Stern und Gerlach rechneten aber mit einem verschmierten Bild der Silberatome am Auffangschirm. Was sie jedoch sahen, war: nichts.

Silber und schlechte Zigarren

Wie die legendäre Geschichte besagt, wurden die Atome erst nach und nach sichtbar, als Stern sich über den Auffangschirm beugte. Viele Jahre später erinnerte sich Stern an die Szene: "Schließlich realisierten wir, was vor sich gegangen war. Ich war damals ein Assistenzprofessor. Mein Gehalt reichte nicht aus, um mir gute Zigarren kaufen zu können, so rauchte ich schlechte Zigarren. Diese enthielten jede Menge Schwefel, und so verwandelte mein Atem das Silber auf der Platte in Silbersulfid, das rabenschwarz und damit gut zu sehen ist. Es war wie die Entwicklung eines fotografischen Films."

Bei einer detailgetreuen Wiederholung des Experiments 2002 zeigte sich, dass es dafür nicht unbedingt billige Zigarren brauchte – jeglicher Zigarrenrauch hätte die Silberatome für das freie Auge sichtbar gemacht. Das Stern-Gerlach-Experiment wird daher auch gerne zur Veranschaulichung eines physikalischen Prinzips zitiert, das in der Quantenphysik ganz allgemein und auch schon auf subatomarer Ebene gilt.

Unzählige Anwendungen

Im Gegensatz zum Wissenschaftsverständnis der klassischen Physik existiert das beobachtete Objekt in der Quantenphysik nicht unabhängig von der Beobachtung. In makroskopischen Maßstäben gesprochen würde das bedeuten – vorausgesetzt, die Quantenphysik gilt auch in diesen Bereichen -, dass wir uns nicht sicher sein können, ob der Mond auch dann da ist, wenn wir gerade nicht hinsehen.

Bodenständiger als diese Überlegungen sind dagegen die technischen Anwendungen, die das Stern-Gerlach-Experiment ermöglichte: darunter der Laser, optische Speichermedien, Atomuhren oder Kernspinresonanz. (David Rennert, Tanja Traxler, 7.2.2022)