Bislang werden für Skirennläuferanzüge Stoffe mit einer ähnlichen Oberflächenstruktur wie bei Golfbällen genutzt. Das könnte sich ändern.

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Tsukuba/Wien – Es sind oft nur wenige Hundertstelsekunden, die in einem Skirennen über Sieg und Niederlage entscheiden. Daher wird neben der Leistung der Athleten und der Wahl des richtigen Skis auch der Bekleidung große Bedeutung beigemessen. Sie soll den Luftwiderstand verringern und so den entscheidenden Unterschied machen.

Wissenschafter der Universität von Tsukuba in Japan haben dazu in einer Studie, die kürzlich im European Journal of Physics erschienen ist, die Ergebnisse umfangreicher Computersimulationen vorgestellt. Im Mittelpunkt steht dabei ein digitales, dreidimensionales Modell eines Skirennläufers in der Abfahrtshocke, das mittels Laserscanner nach der Vorlage eines echten Rennläufers erstellt wurde.

Strömungsmechanik

Um die komplexen Luftströmungen zu berechnen, nutzten die Forscher die Prinzipien der numerischen Strömungsmechanik. Diese Methode beruht darauf, ein komplexes Strömungsproblem zu vereinfachen, indem man zunächst den Raum um das Objekt in winzige Teilbereiche zerstückelt. Anschließend werden in einem schrittweisen Näherungsverfahren die Luftströmungen ermittelt – meist unter enormem Rechenaufwand.

"Eine der größten Herausforderungen war es, die Luftverwirbelungen hinter dem Rennläufer richtig wiederzugeben", sagt Takeshi Asai, der Erstautor der Studie. Diese Turbulenzen stellen Bereiche mit niedrigem Druck dar, die den Fahrer praktisch zurücksaugen. Sie tragen entscheidend zum gesamten Luftwiderstand bei, sind aber schwer zu erfassen, da sie instabil sind und stark fluktuieren. Somit reichte zur Simulation keine Momentaufnahme, sondern die Wirbel mussten in ihrer zeitlichen Entwicklung berechnet und anschließend gemittelt werden.

Ermittlung von Problemzonen

Um ihre Simulationsergebnisse zu testen, haben die Forscher einen ihrem Modell entsprechenden Dummy angefertigt und im Windkanal bei unterschiedlichen Windgeschwindigkeiten beobachtet. Der dabei ermittelte Luftwiderstand zeigte eine gute Übereinstimmung mit den errechneten Werten.

Laut Asai liegt der Vorteil der Simulationsmethode vor allem darin, dass im Gegensatz zu Windkanalexperimenten nicht nur der Gesamtluftwiderstand ermittelt werden kann. Die errechneten Strömungsprofile lassen sich im Detail auswerten und zeigen, wo genau die Strömungen vom Körper abreißen und Verwirbelungen bilden. So konnten an Kopf, Oberarmen, Beinen und Gesäß Problemzonen ermittelt werden, die besonders stark zum Luftwiderstand beitragen.

"Wir glauben, dass diese Informationen für die Entwicklung neuer Rennanzüge sehr nützlich sind", sagt Asai. Üblicherweise werden dafür Stoffe eingesetzt, die eine ähnliche Oberflächenstruktur aufweisen wie Golfbälle. In den winzigen Dellen bilden sich Mikroverwirbelungen, die die Luftströmung länger an die Oberfläche binden. Das verkleinert die bremsenden, turbulenten Bereiche hinter dem Fahrer.

Bekannte Problemzonen

Anton Giger, dem Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung des Österreichischen Skiverbands (ÖSV), sind die von den japanischen Forschern ermittelten Problemzonen grundsätzlich bekannt. "Wir setzten allerdings mehr auf Experimente. Simulationen haben sich bisher als eher unzuverlässig erwiesen." So wird etwa ein neuer Stoff für einen Rennanzug zunächst im Windkanal getestet – gewickelt um einen genormten Metallzylinder.

Auf Basis solcher vorläufigen Ergebnisse werden Dummys, die allesamt österreichischen Skiassen nachempfunden sind, eingekleidet und wiederum im Windkanal getestet. Darüber hinaus gibt es Experimente mit bewegten Modellen in stehender Luft bis hin zur normierten, aber realen Testfahrt auf Schnee. Laut Giger kann die richtige Wahl des Stoffes bei einer zweiminütigen, geradlinigen Abfahrt bis zu 15 Hundertstelsekunden ausmachen.

Ob sich die Methode aus Japan im realen Rennbetrieb durchsetzen wird, bleibt also offen. Auf die Frage nach einer etwaigen Zusammenarbeit mit Rennteams halten sich die Forscher jedenfalls sehr bedeckt und sprechen von "höchster Geheimhaltung". (Thomas Brandstetter, 19.2.2017)