Ein Breitmaulnashorn mit seinem Kalb in Südafrika – der weltweite Gesamtbestand wird heute nur noch auf 20.000 Individuen geschätzt, einst waren es hunderttausende.

Foto: imago/Anka Agency International

Wien – Der Mist der Nashörner gibt die entscheidenden Hinweise. Ihn zu finden erfordert allerdings Fachwissen. Die Kolosse entleeren sich nicht einfach so in der Landschaft, wie Annemieke van der Goot erklärt. Stattdessen suchen sie spezielle Plätze auf, quasi Latrinen. "Diesbezüglich sind es echte Gewohnheitstiere." Eingerichtet werden die Deponien vom dominanten Männchen in einem Gebiet. Seine Haufen dienen den Artgenossen offenbar als Leitmarkierung. "Das ist auch eine Form von Gruppenverhalten", sagt van der Goot. Abgesehen davon seien noch weitere Faktoren wie Temperatur und Feuchtigkeit im Spiel. "Wenn ich morgens auf das Wetter schaue, weiß ich schon ungefähr, wann sie aufs Klo müssen." So lässt sich der Kot besser bergen.

Annemieke van der Goot ist Veterinärmedizinerin in einem privaten, rund 45.000 Hektar großen Naturschutzgebiet im Norden Südafrikas und kümmert sich um das Wohl der dortigen Fauna. Ihr besonderes Augenmerk gilt dabei den Breitmaulnashörnern der Art Ceratotherium simum. Diese vermehren sich bestens in dem Reservat. Leider ist das nicht überall der Fall. Einst streiften hunderttausende Rhinozerosse durch die afrikanischen Savannen. Heute kann man nur von Restpopulationen sprechen. Vom Spitzmaulnashorn (Diceros bicornis), der vormals häufigsten Spezies, gibt es noch an die 5000 Exemplare, für das Breitmaulnashorn wird der Gesamtbestand auf 20.000 Individuen geschätzt. "Es ist sehr schwierig, genauere Angaben zu bekommen", sagt van der Goot. Man könne den Zahlen nicht vertrauen. Der Hintergrund: Präzise Informationen über Nashornvorkommen werden häufig wie ein Staatsgeheimnis gehütet – bloß keine Kriminellen anlocken.

Besonders begehrte Beute

Unter Wilderern gelten Rhinos als besonders begehrte Beute. Die Hörner werden für enorme Summen auf dem Schwarzmarkt gehandelt, vor allem in Ostasien. Laut UN-Angaben beträgt der Kilopreis mehr als 100.000 US-Dollar. Die Nachfrage ist in den vergangenen zehn Jahren stark gestiegen, und damit auch der Druck auf die Nashornpopulationen. Allein in Südafrika wurden 2014 und 2015 jeweils mehr als 1100 dieser Dickhäuter illegal getötet. 2007 zählte man lediglich 13 Opfer.

Die dramatische Entwicklung scheint mehrere Ursachen zu haben. Nashorn wird in der Traditionellen Chinesischen Medizin von jeher als Heilmittel gesehen. Es gilt nicht nur als Potenzmittel, auch grassiert das Gerücht, wonach Nashornpulver einem Krebspatienten das Leben gerettet haben soll. Das ist natürlich Unsinn, denn die Hörner bestehen aus Horn, sprich Keratin. Man könnte genauso gut Nägel kauen. Ein Tumor würde auch dadurch nicht verschwinden. Der neueste Trend ist zudem die Verwendung der Hörner als Statussymbol zum Vorzeigen, berichtet van der Goot.

Um die Zukunft der Rhinos langfristig zu sichern, braucht es nicht nur aktiven, schwer bewaffneten Schutz gegen Wilderei, sondern auch Nachwuchs. Die Vermehrung kann allerdings eine knifflige Angelegenheit sein. Erstens ist die Reproduktionsrate gering. Für Breitmaulnashörner beträgt die Tragzeit rund 500 Tage, und die Weibchen bringen nur ein Kalb zur Welt. Das Junge braucht mindestens zwei Jahre intensive Betreuung, sagt van der Goot. "Die mütterliche Fürsorge ist enorm." Dementsprechend können die Nashorndamen nur einmal alle zweieinhalb bis dreieinhalb Jahre gebären – jedenfalls in freier Wildbahn. In Gefangenschaft vermehren sich die Schwergewichte noch langsamer. Bei Zootieren reicht die Anzahl der Geburten nicht, um die Sterberate auszugleichen.

Das Problem dürfte haltungsbedingt sein, meint van der Goot. Der Zyklus von in Tiergärten lebenden Nashornweibchen ist notorisch unregelmäßig, und sie leiden häufig unter fruchtbarkeitsschädigenden Pathologien. Auf den Eierstöcken bilden sich Zysten, in der Gebärmutter manchmal Geschwülste. Die Veterinärin vermutet, dass dies mit Störungen im Hormonhaushalt zusammenhängt. Ob die Schwankungen in der Zyklusdauer auch in der Natur auftreten, blieb lange unklar. Van der Goot und ihre Kollegen führten deshalb eine neuartige Studie durch. Sie untersuchten den Hormonspiegel bei fünf weiblichen, im besagten Reservat beheimateten Breitmaulnashörnern. Dabei kam dann der Mist ins Spiel.

Drastische Maßnahmen

Einem erwachsenen Rhino Blut zu entnehmen erfordert einen gewaltigen Aufwand. Der Gigant muss "immobilisiert" werden. Diesen Stress möchte man sich selbst und dem Tier lieber ersparen. Stattdessen beschlossen die Forscher, die Konzentrationen von Hormonabbauprodukten in frisch gesammelten Fäkalien zu messen. Der Plan ging auf. Anhand der insgesamt 308 Kotproben ließen sich detaillierte Hormonkurven rekonstruieren. Den Ergebnissen nach verlaufen die Zyklen von frei lebenden Nashorndamen ziemlich regelmäßig (vgl.: "Animal Reproduction Science", Bd. 161, S. 89). Die Weibchen werden etwa alle 30 Tage fruchtbar – vorausgesetzt natürlich, sie sind nicht trächtig.

Die Anwesenheit eines dominanten Männchens ist wahrscheinlich der stabilisierende Faktor. Möglicherweise löst erst der Kontakt mit einem solchen Bullen den Eisprung aus, meint van der Goot. Als Schlüsselreiz kämen vor allem männliche Duftstoffe infrage. "Draußen sind die Tiere ständig am Schnuppern." In Zoos sei eine derartige Kommunikation jedoch stark eingeschränkt. Die Nashörner können dort auch ihr natürliches Sozialverhalten nicht ausleben. Unter all dem leidet vermutlich die Fortpflanzung.

Die Bedrohung der Dickhäuter lässt Artenschützer derweil zu immer drastischeren, mitweilen unkonventionelle Maßnahmen greifen. Eine Gruppe plant sogar, 80 Breitmaul- und Spitzmaulnashörner nach Australien umzusiedeln. Dort gäbe es geeignete Grassteppen, und die Kolosse könnten sich natürlich vermehren. In der Praxis beliebt ist zurzeit das fürsorgliche Absägen der Hörner. Der Nutzen dieser Eingriffe bleibt gleichwohl fraglich. Zwar erleiden die Tiere keine dauerhaften stressbedingten Beeinträchtigungen, wie van der Goot und ihr Team anhand von Kotproben aktuell nachweisen konnten (vgl.: "African Zoology", Bd. 51, S. 211), doch die Kopfausstattung spielt im Verhalten eine wichtige Rolle. Leider werden mitunter sogar enthornte Exemplare von Wilderern erschossen. Das Horn wächst nämlich nach, und auch ein kleiner Stumpen lässt sich gewinnbringend verkaufen. (Kurt de Swaaf, 15.2.2017)