Kiew/Moskau – Maskierte Täter haben am Dienstag das Kiewer "Zentrum für visuelle Kultur" (ZVK) überfallen und dabei eine Ausstellung des ukrainischen Künstlers David Tschitschkan zerstört, in der sich der Künstler kritisch mit Nationalismus und einer "vertanen Chance" des Maidan auseinandersetzt. Das Zentrum war in den vergangenen Jahren wiederholt von Rechtsextremisten kritisiert und attackiert worden.

Ein veröffentlichtes Überwachungsvideo zeigt zwei Frauen sowie zwölf maskierte Männer, die am Dienstag kurz vor 18 Uhr im "Zentrum für visuelle Kultur" im Kiewer Stadtteil Podil auftauchten. Die Eindringlinge griffen einen anwesenden Wachmann tätlich an und begannen sofort mit der Zerstörung von Ausstellungsexponaten. Zwei Minuten später zog der Trupp wieder geschlossen ab. Abgesehen von zerrissenen sowie übersprayten Zeichnungen und Kollagen Tschitschkans hinterließen sie Sprüche wie "Sprachrohr Moskaus", "Diener der Separatisten" oder "Ruhm der Ukraine". Die Polizei sei erst 40 Minuten nach dem Vorfall eingetroffen und weigerte sich zunächst, nach den Tätern zu suchen, sagte ZWK-Direktor Wassyl Tscherepanyn am Mittwoch.

Bereits in den Tagen zuvor hatte es Drohungen von Rechtsextremisten gegen die am 2. Februar eröffnete Schau gegeben. Eine für 4. Februar geplante Führung des Künstlers war deshalb abgesagt worden – Rechtsradikale hatten an jenem Tag vor dem Zentrum jedoch ein Plakat zur Ausstellung zerstört und auch einen Besucher attackiert.

David Tschitschkan, Jahrgang 1986, gilt als bekannter Vertreter der jüngsten Kiewer Künstlergeneration und positioniert sich selbst als Anarchist. Seine nunmehr zerstörte Ausstellung "Vertane Chance" dreht sich um die Frage, was der Maidan von 2013/2014 war, was aus ihm wurde und hätte werden können. Insbesondere zeigte Tschitschkan in Zeichnungen rechtsextreme Nationalisten auf beiden Seiten der ostukrainischen Frontlinie, die jeweils idente Slogans verwenden und sich lediglich durch die verwendete Sprache – Ukrainisch oder Russisch – unterscheiden.

Kritisch setzt sich die Ausstellung, die laut ZWK-Direktor Tscherepanyn einstweilen in der zerstörten Form weiter gezeigt werden soll, aber auch mit einem ideologischen Kernstück der aktuellen Politik der Ukraine auseinander: Die laufende "Dekommunisierung", die staatliche angeordnete Entfernung von Symbolen und Bezeichnungen aus sowjetischer Zeit, sei Resultat des niedrigen Niveaus politischer Kultur in der ukrainischen Gesellschaft, zitiert der Text zur Ausstellung den Künstler.

Rechtsextreme Übergriffe gegen Künstler, Intellektuelle und Institutionen, die sich kritisch mit dem ukrainische Nationalismus und seinen extremen Ausformungen beschäftigen, sind in Kiew kein Novum. In einem besonderen Maß gilt das für das nichtstaatliche Zentrum für visuelle Kultur, das seit Oktober 2014 und der Eröffnung neuer Räumlichkeiten im Stadtteil Podil auch von der österreichischen Erste Stiftung unterstützt wird. Bereits 2012 hatten Rechtsextreme gegen eine Ausstellung des Zentrums zu ukrainischer Körperkunst demonstriert und 2013 eine Schau der Kiewer Fotografin Jewgenija Belorusez über homosexuelle und lesbische Paare zerstört. Im Herbst 2014 war zudem der bekannte linke Intellektuelle und ZWK-Direktor Wassyl Tscherepanyn von Rechtsextremen verprügelt worden.

Den Übergriff vom Dienstag sieht der ZWK- Direktor als Symptom für ein ukrainisches Abgleiten in die Logik von Krieg und Gewalt. "Das ist beste, was der Aggressor (Russland, Anm.) zustande bringen konnte und es zeigt, wie weit wir mittlerweile von der Agenda des Maidan entfernt sind", erklärte Tscherepanyn. (APA, 8.2.2017)