Berlin – Bund und Länder in Deutschland beraten am Donnerstag bei einem Spitzentreffen im Berliner Kanzleramt über die Abschiebung abgelehnter Asylwerber. Dabei will Bundeskanzlerin Angela Merkel den Ministerpräsidenten einem Bericht des "Spiegel" zufolge einen 16-Punkte-Plan vorlegen, mit dem die Zahl der Abschiebungen deutlich erhöht werden soll.

Den "Spiegel"-Informationen sieht der Plan ein "gemeinsames Zentrum zur Unterstützung der Rückkehr" vor, das unter Leitung des Bundesinnenministeriums in Berlin eingerichtet werden solle. Von dort aus sollten Sammelabschiebungen koordiniert werden.

In einem zweiten Schritt könnten "Bundesausreisezentren" aufgebaut werden, in denen abgelehnte Asylwerber in den "letzten Tagen oder Wochen" vor ihrer Abschiebung zentral untergebracht werden. Als Reaktion auf den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin solle die Schubhaft für Ausländer erleichtert werden, "von denen eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben" ausgeht.

Pro Asyl: "Entmutigungsstrategie" für Flüchtlinge

Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl kritisiert die Vorhaben. "Ein Bundesausreisezentrum wäre ein erster Schritt in einen Zentralstaat", sagte Geschäftsführer Günter Burkhardt der Nachrichtenagentur AFP. "Das schwächt die föderale Struktur in Deutschland, die aus guten historischen Gründen geschaffen wurde."

Der Plan sieht dem Bericht zufolge weiterhin vor, die Anreize für abgelehnte Asylwerber zu erhöhen, freiwillig in ihre Heimat zurückzukehren. "Die Förderung wird höher ausfallen, je früher sich ein Betroffener zur freiwilligen Rückkehr entscheidet", heißt es dem "Spiegel" zufolge in dem Papier.

Pro-Asyl-Geschäftsführer Burkhardt betrachtet das Vorhaben kritisch, Asylwerber durch finanzielle Anreize zu einer freiwilligen Ausreise zu bewegen. Er sieht darin eine "Entmutigungsstrategie" für Flüchtlinge, ihr Recht auf Asyl wahrzunehmen. Problematisch ist aus seiner Sicht, wenn unsichere Staaten wie Afghanistan, Eritrea oder Syrien Teil des Programms seien.

Asylbehörde verteidigt Abschiebungen nach Afghanistan

Die Präsidentin des deutschen Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Jutta Cordt, hat indes auch umstrittene Abschiebungen nach Afghanistan verteidigt. "Es gibt in Afghanistan Gebiete, die als vergleichsweise sicher gelten", sagte Cordt der "Passauer Neuen Presse" vom Mittwoch. "Es gibt inländische Fluchtalternativen."

Bedenken wegen der Sicherheitslage werde dadurch Rechnung getragen, dass im Rahmen des Asylverfahrens in jedem Einzelfall Schutzansprüche und Abschiebehindernisse geprüft würden. "Im letzten Jahr sind zudem deutlich mehr als 3.000 Menschen freiwillig in das Land zurückgekehrt", sagte die BAMF-Präsidentin.

Zuletzt war in den deutschen Bundesländern der Widerstand gegen die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber nach Afghanistan gewachsen. Berichten zufolge zweifeln neben Schleswig-Holstein und Berlin inzwischen auch Bremen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz an der Sicherheitslage in Afghanistan. Auslöser sind unter anderem Berichte der Vereinten Nationen über eine sich verschlechternde Sicherheitslage in dem Krisenstaat.

Das deutsche Innenministerium hatte nach Abschluss eines Rückführungsabkommens mit Afghanistan im Oktober die Bundesländer aufgefordert, abgelehnte Asylbewerber konsequent abzuschieben. Im Dezember wurde mit Sammelabschiebungen begonnen. Das Vorgehen ist umstritten, weil sich in weiten Teilen Afghanistans Regierungstruppen und radikalislamischen Taliban bekämpfen. Auch die Anschlagsgefahr ist groß.

Die deutsche Regierung sieht dennoch keinen Grund für einen Abschiebestopp. Auch Cordt bekräftigte, die Regierung halte an ihrer Auffassung fest, "dass Rückführungen nach Afghanistan verantwortungsvoll, aber konsequent durchgeführt und fortgesetzt werden müssen".

Deutsche Polizei wies 2016 620 Minderjährige zurück

Die deutsche Polizei hat im vergangenen Jahr 620 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge an den Grenzen zurückgewiesen. Dies geht aus einer Antwort der deutschen Regierung auf eine Anfrage der Grünen hervor, die der Nachrichtenagentur AFP am Mittwoch vorlag. Die Jugendlichen seien zurückgewiesen worden, "weil die Einreisevoraussetzungen nicht vorlagen", so die Regierung.

Im Durchschnitt erhielten im vergangenen Jahr 89 Prozent aller Jugendlichen Asyl, subsidiären Schutz oder Duldung wegen eines Abschiebeverbots. Anträge aus Marokko und dem Libanon blieben erfolglos. Es wurden zudem 162 Minderjährige aus anderen EU-Staaten übernommen, deren Familien oder Verwandte bereits in Deutschland lebten.

Unter den Zurückgewiesenen waren 2016 den Angaben zufolge 275 Afghanen, 58 Syrer sowie 39 Jugendliche aus Eritrea und 36 aus dem Irak. Wenn es Jugendliche aus diesen Ländern nach Deutschland schaffen, liegt ihre Anerkennungsquote demnach zwischen 98,4 Prozent (Syrer) und 71 Prozent (Afghanen). Insgesamt leben in Deutschland aktuell mehr als 45.000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. (APA, AFP, 8.2.2017)