Wien – Die ÖVP hat die Hoffnung auf eine EU-weite Einigung aufgegeben: Weil die EU-Kommission Nein sagt, will die kleinere Regierungspartei die Kürzung der Familienbeihilfe für in anderen EU-Ländern lebende Kinder im nationalen Alleingang durchsetzen. Sie stützt sich dabei auf ein Gutachten des Arbeitsrechtsexperten Wolfgang Mazal.

Die Familienbeihilfe sei keine Geldleistung wie die Pension, bei der ein Einzahler später eine garantierte Summe herausbekomme, argumentiert der Jurist im Gespräch mit dem STANDARD, sondern vielmehr eine zweckgebundene Leistung, "um den konkreten Aufwand für ein Kind teilweise zu refundieren". Oder, wie es in einer Kurzfassung von Mazals Expertise heißt: "Sie soll den Unterhaltspflichtigen in die Lage versetzen, einen Teil jener Sachgüter und Dienstleistungen, die für die Erfüllung seiner Unterhaltspflicht maßgeblich sind, nicht aus eigenen Mitteln, sondern mit Unterstützung und aus Mitteln der Allgemeinheit zu erwerben."

Aus dieser Funktion ergebe sich, dass der Unterhalt bei im Ausland lebenden Kindern nach zivilrechtlicher Judikatur "nicht nur nach den durchschnittlichen Lebensverhältnissen des Unterhaltspflichtigen, sondern auch im Verhältnis zur Kaufkraft im Wohnland des Kindes zu bemessen ist".

Butterbrot, Wurst und Käse

Unjuristisch ausgedrückt, in der "Übersetzung" aus dem Büro von Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP): Die Familienbeihilfe müsse garantieren, dass die Eltern ihren Kindern – ob in Österreich oder Rumänien – "das Butterbrot, die Wurst, den Käse" und andere Artikel des täglichen Bedarfs bieten könnten. Da die Kosten dafür in jenen osteuropäischen Ländern, wo besonders viele Kinder von in Österreich arbeitenden EU-Bürgern leben, niedriger sind, könne auch die Familienbeihilfe entsprechend gesenkt werden.

Umgekehrt müsste die Leistung für Kinder in teureren Ländern angehoben werden, betont Mazal: "Alles andere wäre diskriminierend." Der Löwenanteil der rund 249 Millionen Euro, die im Jahr 2015 an Familienbeihilfe ins Ausland flossen, entfiel jedoch auf Ungarn, die Slowakei, Polen und Co. Zahlen für 2016 gibt es noch nicht, laut Familienministerium sollen die Kosten abermals gestiegen sein. Die Umsetzung wäre einfach, sagt der Experte: Das Niveau der Familienbeihilfe müsste einfach von Land zu Land anhand der entsprechenden Kaufkraft, wie sie die Statistik ausweist, bemessen werden.

Lieber in Ehren untergehen

Mazal ist überzeugt, eine "glasklare und saubere Argumentation" zu verfolgen, rechnet aber dennoch mit einer Klage beim Europäischen Gerichtshof, sollte Österreich die Regelung tatsächlich in ein nationales Gesetz gießen: Wenn nicht die EU-Kommission, dann werde ein betroffener EU-Bürger klagen. Er empfiehlt der Regierung als Begleitprogramm eine "diplomatische Offensive" in der EU, um für den Standpunkt zu werben, letztlich sei der Gang vors Gericht aber zwingend: "Lieber in Ehren untergehen, als die Segel zu streichen."

Kritik üben hingegen die Grünen. EU-Bürger, die in Österreich arbeiten, würden dieselbe Summe in den Familienlastenausgleichsfonds einzahlen, sagt Familiensprecherin Judith Schwentner: Eine Ungleichbehandlung von EU-Bürgern widerspreche dem Gedanken des gemeinsamen Europas und der Arbeitnehmerfreizügigkeit, die ÖVP betreibe "reine Stimmungsmache" gegen Menschen, die etwa in der Pflege in Österreich unentbehrlich seien.

Die Neos erklärten, dass die Lösung für ein effizienteres System bereits auf dem Tisch liege. Dass etwa die Familienbeihilfe nach wie vor fünf Jahre rückwirkend beantragt werden kann, sei "nicht nachvollziehbar". Einsparungen in dreistelliger Millionenhöhe seien leicht möglich, ohne gleich die europäische Idee zu opfern, sagt Familiensprecher Michael Bernhard: Doch eine entsprechende Initiative von Neos sei ignoriert worden. (Gerald John, 15.2.2017)