Rainer Prokop und Rosa Reitsamer haben zwei Generationen von österreichischen Rappern untersucht und miteinander verglichen. Bei aktuellen Hip-Hoppern spielen geografische Bezüge eine große Rolle.

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STANDARD: Wie zeigen sich männliche Rollenbilder im Hip-Hop?

Prokop: Die wahrscheinlich bekannteste Praxis von Rappern zur Konstitution ihrer Männlichkeit ist das Schreiben und Performen von gewaltverherrlichenden, sexistischen und homophoben Texten. Diese Praxis spielt vor allem im Gangster-Rap eine wichtige Rolle.

Reitsamer: Männlichkeiten werden im Hip-Hop ebenso wie im Alltag über zwei Distinktionspraktiken hergestellt, die sich mit dem soziologischen Konzept der "hegemonialen Männlichkeit" von Raewyn Connell fassen lassen: einerseits über die Abwertung von Weiblichkeit, andererseits über die Abwertung von nichthegemonialen Männlichkeiten. Zu Letzteren gehören neben homosexuellen Männlichkeiten auch jene untergeordneter sozialer Milieus, Klassen und ethnischer Gruppen. Das ist ein grundlegendes Prinzip, dem mehr oder weniger alle Männlichkeitskonstruktionen in je spezifischer Ausprägung folgen. Das heißt allerdings nicht, dass das Männlichkeitsbild des Gangster-Rappers das einzige ist, über das im Hip-Hop Authentizität hergestellt wird.

STANDARD: Gibt es nur das eine Männlichkeitskonzept?

Reitsamer: Es gibt unterschiedliche, global zirkulierende Männlichkeitskonstruktionen im Hip-Hop, etwa die des Conscious-Rappers, der sich sozialkritisch äußert, des Party-Rappers, des Battle-Rappers oder des Gangster-Rappers. Das sind unterschiedliche Konstruktionen, aber egal, um welche Männlichkeitskonstruktion es sich gerade handelt, sie muss authentisch sein und das Publikum überzeugen. Es muss eine Konstruktion sein, die für das Publikum glaubhaft ist. Aber viele dieser Konstruktionen verweisen auf eine Retraditionalisierung von Geschlechterverhältnissen.

STANDARD: Wie kommt es zu dieser Besinnung auf traditionelle Rollen?

Reitsamer: Die Retraditionalisierung hat unter anderem mit gesellschaftlichen Umstrukturierungsprozessen zu tun. Hierzu zählen etwa die Entstandardisierung von Lebensläufen und die Individualisierung. Damit verbunden ist das Erodieren von etablierten Sicherheitsnetzwerken und Karrieremodellen. Wir haben heute üblicherweise keine Karrieren mehr, wie sie unsere Elterngeneration noch hatte, also dass man beispielsweise in einer Firma zu arbeiten beginnt und dort auch in Pension geht. In Bezug auf Familien steigen die Scheidungsraten, und die Patchworkfamilien nehmen zu. Wir befinden uns in spätmodernen gesellschaftlichen Verhältnissen, und diese Umstrukturierungen sind charakteristisch dafür. Ergänzt oder sogar ausgelöst werden diese Entwicklungen durch neoliberale Umstrukturierungsprozesse. All diese Veränderungen bewirken Unsicherheiten, vor allem für jüngere Generationen. Eine Form, diese Unsicherheit zu überwinden, ist, sich auf Etabliertes und Altbekanntes zu besinnen. Hierzu zählen auch tradierte Geschlechterstereotype, die im Hip-Hop möglichst authentisch inszeniert werden sollten.

STANDARD: Wie stellt man diese Authentizität her?

Reitsamer: Gangster-Rap hat nicht zuletzt seine Popularität mit der blutigen Fehde zwischen East-Coast- und West-Coast-Rappern erlangt. Daraus ist ein Karrieremodell entstanden, das implizit den American Dream reproduziert. Rapper haben verstärkt ihre Karrieren und Stile eng an Stadtteile und Städte gebunden – New York, Philadelphia, Detroit, Compton, Seattle etwa – und ihre Posse, ihre Crew über lokale, subkulturelle Unternehmen gepusht. Vor allem Gangster-Rap hat dieses Modell popularisiert. Jugendliche in diversen urbanen Teilen der Welt haben sich diese Repräsentation des "authentischen" Straßenlebens in den "Ghettos" angeeignet und mit Sprachen, Dialekten und Kulturen vermischt, um ihr lokales Publikum zu adressieren.

STANDARD: Wie funktioniert diese Übersetzung in Österreich?

Prokop: Wir haben zwei Generationen untersucht: einerseits Acts wie Schönheitsfehler, Texta, Total Chaos, Aphrodelics oder Fünfhaus Posse, also die sogenannte erste Generation in Österreich, die Hip-Hop in den 1990er-Jahren in den lokalen Raum übersetzt hat. Andererseits haben wir eine Szene erforscht, die sich seit Mitte der 2000er-Jahre unter maßgeblichem Einfluss von amerikanischem und deutschem Gangster-Rap in Wien formiert hat und in der viele junge Männer mit diversen ethnischen Hintergründen und Zugehörigkeiten aktiv sind. Während bei der ersten Generation räumliche oder geografische Bezüge eine eher untergeordnete Rolle spielen, inszenieren zahlreiche Rapper der jüngeren Generation Wien und spezifische Wiener Gemeindebezirke als Heimat und homosoziale Männerwelt. Der Bezug zum Bezirk zeigt sich beispielsweise an Songtiteln und Namen von Rapcrews, die auf Bezirke verweisen. In ihren Musikvideos spiegelt sich der Bezug zum Bezirk wider, wenn sich die Rapper mit ihren ausschließlich männlichen Crew-Mitgliedern vor Gemeindebauten oder in den Straßen, Parks und U-Bahn-Stationen ihrer Heimatbezirke zeigen.

STANDARD: Wieso ist der Bezirk in Österreich so wichtig?

Prokop: Der Bezug zum Bezirk ist unter anderem so wichtig, weil für diese Rapper aufgrund von Rassismus, Diskriminierung und individueller und struktureller Benachteiligung eine Identifikation mit Österreich als Nation oder Heimatland nicht funktioniert. Sie konstruieren alternative Zugehörigkeiten zu ihren Bezirken.

Reitsamer: Diese männlichen Identitäten lassen sich nicht einfach in rassifizierten Begriffen fassen. Sie entziehen sich der Vorstellung, sich nur einem Land zugehörig zu fühlen und nur eine Sprache als Muttersprache zu sprechen. Bei Kid Pex etwa ist der Bezug zur Stadt Wien und zu Kroatien wichtig. Diese Identitätskonstruktionen stellen mehrheitlich darauf ab, eine Unterschichtenmännlichkeit zu repräsentieren, die für härteren Rap und Gangster-Rap typisch ist. Diese Männlichkeiten der Rapper und die Geschichten, die sie erzählen, sind real, aber auch fiktional.

Prokop: Das zeigt sich unter anderem daran, wie in den Musikvideos das Leben im Gemeindebezirk dargestellt wird. In Bezug auf Drogen, Gewalt und Glücksspiel wird häufig Übertreibung als Stilmittel eingesetzt.

STANDARD: Wie wichtig sind diese männlichen Netzwerke?

Prokop: Das ist kein Hip-Hop-spezifisches Phänomen, aber Crews und Posses fungieren als Unterstützungsnetzwerk beispielsweise für die Musikproduktion, die Veranstaltung von Events, aber auch im Alltag. Wie uns die jüngere Generation von Rappern erzählt hat, haben Loyalität, Respekt und Unterstützung innerhalb der eigenen Crew eine große Bedeutung.

STANDARD: Wie stellen weibliche Hip-Hopperinnen Authentizität dar?

Reitsamer: Mieze Medusa, Yasmo oder EsRaP – Letztere tritt gemeinsam mit ihrem Bruder auf – verkörpern Weiblichkeitsbilder, die präsent sind – Frauen, die sich auf der Bühne durchsetzen und die die dementsprechenden Skills besitzen. Aber die Last der Repräsentation liegt auf weiblichen Körpern schwerer als auf männlichen, weil weibliche Körper in unserer Gesellschaft oft auf den Objektstatus reduziert werden.

STANDARD: Das machen die von Ihnen Angesprochenen aber nicht.

Reitsamer: Das wäre, denke ich, schlecht für ihre Credibility. Diese Rapperinnen haben einen langen Atem, und sie haben sich in einer äußerst männerdominierten Musikszene einen Namen gemacht. Respect.
(Oona Kroisleitner, 17.2.2017)