In seinem Element: Hugo Portisch erklärt dem Publikum die Welt. Der Journalist wird am Sonntag 90 Jahre alt. Der ORF feiert mit einem Programmschwerpunkt mit.

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Hugo Portischs neuester Streich: "Leben mit Trump. Ein Weckruf" (Ecowin Verlag).

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Sonderausgabe zum 90. Geburtstag: Hugo Portischs "Aufregend war es immer".

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STANDARD: Sie haben 1964 als "Kurier"-Chefredakteur das Rundfunkvolksbegehren initiiert, das dann 830.000 Unterstützer hatte. Was glauben Sie: Wie viele würden heute ein Volksbegehren zur Entpolitisierung des ORF unterschrieben?

Portisch: Bei weitem nicht so viele. Der ORF war damals Ausdruck einer Krankheit für ganz Österreich. Nämlich des totalen Proporzes. Überall ging es nur um Rot-Schwarz, was nirgendwo stärker bemerkbar war als beim ORF, der täglich zu den Leuten gesprochen hat. Das war scheußlich anzuschauen. Den Ministern wurden die Fragen in die Hand gedrückt. Vor dem Mikrofon, die haben sich gar nicht geniert. Alles war ausgemacht. Was gefragt und gesagt wird. Und mit dem Protest gegen die Beherrschung des Rundfunks haben wir eigentlich den gesamten Proporz angegriffen.

Hugo Portisch wurde 1958 Nachfolger von Hans Dichand (rechts) als Chefredakteur des "Kurier". Dichand gründete die "Neue Kronen Zeitung".
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STANDARD: Und damit die Politiker.

Portisch: Hermann Stöger hat am Ende das Fazitbuch "Schwarze Welle – Roter Schirm" über dieses Volksbegehren geschrieben. Er hat Abgeordnete der ÖVP zitiert, die gesagt haben, dass es nicht nur eine Abstimmung über den Rundfunk war, sondern über uns. Der Rundfunk war einfach das deutlichste Zeichen des Proporzes, den die Leute täglich gespürt haben. Heute ist das bei weitem nicht so dominierend wie damals.

STANDARD: Rot und Schwarz dominieren den ORF über den Stiftungsrat.

Portisch: Ich weiß schon, dass die Leute sagen, dass die Besetzungen im ORF von den Parteien mitbestimmt werden, aber das ist nicht das Wesentliche. Wichtig ist, was beim Schirm herausschaut oder was man im Radio hört. Bei den Journalisten gibt es diesen Parteieinfluss bei weitem nicht, den man ihnen zuschreibt.

STANDARD: Sehen Sie die journalistische Unabhängigkeit ausreichend gewahrt?

Portisch: Ja, die interne Unabhängigkeit der Journalisten haben wir damals in dem Volksbegehren verankert. Und das hat bis heute gehalten.

STANDARD: Eine ORF-Gremienreform ist schon seit vielen Jahren Thema. Die per Gesetz nur dem ORF verpflichteten Stiftungsräte sind in roten und schwarzen Freundeskreisen organisiert. Haben Sie einen Vorschlag, wie der Stiftungsrat entpolitisiert werden könnte?

Portisch: Für Entpolitisierung bin ich immer, keine Frage. Es zeichnet sich für mich aber nicht ab. Das ist natürlich ein Übel, ist aber nicht einmal in Deutschland anders. Beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk mischen überall die Parteien mit. Um was es geht, ist die innere Unabhängigkeit. Die Sendungsmacher müssen so unabhängig sein, dass die Inhalte überparteilich sind. Wenn ich mir beispielsweise die "ZiB 2" anschaue und den Armin Wolf, kann man sicher nicht sagen, dass ihn irgendeine Partei nominiert.

Hugo Portisch wurde 1967 in den ORF geholt, um als Chefkommentator zu fungieren.
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STANDARD: Manche sagen, dass es noch nie so guten und unabhängigen Journalismus gab wie jetzt, andere monieren, dass der Zustand der Branche schlecht sei, weil die ökonomischen Rahmenbedingungen schwieriger werden. Ihr Befund?

Portisch: Ich glaube, dass die Zeitungen heute im Schnitt besser sind, als sie es vor 30 Jahren waren. Der Nachwuchs ist besser ausgebildet, er schreibt besser. Zeitungen haben sich anders positioniert. Damals gab es den Boulevard noch nicht.

STANDARD: "Österreich" und "Heute" sind erst in den letzten Jahren dazugekommen.

Portisch: Das ist nicht nur ein österreichischer, sondern ein europäischer, wenn nicht sogar ein weltweiter Trend.

STANDARD: Manche kritisieren, dass Gratismedien durch Inserate der öffentlichen Hand zu massiv gefördert werden.

Portisch: Sollte das wahr sein, dann gehört das abgeschafft, keine Frage.

STANDARD: Sie sind das Gesicht von "Österreich 1" und "Österreich 2". Wie kam es in den 1980er-Jahren zur Entstehung der historischen Dokumentarfilmreihe über die Erste und Zweite Republik?

Portisch: Es war die Idee Gerd Bachers. Er hat Sepp Riff und mich gefragt, ob wir das machen möchten. Nur: Wir haben damals geglaubt, dass die Wissenschafter alles wissen und wir nur in die Archive gehen müssen, um das Material zu holen, das dann als Drehbuch dient. Wir haben auch geglaubt, dass nach 1945 alles fotografiert und gefilmt wurde. Nichts davon war wahr. Der gesamte ORF hatte nicht einmal eine Dreiviertelstunde Film über einen Zeitraum von 20 Jahren. Im Filmarchiv waren die gespeicherten Filme abgebrannt, die hatten auch nichts. Die "Wochenschauen" wurden von den Kinobesitzern an Trödler verkauft. Die haben das Silber aus den Filmen herausgewaschen. Wir hatten erst Erfolg, als wir zu den Alliierten gingen. Bei den Sowjets, den Amerikanern, Briten und Franzosen waren sehr gute Kameramänner dabei, die wahrscheinlich auch aus Langeweile das österreichische Leben mitgefilmt haben. (lacht)

Hugo Portisch mit dem damaligen ORF-Generalintendanten Gerd Bacher.
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STANDARD: Wie bekamen Sie Zugang?

Portisch: In der Sowjetunion zum Beispiel war der Fund sehr groß. Wir haben in Moskau Anatol Koloschin, den Chefkameramann der Sowjetunion, getroffen. Der ging mit mir ins Zentralarchiv, was die Sowjets zuvor abgewehrt hatten. Es gab eine Filmsperre für Ausländer, die erst Bundespräsident Rudolf Kirchschläger aufbrach. Ich habe Kirchschläger zufällig in Wien einen Tag vor seinem Staatsbesuch in der Sowjetunion getroffen. Er hat mich gefragt, wie es mit dem Projekt vorangeht, woraufhin ich gesagt habe: sehr schlecht, weil die Sowjets den Zugang zum Material versperren und bis jetzt alle Interventionen nichts geholfen haben. Daraufhin hat er seinen Adjutanten gerufen und gesagt: Setze das ORF-Projekt auf die Tagesordnung für das Gespräch mit Breschnew, dem obersten Sowjetführer. Kirchschläger hat ihm dann von der geplanten Reihe für den ORF erzählt, und Breschnew hat gesagt: schon bewilligt. Das war der Türöffner zum sowjetischen Archiv. Wir hatten freie Hand und haben hunderte Sachen rausgesucht.

STANDARD: Und sie nach Österreich gebracht?

Portisch: Da war dann wieder Gerd Bacher großartig. Ich habe zu ihm gesagt: Da ist so viel Material, das nie wieder freigegeben wird. Holen wir das nicht nach Österreich, ist es pfutsch. Er hat mich gefragt, wie viel es kosten wird. Ich habe gesagt: einige Millionen. Die ersten zwei bewillige ich sofort, hat Bacher gesagt.

STANDARD: Waren Sie sich dieser Verantwortung bewusst?

Portisch: Ja, wir wussten, dass das eine ungeheure Geschichte ist. Diese Filme waren später Basis für dutzende Dokumentationen. Die gehören der österreichischen Öffentlichkeit.

STANDARD: Gab es damals politischen Widerstand gegen Ihre Aufarbeitung der Geschichte, weil nicht wenige wollten, dass die Geschehnisse im Nationalsozialismus unter dem Teppich bleiben?

Portisch: Widerstand gab es keinen, aber eine Garnitur von älteren Politikern hat sehr gewarnt, dass wir diese Doktrin von Österreich als erstem Opfer Hitlers nicht abschaffen sollten. Das sei doch die Doktrin, auf der der Staat basiert, hat es geheißen. Wir haben das negiert und sind ganz im Gegenteil vehement dafür eingetreten, dass Österreich Mitverantwortung übernimmt. Ich war zuvor einige Jahre in New York für den Österreichischen Informationsdienst und kannte die Vorwürfe und Einschätzungen ganz genau. Nicht nur von den Amerikanern, sondern auch von den Deutschen. Die haben uns dauernd beschuldigt, dass wir uns aus der Geschichte fortschleichen und unsere Vergangenheit leugnen.

STANDARD: Bis zum Bekenntnis der Mitverantwortung hat es lange gedauert.

Portisch: Zum Glück hat das Bundeskanzler Franz Vranitzky aufgegriffen. Nach einem Interview von mir mit Robert Hochner, als ich energisch gefordert hatte, dass die Regierung eine Erklärung abgeben muss. Vranitzky hat mir am nächsten Tag einen Brief geschrieben, dass er das schon die ganze Zeit sagt. Zurückgeschrieben habe ich, dass er das nur macht, wenn er eine jüdische Schule eröffnet oder einen Tempel besucht, aber man muss es als Regierung vor dem Parlament sagen. Getragen von beiden Parteien. Vranitzky hat das begriffen und es dann getan.

STANDARD: Sie haben kürzlich ein Buch über Donald Trump geschrieben. Seine Attacken auf Journalisten nehmen auch als US-Präsident nicht ab, im Gegenzug gewinnen etwa "New York Times" und CNN Leser beziehungsweise Zuseher hinzu. Werden Qualitätsmedien gestärkt?

Portisch: Ich glaube schon, dass der Wert von Qualitätsmedien erkannt wird. Für viele Leute ist es einsichtig, dass es ein Schmäh ist, mit dem Trump operiert und Medien diffamiert. Sie sagen, jetzt schreibe ich mich erst recht ein bei der "New York Times". Trumps Angriffe auf Medien sind Berechnung und nicht nur ein Temperamentsausbruch. Er weiß selbstverständlich, dass die US-Medien ihm gegenüber kritisch sind. Das möchte er am liebsten ausschalten. Er brüllt es nieder. Und seine Anhänger mit ihm, wenn von Fake-News die Rede ist. Lügenpresse ist aber auch ein Slogan der europäischen Populisten. Das zieht immer wieder. Bei uns ist das leider nicht viel anders als in Amerika. Auf dieser Welle reitet Trump. (Oliver Mark, 16.2.2017)