Eine Ibsen-Figur geht mit Werner Egk im Theater an der Wien auf Klangreise: Bariton Bo Skovhus als Titelheld Peer Gynt.

Foto: Werner Kmetitsch

STANDARD: Wie viel sollte man bei einem Kunstwerk über seine Entstehungsgeschichte wissen?

Skovhus: Ich denke schon, dass man da relativ viel wissen muss. Wenn ich ein neues Stück mache, lese ich mich ziemlich intensiv ein, weil ich es wichtig finde, zu wissen, in welchem Zusammenhang etwas geschrieben wurde. Bei Werner Egks Oper Peer Gynt ist es klar, dass sie ganz stark vorbelastet ist. Wir haben im Vorfeld mit Regisseur Peter Konwitschny viel darüber diskutiert, warum Peer Gynt nicht mehr gespielt wird. Ich glaube, ein deutscher Intendant würde sich nicht getrauen, diese Oper anzusetzen. Auch dass es in Wien gespielt wird, ist wagemutig. Man könnte aber auch fragen, wie man sich zu Richard Strauss oder Carl Orff verhält. Wo soll man anfangen, wo soll man aufhören? Bei Egk muss man sich, weil die Musik teilweise so poppig, so jazzig ist, außerdem fragen: Wie konnten Hitler und Goebbels das Stück gut finden?

STANDARD: Andere fanden "Peer Gynt" weniger gut. Es wurde im Nationalsozialismus stark angegriffen, dann auch wieder abgesetzt.

Skovhus: Wir haben uns darüber viel den Kopf zerbrochen. Die Musik ist teilweise ziemlich schräg und hat viele Jazz- und Tangoelemente, die eigentlich eher verpönt waren.

STANDARD: Bei Egk stellt sich die Frage, inwieweit seine Musik modernistisch war und inwie- weit gefällig – und inwieweit sie in seiner Zeit ästhetisch einzuordnen ist.

Skovhus: Da gibt es wirklich viel Gefälligkeit darin. Es gibt Arien, die sind einfach ein Traum – Herzschmelz und wunderschön. Dazwischen gibt es sehr moderne Passagen. Als ich das Stück einstudiert habe, hielt ich es zunächst für ganz unproblematisch zum Lernen. Dann habe ich festgestellt, dass es doch viel komplizierter ist, als ich dachte. Es ist nie ganz glatt, sondern es gibt immer etwas, das einen stört. Das ist ganz merkwürdig.

STANDARD: Rechtfertigen es die Qualitäten der Oper aus Ihrer Sicht, sie aufzuführen?

Skovhus: Unbedingt. Ibsens Peer Gynt ist eine großartige Geschichte, und Egk hat es als sein eigener Librettist vermocht, sie auf ihre essenziellen Bilder herunterzubrechen. Es ist ein sehr kurzweiliges und dramaturgisch gut gelöstes Stück, vor dem man keine Angst haben muss, weil es im 20. Jahrhundert komponiert wurde. Es gibt sogar Anklänge an Puc-cini.

STANDARD: Sie sind jetzt fast 30 Jahre mit Wien verbunden.

Skovhus: Ja, schrecklich. Da waren Sie noch nicht einmal geboren! Ich bin ja damals direkt von der Schule in Dänemark nach Wien gekommen, und bin dann einfach hängengeblieben. Nachdem ich mit einer Wienerin verheiratet bin – die können ja nirgends anders wohnen. Es ist für mich aber erstaunlich, dass ich wirklich schon 30 Jahre lang singe. Viele meiner Kollegen singen schon gar nicht mehr. Ich habe ja für mich eine Nische gefunden, dass ich viel neue Musik mache, was mich sehr interessiert. Das ist nicht immer der leichte Weg, weil die Lernzeit oft hoch ist, besonders wenn man Uraufführungen macht. Es ist nur leider so, dass die Probezeit viel zu kurz ist, wenn etwa noch eine Bruckner- oder Mahler-Symphonie auf dem Programm steht. Die muss wirklich sitzen, und für die neuen Werke ist dann oft zu wenig Zeit übrig.

STANDARD: Hat sich das kulturelle Klima in Wien in den letzten 30 Jahren für Sie geändert? Da-mals war es doch noch erzkonservativ.

Skovhus: Ja, das ist richtig. Aber ich muss gestehen, dass ich mich damals selbst auch noch nicht sehr für neue Musik interessiert habe. Das hat sich bei mir sehr geändert. Aber wenn ich mit meinen Kollegen spreche, fragen mich die oft, warum ich "so etwas" mache – das sei schädlich für die Stimme. Das stimmt aber nun wirklich gar nicht! Man braucht natürlich eine gewisse Technik, um es zu bewältigen. Vor allem lernt man wahnsinnig viel. Wenn ich erzähle, dass ich in meiner Konservatoriumszeit in Solfeggio (Vom-Blatt-Singen mithilfe von Tonstufen bzw. Tonsilben) regelmäßig durchgefallen bin, lachen die Leute immer. Ich habe meine eigene Art entwickelt und zähle auch ganz anders als üblich. Da gibt es kein System – nach Systemen zu arbeiten, habe ich immer verweigert. Meine Frau sagt immer, ich bin ein dänisches Protestschwein, das müsse einmal auf meinem Grabstein stehen.

STANDARD: Ist das im Berufsleben manchmal problematisch?

Skovhus: Na ja, es ist nicht so, dass ich auf die Barrikaden steige. Aber ich suche nie den direkten Weg. Deshalb passe ich auch gut zu Regisseur Peter Konwitschny, glaube ich. Das verbindet uns irgendwo. Sogar wenn man letztlich den geraden Weg wählt, muss man auch die anderen Möglichkeiten erforscht haben. Sonst ist es einfach langweilig. (Daniel Ender, 16.2.2017)