Sajjad Husaini (links) und Alishah Farhang wollen als erste Afghanen bei Olympischen Winterspielen antreten. Andreas Hänni trainiert die beiden.

Foto: Riezinger

Eigentlich ist Alishah Farhang Fan von Alexis Pinturault. Aber Marcel Hirscher ist auch nicht übel. Bei der Eröffnungsfeier standen er und sein Landsmann Sajjad Husaini direkt neben dem österreichischen Skistar. Hirscher ist schon Rennen gefahren, da wussten Alishah (26) und Sajjad (25) noch nicht, was Skifahren ist.

"Als ich 2012 zurück nach Afghanistan gekommen bin, habe ich jemanden Ski fahren gesehen. Es sah lustig aus, dann habe ich auch angefangen", erzählt Sajjad. Damals war er gerade aus dem Iran in seine Heimat zurückgekehrt. Alishah begann ein Jahr früher mit dem Skifahren. Jetzt sind beide bei der WM. Sie treten am Donnerstag in Zuoz im Qualifikationsrennen für den Riesentorlauf an. Nächstes Jahr wollen sie bei Olympia in Pyeongchang starten.

Die Geschichte von Sajjad und Alishah aus der Provinz Bamyan in Afghanistan ist mehr als eine von Exoten bei einer Ski-WM. Sie beginnt 2010. Der Schweizer Journalist Christoph Zürcher ist als Reporter für die Neue Zürcher Zeitung in Afghanistan unterwegs. Aufgrund von Kampfhandlungen sitzt er ein paar Tage in Bamyan, einer Provinz im Zentrum des Landes, fest. Zürcher sieht die schneebedeckten Berge um sich. "Sieht ein Schweizer Schnee und Berge, dauert es nicht allzu lange, bis er an Skifahren denkt."

Auf einem Esel wird das Podest für die Afghan Ski Challenge in der Provinz Bamyan geliefert.
Foto: Bamyan Ski Club

Aber in Bamyan fuhr bis dahin noch niemand Ski. "Schade, dachte ich und beschloss Skiausrüstung von der Schweiz nach Bamyan zu bringen." Ein paar Monate später kehrt er mit Kollegen zurück, gründet eine Skischule und veranstaltet 2011 die Afghan Ski Challenge. Ein Tourenskirennen, bergauf, bergab, zwischen zwei und vier Kilometer lang. Die wichtigste Regel des Rennens: "keine Waffen erlaubt".

In der Schweiz hat Zürcher, der aus Zürich stammt, derweil den Bamyan Ski Club mit Sitz in St. Moritz gegründet. Der Verein, der sich hauptsächlich durch die Unterstützung der Skifirma Völkl, der Gemeinde St. Moritz und den Einnahmen der Bar des Bamyan Ski Clubs finanziert, veranstaltet ab da jährlich die Afghan Ski Challenge. Sajjad Husaini und Alishah Farhang nehmen mehrfach an dem internationalen Rennen teil, sie machen sich gut. Alishah gewinnt das Rennen mehrmals. Es entsteht die Idee, die beiden gezielt zu trainieren. Das Ziel: Olympia 2018.

Schweizer Trainer

Und da kommt Andreas Hänni ins Spiel. 2014 werden Sajjad und Alishah erstmals nach St. Moritz eingeladen, um mit dem Skilehrer Hänni zu trainieren. Seither kommen sie jeden Winter – sie bleiben für zweieinhalb Monate, wohnen in der örtlichen Jugendherberge. Am Anfang haben die beiden Schwierigkeiten, sich in der Schweiz zurechtzufinden. Mittlerweile haben sie Freunde gefunden. Und auf der Piste machen sie Fortschritte. "Sie sind sehr talentiert", sagt Hänni. "Aber sie haben noch Luft nach oben. Ihnen fehlen 15 Jahre Erfahrung." Das ließe sich nicht so einfach aufholen.

Rückblick: Die Afghan Ski Challenge 2013.
Adam Valen Levinson

Anfangs lässt Hänni Sajjad und Alishah gemeinsam mit sieben- bis 13-jährigen Kindern trainieren. "Sie hatten das gleiche Niveau", sagt Hänni. Das ist Vergangenheit. Genau wie die Zeit der Angst und der Flucht.

Sajjad ist sechs Jahre alt, als er mit seiner Familie aus seinem Dorf vor den Taliban in die Berge flieht. Als die Familie zurückkehrt, ist das Dorf zerstört. Sie flieht erneut – diesmal in den Iran. Erst 13 Jahre später kehrt Sajjad zurück in seine Heimat. Heute lebt er in der Stadt Bamyan. "Es ist jetzt einigermaßen sicher hier." Alishah hatte Glück, sein Dorf blieb von den Kriegswirren weitgehend verschont.

Im Sommer leben beide in Afghanistan, Sajjad studiert Jus und Politik, gelegentlich führt er Touristen durch die Gegend. Alishah studiert nur Jus. "In Bamyan wird Skifahren immer beliebter", sagt Sajjad. "Wenn du fit genug bist, um die Berge hochzugehen, dann ist es nett, runterzufahren." Präparierte Pisten und Skilifte gibt es in Afghanistan nicht. Weil die beiden auf 2500 Metern Höhe wohnen, bringen sie gute Ausdauer mit. Aber beim Skifahren geht es nicht nur um Ausdauer.

Start zur sechsten Afghan Ski Challenge.
Afghan Ski Club

"Manchmal fallen sie zurück in ihre alten Gewohnheiten", sagt Hänni. In Summe sind die beiden erst 220 Tage Ski gefahren. In diesem Winter sind sie viermal bei Fis-Rennen angetreten. Sie landeten jeweils am Ende des Feldes. Mit ihren Vorstellungen sind beide nicht zufrieden. In seinem besten Rennen verlor Alishah rund 30 Sekunden auf den Sieger. "Das ist auch das Ziel für das Quali-Rennen", sagt Hänni.

Alishah liebt es, Rennen zu fahren. "Wenn ich am Start bin, und das ,Beeep, Beeep, Beeep‘ höre – das ist das Aufregendste für mich." Sein Vorbild Alexis Pinturault ist neben Marcel Hirscher der Top-Favorit im Riesentorlauf am kommenden Freitag. "Er ist so motiviert, er ist immer bereit, er kämpft, er fährt explosiv. Ich mag seine Einstellung zum Rennen."

Für Sajjad und Alishah wird es schwierig, sich für das Rennen zu qualifizieren. Aber die Aussicht, dort Pinturault über den Weg zu laufen, ist eine Zusatzmotivation. Hirscher kennen die beiden ja schon. (Birgit Riezinger, 13.2.2017)