12.000 Jahre alte Bestattung eines älteren Mannes mit Prostatasteinen.

Foto: Centro Studi Sudanesi e Sub-Sahariani. Treviso/Università di Padova

Detail der Prostata-Steine.

Foto: Centro Studi Sudanesi e Sub-Sahariani. Treviso/Università di Padova

Sammlung von historischen Gallensteinen in der Pathologisch-Anatomischen Sammlung im Narrenturm.

Foto: NHM/Pathologisch-Anatomische Sammlung

Verknöcherter Uterus, ausgelöst durch einen gutartigen Uterustumor (Uterus-Leiomyom).

Foto: NHM/Pathologisch-Anatomische Sammlung

Vermutlich Verknöcherung eines gutartigen Schilddrüsentumors (Wien, 15. bis 18. Jahrhundert).

Foto: NHM Wien/W. Reichmann

Verknöcherte Femoralarterie bei einer 35 bis 50 Jahre alten Frau (Amara West, Sudan, 11. Jahrhundert v. Chr).

Foto: Courtesy of the Trustees of the British Museum

Arterienverkalkung, vermutlich aus dem Brustbereich der Aorta, rechts 3-D-Scan des Objekts mit rekonstruierter Arterienwand.

Fotos: Courtesy of the Trustees of the British Museum; ÖAI/M. Binder

Vergangene Woche ging ein Bericht über den Fund von 12.000 Jahre alten Prostatasteinen im Bauchbereich des Skeletts eines älteren Mannes durch die internationalen Forschungsmedien. Obwohl selbst nicht in die Studie involviert, ist dies eine gute Gelegenheit, eine kaum bekannte und beachtete Seite der Archäologie und der Erforschung menschlicher Skelette zu beleuchten.

Dass nach Bestattung und entsprechender Verwesungszeit vom menschlichen Körper das Skelett übrig bleibt, ist hinlänglich bekannt. Dass es aber über unsere (zumeist) 206 Knochen hinaus sehr häufig noch eine Reihe anderer knöcherner und mineralischer Objekte im Körper geben kann, die ebenfalls Jahrtausende überdauern, ist jedoch den wenigsten bewusst. Generell lassen sich zwei Formen unterscheiden: Verknöcherungen und Konkretionen, sogenannte Körpersteine. Die Ursache beider Formen sind zumeist Krankheiten oder Verletzungen.

Körpersteine können beachtliche Größen annehmen

Die eingangs erwähnten Prostatasteine des älteren Mannes, der vor 12.000 Jahren im Sudan lebte, gehören gemeinsam mit den weitaus häufigeren Gallensteinen, Nierensteinen und Blasensteinen zur Gruppe der Körpersteine. Diese können generell in allen flüssigkeitsgefüllten Organen vorkommen und entstehen durch Ausfällung und anschließende Verklumpung der mineralischen Bestandteile, die in den jeweiligen Flüssigkeiten gelöst sind.

Während kleinere Konkretionen oft noch von selbst ausgespült werden können, kommt es ab einer gewissen Größe oft zu einer Verstopfung des Abflusses aus dem Organ oder zu Entzündungen durch die mechanische Beanspruchung, die in weiterer Folge mit starken Schmerzen verbunden sind. In der modernen Medizin werden Körpersteine daher auch relativ rasch behandelt und medikamentös oder mechanisch entfernt. Ohne entsprechende Versorgung – was bis zum 19. Jahrhundert der Fall war – können Körpersteine jedoch teilweise beachtliche Größen annehmen, im Fall von Blasensteinen sogar zehn bis fünfzehn Zentimeter. Die Pathologisch-Anatomische Sammlung im Narrenturm des Naturhistorischen Museums Wien (PASIN) besitzt beispielsweise eine hervorragende Sammlung solcher Steine, die eindrucksvoll demonstrieren, wie dankbar wir für moderne Behandlungsmethoden sein können.

Doch zurück zur Archäologie. Während Körpersteine heute relativ häufig auftreten, sind sie aus der Vergangenheit nur sehr selten bekannt. Funde wie die 12.000 Jahre alten Prostatasteine sind eine sehr seltene Ausnahme. Dies liegt weniger an der Erhaltung, da es sich um rein mineralische Bestandteile handelt, die auch nach jahrtausendelanger Bodenlagerung eigentlich überdauern sollten. Auch viele der Risikofaktoren wie Eiweiß- und fetthaltige Nahrung, Übergewicht oder fortgeschrittenes Alter waren in vielen Perioden der Vergangenheit in ähnlichem Maße präsent wie heute.

Wie Verknöcherungen entstehen – und erkannt werden

Die zweite große Gruppe der pathologischen Objekte sind Verknöcherungen. In der großen Mehrheit der Fälle entstehen diese durch Ablagerung von Knochenmineral in Gewebe, das im Zuge von chronischen Entzündungen abstirbt. Dies ist häufig bei Gelenksabnützungen der Fall, aber auch alle anderen Entzündungsherde, die zu abgestorbenem Gewebe führen, können unbehandelt im Grunde genommen verknöchern. Auch hierzu gibt es im PASIN eindrucksvolle Beispiele. Bei fortgeschrittener Arteriosklerose kann es zur Ausbildung von verkalkten Platten und Verknöcherungen der Gefäßwände kommen. Auch diese Veränderungen können sich bei günstigen Lagerungsbedingungen gemeinsam mit dem Skelett über sehr lange Zeit halten.

Aus meiner eigenen wissenschaftlichen Arbeit kann ich von zwei solchen Fällen berichten. 2007 wurde bei Ausgrabungen der Stadtarchäologie Wien im Friedhof am St. Bartholomäusplatz in Hernals (15. bis 18. Jahrhundert) das Skelett eines 35- bis 50-jährigen Mannes ausgegraben, bei dem sich auch eine vier Zentimeter große eiförmige Verknöcherung fand. Da diese jedoch nicht in ihrer ursprünglichen Lage erkannt wurde, waren ihre Herkunft und Ursache zunächst unbekannt. Energiedispersive Röntgenspektroskopie im Rahmen einer rasterelektronisch-mikroskopischen Untersuchung ergab eine chemische Zusammensetzung, die dem von Knochen entspricht. Basierend auf anschließende Vergleiche mit dokumentierten Exemplaren von pathologischen Verknöcherungen im PASIN kamen wir zu dem Schluss, dass es sich vermutlich um einen gutartigen Schilddrüsentumor handelte.

Keineswegs nur moderne Zivilisationskrankheiten

Ein weiteres Projekt in diesem Bereich sind Untersuchungen an verknöcherten Arterien und arteriellen Ablagerungen, die bei insgesamt sieben etwa 3.300 Jahre alten Skeletten aus den Friedhöfen von Amara West im Sudan gefunden wurden. Während es sich in sechs Fällen um fortgeschrittene Arteriosklerose handelt, könnten die fast vollständig verknöcherten Beinarterien einer Frau, die zwischen 35 und 50 Jahre alt wurde, auf Diabetes hindeuten.

Die Erkenntnis, dass Arteriosklerose, die heute als eine der klassischen modernen Zivilisationskrankheiten gilt, auch in der Vergangenheit relativ häufig war, setzt sich durch eine zunehmende Anzahl von Funden in den vergangenen Jahren immer mehr durch. Maßgeblich waren daran insbesondere Untersuchungen an Mumien aus Ägypten, den USA, Peru und Alaska beteiligt. Diese zeigten, dass mehr als ein Drittel Verkalkungen der Arterien aufwiesen. Neben den sozial höher stehenden ägyptischen Mumien handelte es sich bei den untersuchten Gruppen auch um einfache Ackerbauern und Jäger-Sammler-Gruppen. Dies zeigt, dass nicht unbedingt ungesundes Essen, Rauchen und Bewegungsmangel allein für Gefäßerkrankungen verantwortlich sein können. Aufbauend auf diesen Untersuchungen ist das Forscherteam nun daran bemüht, genetische Untersuchungen durchzuführen, um den Ursachen und genetischen Einflussfaktoren für Arteriosklerose auf die Spur zu kommen.

Die Evolution von Krankheiten

Die Durchsicht früher medizinischer Protokolle, historische medizinische Sammlungen, aber auch die Studien an Mumien legen also nahe, dass viele der Erkrankungen, die zur Ausbildung von Verknöcherungen und Körpersteinen führen, auch in der Vergangenheit durchaus häufig waren und keineswegs nur moderne Zivilisationskrankheiten sind. Trotzdem werden sie in der archäologischen und bioarchäologischen Erforschung von Lebensbedingungen in der Vergangenheit immer noch sehr selten berücksichtigt.

Verbessertes Wissen um die Möglichkeit des Vorhandenseins solcher Objekte und Fortschritte in deren wissenschaftlicher Untersuchung ermöglichen aber nicht nur ein völlig neues Fenster in das Spektrum der Krankheiten in der Vergangenheit. Insbesondere im Bereich der Erforschung der Ursachen von Arteriosklerose, die gemeinsam mit der Gruppe der Gefäßerkrankungen die größte Todesursache in der westlichen Welt ausmacht, wird auch der Forschung an menschlichen Überresten aus der Vergangenheit immer größere Bedeutung zugemessen.

Die Kenntnis um die Evolution vieler Krankheiten sowie deren genetischen und externen Risikofaktoren sind unumgänglich für das Verständnis einer Krankheit und deren Ursachen. In weitere Folge könnte es gerade dieses Verständnis sein, das letztlich auch zur Entwicklung neuer Präventions- und Therapieansätze beitragen könnte. (Michaela Binder, 9.2.2017)