Die EU-Befürworter wollten bis zuletzt nicht aufgeben und kämpften im Parlament mit allen politischen Mitteln gegen den Brexit.

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Zum Abschluss der dreitägigen Brexit-Debatte hat das Unterhaus am Mittwoch vor allem über den zukünftigen Status der Bürger anderer EU-Staaten auf der Insel diskutiert. Einflussreiche Mitglieder der Konservativen drängten Premierministerin Theresa May erneut dazu, ohne Abstimmung mit Brüssel den rund drei Millionen Betroffenen das Bleiberecht zu garantieren. Bei der Abstimmung am späten Abend wollten mehrere Tories einem entsprechenden Änderungsantrag der Opposition zustimmen. Schließlich stimmten die Abgeordneten mit 332 zu 290 Stimmen gegen dieses Vorhaben. Anschließend gab es eine große Mehrheit für den Brexit: 494 Parlamentarier für die Auslösung des Artikel 50, der den Abschied aus der EU einleiten würde. 122 stimmten dagegen.

May hat in den vergangenen Monaten mehrfach versichert, sie wolle die Rechte von EU-Bürgern in Großbritannien garantieren. Gleichzeitig müssten aber die rund eine Million Briten, die in den anderen 27 Mitgliedsländern leben, Gewissheit über ihre Zukunft bekommen. Regierungsinsidern zufolge scheiterte ein solcher Deal kurz vor Weihnachten nicht zuletzt am Einspruch aus Berlin. Sobald sie im März das Austrittsgesuch nach Artikel 50 des Lissabon-Vertrages hinterlegt habe, wolle sie das Problem aus dem Weg schaffen, so May.

Jenseits der Auseinandersetzung über Detailfragen ging es für die konservative Regierung darum, ihr aus zwei Sätzen bestehendes Gesetz unversehrt durchs Unterhaus zu bekommen. Denn das nichtgewählte Oberhaus lässt britischer Tradition gemäß wichtige Regierungsvorlagen reibungslos passieren, wenn sie von den Volksvertretern unverändert akzeptiert worden sind. Die Beratungen in der zweiten Parlamentskammer sollen bis Anfang März abgeschlossen sein.

Emotionen kochen hoch

Die Abstimmungen der vergangenen Tage haben auf beiden Seiten noch einmal ähnlich große Emotionen aufwallen lassen wie im Referendumskampf von 2016. Schwerkranke Abgeordnete wie der Tory Nick Boles und Labour-Mann Ronnie Campbell unterbrachen ihre Krebsbehandlungen, um an der Debatte teilzunehmen. Die Rhetorik mancher männlicher Abgeordneter veranlasste Ex-Ministerin Anna Soubry zu der ätzenden Bemerkung, die Kollegen sollten "aufhören, mit der Größe ihres Geschlechtsteils zu prahlen" ("stop willy-waving"). EU-feindliche Fraktionskollegen, sagte die Tory-Abgeordnete Claire Perry, würden sich benehmen wie "Jihadisten, für die kein Brexit hart genug ist".

Soubry und Perry gehörten am Dienstag zu sieben Rebellen gegen die eigene Regierung, die sich einem Änderungsantrag der Labour-Opposition anschlossen. Damit sollte ein Veto des Parlaments gegen den bis 2019 auszuhandelnden Brexit-Deal sichergestellt werden. Andere prominente Tories wie die frühere Erziehungsministerin Nicky Morgan enthielten sich der Stimme, Ex-Finanzminister George Osborne war gar nicht erst zur Abstimmung erschienen. Die Regierung setzte sich dennoch mit 326:293 Stimmen durch, wozu nordirische Unionisten sowie ein halbes Dutzend Labour-Rebellen beitrugen.

Ganz egal, wie inhaltlich berechtigt: Sämtliche Änderungsanträge hätten lediglich den Zweck, den EU-Austritt zu verzögern oder ganz zu vermeiden, sagte die deutschstämmige Abweichlerin Gisela Stuart zum STANDARD. "Es ging darum, dieses Gesetz jetzt unverändert ins Oberhaus zu bringen." Die 61-Jährige gehörte im Referendumskampf zu den Sprechern der Austrittskampagne und präsidiert jetzt dem Thinktank Change Britain, der für die Aussöhnung der beiden Lager eintritt. Was die EU-Mitbürger angeht, hält Stuart die Premierministerin für glaubwürdig: "May will den Deal frühzeitig abschließen."

Das Weißbuch der Regierung sieht gleichzeitig mit den Austrittsverhandlungen bereits Gespräche mit den 27 Partnern über das zukünftige Verhältnis vor. Sollte innerhalb der im Lissabon-Vertrag vorgesehenen Frist von 24 Monaten keine Einigung möglich sein, will May ohne Handels- und Kooperationsvertrag aus dem Brüsseler Club austreten und sich auf die Regeln der Welthandelsorganisation WTO beschränken. (Sebastian Borger aus London, 9.2.2017)