Fluoreszierende Salmonellen unter Schwarzlicht.

Foto: APA/dpa/Peter Steffen

Es klingt, als wäre ein moderner Dr. Frankenstein am Werke: Lebewesen werden im Labor umgebaut, ihrer ursprünglichen Eigenschaften beraubt und anschließend neu ausgestattet. Die so entstandenen Kreaturen entlässt man dann in die Freiheit. Doch sie haben eine Mission. Ihr Ziel ist es, Menschen zu helfen oder gar zu retten. Und dazu müssen sie in deren Körper eingreifen.

Science-Fiction-Autoren mögen von winzigen Robotern träumen, welche über die Blutbahn zum medizinischen Einsatz eilen. Die real existierende Forschung dagegen arbeitet längst an einer faszinierenden Alternative: Sie manipuliert Bakterien und macht sie so zu Kämpfern im Dienste der Ärzte. Dahinter stecken ein paar äußerst kluge Überlegungen. Wenn zum Beispiel bestimmte Keime in der Lage sind, problemlos im Mund oder im Darm zu siedeln, warum sollte man sie dort nicht mit nützlichen Aufgaben betrauen? Die Molekulargenetik macht’s möglich.

Seit einigen Jahren werden auf diesem Gebiet mehrere Ansätze erprobt. Forscher arbeiten unter anderem mit Lactococcus lactis, einem in der Käseherstellung häufig eingesetzten Mikroorganismus. Dem Winzling pflanzen sie künstliche Gene mit dem Code für ein menschliches Protein ein. Letzteres trägt den sperrigen Namen Trefoil-Faktor und dient als Botenstoff im Prozess der Schleimhautregeneration. Chemotherapeutisch behandelte Krebspatienten leiden oft unter Mundgeschwüren – eine Nebenwirkung der giftigen Medikamente. Die gentechnisch veränderten Bakterien können diese Symptome lindern. Sie lassen sich im Mund nieder und produzieren dort fleißig Trefoil-Faktor, was den Heilungsprozess stimuliert. Erste klinische Tests sind vielversprechend verlaufen.

Mutanten machen

Eine noch spannendere Idee verfolgen David Bermudes und seine Kollegen an der California State University in Northridge. Die Wissenschafter wollen Tumoren mithilfe von Salmonellen bekämpfen. Zu diesem Zwecke wurde ein spezieller Stamm von Salmonella enterica serotyp Typhimurium gezüchtet. Normalerweise sind solche Keime Krankheitserreger, wie Bermudes betont. Die Laborvariante VNP20009 sei jedoch gezähmt. Einerseits können die Mikroben kein lebenswichtiges Purin mehr herstellen und sind somit auf Zufuhr von außen angewiesen. Gleichzeitig wurde die Struktur von Lipidmolekülen in der Zellmembran geändert. Das verhindert eine Überreaktion des Immunsystems, sprich einen septischen Schock. "So haben wir diese Bakterien von tödlich zu tolerierbar umgewandelt."

Wird VNP20009 in die Blutbahn eines Krebskranken injiziert, verteilt es sich zunächst im ganzen Körper. Ohne Purin, einen wichtigen Rohstoff für die DNA-Synthese, können sich die manipulierten Salmonellen allerdings nicht vermehren. Abgesehen davon sind sie auch der Verfolgung durch weiße Blutkörperchen ausgesetzt. Ihnen bleibt nur ein sicherer Zufluchtsort: der Tumor.

Wuchernde Krebszellen produzieren reichlich Purin, erklärt David Bermudes. Die Bakterien finden also ein wahres Schlaraffenland vor. Im Inneren einer Krebsgeschwulst ist zudem die Immunabwehr außer Kraft. Besser kann es den Keimen kaum gehen. Dem Tumorgewebe fügen die mikroskopischen Siedler nur geringfügige Schäden zu. Für eine Bekämpfung reicht das nicht. Die Forscher haben ihre Trojanischen Pferde deshalb biochemisch bewaffnet. Sie nahmen genetisches Material eines weiteren Krankheitserregers, Pseudomonas aeruginosa. Dessen Giftstoff ToxA dient zur gezielten Tötung von Zellen. Bermudes’ Team hat den Code für die Herstellung von ToxA umgebaut und ihn ins Erbgut von VNP20009 eingeschleust.

Molekül mit Munition

Die Giftmoleküle sind jetzt mit einem künstlichen Antikörperfragment ausgestattet. Seine Struktur ist so gestaltet, dass es passgenau an einen speziellen Rezeptor, EGFR genannt, auf der Oberfläche von Krebszellen andocken kann. In gesundem Gewebe kommt EGFR nur wenig vor. Dort vermag das modifizierte ToxA kein Unheil anzurichten.

Ganz anders ist jedoch die Lage in den Tumoren. Sobald sie sich eingenistet haben, können die genmanipulierten Mikroben mit der Produktion des Präzisionsgifts beginnen. Die Tumorzellen werden getötet, der Krebsherd von innen heraus zerstört. In Laborversuchen funktioniert das bereits. Schon bald soll die Methode an Tieren erprobt werden.

Die Verwendung von Bakterien als lebendige Medikamentenfabriken, die ihre Wirkstoffe direkt am Einsatzort freisetzen, birgt ein enormes Zukunftspotenzial. "Sie können so viele verschiedene Typen von Biomolekülen herstellen", schwärmt David Bermudes. Den winzigen Helferlein ist gewiss noch einiges zuzutrauen. (Kurt de Swaaf, 11.2.2017)