Ewa Siedlecka wurde mit dem Press Freedom Award ausgezeichnet. v.l.: Albert Rohan (Sprecher der Jury), Gewinnerin Ewa Siedlecka und Rubina Möhring, Präsidentin Reporter ohne Grenzen Österreich

Foto: Rog/Katharina Schiffl

Wien – Ein drastisches Bild Polens unter der rechtskonservativen PiS-Regierung zeichnet die Journalistin Ewa Siedlecka. "Die PiS-Leute leben im Ballon einer alternativen Realität", so die Mitarbeiterin der linksliberalen Zeitung "Gazeta Wyborcza" im APA-Gespräch.

Rechtsstaat und Demokratie würden durch Gesetze der Mehrheitspartei demontiert. Siedlicka nahm Dienstag in Wien den Press Freedom Award 2016 von Reporter ohne Grenzen Österreich (ROG) entgegen.

Der Machtapparat in Polen habe bewirkt, dass Volk und Medien gespalten sind, schildert die Journalistin, die auf Rechtsfragen und Menschenrechte spezialisiert ist, die Situation. Kritische Journalisten würden zwar nicht physisch bedroht, doch das Gesetz zum Schutz der Privatsphäre sei "sehr schwach", ein Gesetz zum Schutz von Informanten existiere praktisch nicht. "Wir werden ständig abgehört." Politiker der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) unter Ex-Premier Jaroslaw Kaczynski lehnten Treffen mit "freien" Journalisten ab.

Mangelnde Solidarität

Siedlecka beklagt den Mangel an Solidarität in der Branche, wo die Regierung die meisten Medien auf Linie gebracht hat. "Es gibt keine Loyalität zwischen beiden Seiten." Sie verweist auf das "seltsame Phänomen", dass die Grenzen zwischen regierungsloyalen Journalisten und Regierungsfunktionären verschwimmen. "Die Staatsmacht manipuliert die öffentliche Meinung. Die offiziellen Medien wurden zu einem Propagandaapparat." Deren Journalisten stellten sich gegen ihre kritischen Kollegen mit der PiS-Botschaft, "dem Image Polen, der Heimat zu schaden".

PiS-Chef Kaczynski spreche gar von "schlechten" Bürgern und werfe der Opposition Verletzung der Verfassung vor. "Ein schizophrener Zustand: Man sagt uns, was wir sehen, ist nicht die Realität." In Wahrheit erfolge "eine Demontage von Kontrollmechanismen der Demokratie", was in Bereichen wie Justiz (Besetzung von Richterämtern), Medien (Beschränkung der Berichterstattung im Parlament) und Aufhebung der Gewaltenteilung sichtbar werde. Auch die Zivilgesellschaft sei im Visier. Zielrichtung: "Das Vertrauen erschüttern in alle Institutionen, die nicht auf Regierungslinie sind."

Die Opposition habe im Parlament keinen Einfluss auf den Gesetzgebungsprozess. "Kein Rederecht, keine Konsultationen. Gesetze würden ohne Debatte verabschiedet. Verfassungsgesetze sozusagen im Kämmerlein abgehandelt. Zu den wochenlangen Protesten in und vor dem Parlament gegen Restriktionen bei der Berichterstattung meinte Siedlecka, die wütenden Bürger, die gegen die Machthaber auf die Straße gingen, legten Zeugnis ab vom "öffentlichen Widerstand".

Politischer Druck

Befragt nach der EU-Haltung – die Kommission leitete ein Rechtsverfahren ein – erklärt sie: "Die EU tut alles, was sie kann." Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, die kürzlich in Warschau weilte, hätte sich in ihrer Kritik "nicht schärfer" äußern können, das hätte nur die PiS in ihrer Linie "Alle haben sich gegen uns verschworen" bestärkt. Das Brexit-Referendum in Großbritannien sei für die PiS-Regierung "unangenehm" gewesen, war doch London bis dahin ein starker Partner Polens in der EU. PiS habe auch anti-polnische Vorfälle für ihre PR ausgenützt. Die Journalistin verweist auf Berichte in PiS-loyalen Medien, die sich feindselig gegen Ausländer generell und gegen Flüchtlinge richteten.

Ihre Zeitung, die "Gazeta Wyborcza", mache schwere Zeiten durch. Nach 25 Jahren der Erfolge habe das liberale Blatt nun Probleme bei der Finanzierung. Aufgrund des politischen Drucks bleiben Anzeigen aus. Große Probleme habe auch die Kulturszene. Theater- und Museumsdirektoren würden nach Kriterien der Regierungstreue ernannt, und diese entbehrten oft jeglicher Expertise.

Die PiS-Regierung rekrutiere sich aus einer streng katholischen Richtung, die Patriotismus als Nationalismus deute, fasst die ROG-Preisträgerin zusammen. "Diese National-Katholiken fühlen sich von der Linken bedroht." Siedlecka erinnert an die KP-Ära, wo die Kirche "als einzige Institution galt, die in der Volksrepublik den Kommunismus bekämpfte." Erst nach 2000 habe eine Debatte um den starken Einfluss der Kirche eingesetzt. Und jetzt wollte der PiS-Chef eine Volksrepublik anderer Art errichten.

Siedlecka nahm den "Press Freedom Award" am Abend im Presseclub Concordia entgegen. Die Auszeichnung gilt insbesondere ihrem Artikel "Jetzt haben wir Budapest in Warschau". Mit Beiträgen über Polens Verfassungsgerichtshof habe sie die Gefährdung des Rechtsstaates aufgezeigt, heißt es in der Würdigung von ROG-Österreich. (APA, 15.2.2017)